WAN-Übertragungstechnik/Ansätze zur Integration moderner WANs in die IBM-Welt

Unabhängig sein und dennoch am SNA-Netz festhalten

16.08.1996

Es steht außer Frage: WAN-Verbindungen zwischen den nationalen und internationalen Niederlassungen großer Unternehmen auf der Basis von SNA-Netzen sind immer noch im Einsatz. Sie verlieren jedoch immer mehr an Bedeutung. In vielen Unternehmen gelten sie mittlerweile als Auslaufmodell und werden demzufolge auch nicht weiter ausgebaut. Statt dessen besteht vielfach die Notwendigkeit, neben vorhandenen Mainframe-Strukturen moderne Client-Server-Netze aufzubauen. Da die Leitungskosten den größten Anteil am Kommunikationsetat ausmachen, besteht allerdings die Gefahr, die Firmenkassen durch den Einsatz paralleler Leitungen noch mehr zu strapazieren.

Gleichzeitig sind die Netzwerktechnik und Kommunikationsmöglichkeiten heute um ein vielfaches größer als noch vor einigen Jahren: Multiprotokollnetze bieten ein deutliches Plus an Übertragungsgeschwindigkeit respektive mehr Bandbreite, ein effizienteres Kommunikations-Management, differenziertere Sicherheitskonzepte und last, but not least, eine für den Anwender komfortablere Nutzung.

Viele Unternehmen wollen heutzutage auf der Struktur des Internet oder eines anderen IP-Netzes aufsetzen, um ein firmeninternes Intranet für die Kommunikation zwischen verschiedenen Niederlassungen aufzubauen. Es bietet sich daher an, auch den SNA-Verkehr über ein solches IP-basiertes WAN zu übertragen. Gleichzeitig müssen jedoch bestehende Investitionen geschützt und neue vermieden werden. Der Aufbau eines komplett neuen WANs, verbunden mit dem Abbau des SNA-Netzwerks, käme für die meisten Unternehmen viel zu teuer.

Die DV-Verantwortlichen und ihre Netzwerkadministratoren stehen daher vor der Herausforderung, vorhandene Strukturen und Komponenten weitgehend zu nutzen. Das heißt: Kostspielige Investitionen der Vergangenheit wie Front-end-Prozessoren (FEPs), Communication-Controller oder SNA-Terminals sollten sich möglichst ohne Veränderung oder Aufrüstung in einen neuen WAN-Verbund integrieren lassen.

Die für viele Unternehmen optimale Lösung sähe dabei so aus, daß die alte SNA-Welt im wesentlichen erhalten bleibt, die neue IP-Infrastruktur indes für eine effizientere Kommunikation genutzt wird. Die Aufgabe ist es also, das alte System nicht abzuschaffen, sondern in die neue Welt zu integrieren und im Unternehmen kostengünstig ein modernes Intranet aufzubauen, in dem IP auch als Carrier-Protokoll für den SNA-Verkehr eingesetzt wird. Günstig wäre es, wenn sich möglichst alle Geräte und Komponenten in den Niederlassungen eines Unternehmens weiter nutzen ließen und lediglich die Bandbreite der WAN-Verbindung erhöht und in die sowieso anzuschaffenden Komponenten zur LAN-LAN-Kopplung investiert werden müßte.

Da WAN-Verbindungen, wie bereits erwähnt, extrem kostenintensiv sind, empfiehlt es sich, nicht für jede Anwendung eine eigene Leitung zu nutzen, zumal der SNA-Verkehr in der Regel nur sehr geringe Bandbreiten benötigt. Dies vor allem auch deshalb, weil der SNA-Verkehr im Vergleich mit den geforderten LAN-LAN-Verbindungen kaum ins Gewicht fällt. Meist bestehen rund 90 Prozent des gesamten Datenverkehrs aus der LAN-LAN-Kommunikation, und nur etwa zehn Prozent entfallen auf die klassische SNA-Welt.

Lösungsansätze zur Integration bestehender SNA-Umgebungen in dienstunabhängige WANs sollten dabei berücksichtigen, daß sie allen heute gängigen Standards entsprechen und von möglichst vielen Herstellern akzeptiert werden. Außerdem muß die neue Lösung alle wesentlichen WAN-Dienste wie beispielsweise Frame Relay, X.25 oder Leased Line unterstützen. Eine relativ einfache Integrationsmöglichkeit, die diesen Anforderungen jedoch nur zum Teil entspricht, ist der Einsatz von Multiplexern - das heißt das reine Multiplexen von Leitungen, was keinerlei Änderungen im SNA-Umfeld erfordert. Allerdings wird das Ganze recht teuer, denn zusätzlich zu den Routern müssen noch Multiplexer angeschafft werden. Ein weiterer Nachteil dieser Methode ist ihre mangelnde Flexibilität.

Ein zweiter denkbarer Ansatz wäre das Multiplexen der Leitungen durch einen Router. Auch diese Variante bietet für bestehende SNA-Netze eine einfache Integrationsmöglichkeit, ohne daß große Veränderungen vorgenommen werden müßten. Ihr Minus liegt darin, daß nur Router des gleichen Anbieters verwendet werden können. Proprietäre Lösungsansätze wie dieser schränken also eine flexible Weiterentwicklung des LAN-WAN-Verbunds ein. Hinzu kommt, daß auch hier - wie beim ersten Beispiel - die bestehende WAN-Struktur beibehalten werden muß und Redundanzkonzepte daher nur eine bedingte Chance haben.

Die beiden genannten Methoden sind technisch relativ einfach umzusetzen, bieten jedoch kaum Möglichkeiten für differenzierte Sicherheitsmechanismen und statt einer dynamischen Verwaltung von Bandbreiten nur deren starre Zuordnung. Wünscht man in diesen Bereichen mehr Funktionalität und Leistung, sind zusätzliche Investitionen notwendig.

Neben den beschriebenen Multiplexverfahren setzt sich zunehmend auch Data Link Switching (DLSw) als Lösungsansatz für die Integration von SNA-Netzen in moderne, dienstunabhängige WANs durch. Data Link Switching erlaubt es, daß sich Mainframe-basierte Business-Anwendungen und PC-basierte Netbios-Office-Anwendungen ein IP-Netzwerk mit anderen Netzwerkprogrammen teilen. Dabei definiert DLSw eine Methode, um den SNA- und Netbios-Verkehr zuverlässig über einen IP-Backbone zu transportieren. Data Link Switching wurde für den Einsatz in Multiprotokoll-Routern entwickelt und gestattet Switching auf der Data-Link-Layer-Ebene sowie das "Packing" von Informationen in Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/ IP), damit sie über ein IP-Netzwerk laufen können. Bei diesem Modell (siehe die Abbildung) wird der SNA-Verkehr einfach in "IP-Pakete" gepackt und über ein beliebiges IP-Netzwerk geschickt. So lassen sich IBM-Communication-Controller beispielsweise über die SDLC-Schnittstelle direkt an den lokalen Router anschließen und müssen weder erweitert noch modifiziert werden.

Ein Anwendungsbeispiel: Ein weltweit operierendes Unternehmen hatte bisher seine 180 Niederlassungen jeweils über FEP, 3x74 und dedizierte Standleitungen mit dem Host in der Zentrale in den USA verbunden. Gab es in einigen Ländern mehrere Zweigstellen, so kommunizierten auch diese jeweils über eine eigene Standleitung mit der Hauptstelle. Jetzt verbinden DLSw-fähige Router die unternehmensinternen Netze der Niederlassungen über ein Multiprotokollnetzwerk, der SNA-Verkehr wird über die gleiche Infrastruktur transportiert. An den internen IBM-Strukuren mußte also nichts geändert werden Host, FEP oder IBM 3x74 lassen sich weiterhin nutzen. Die bisherigen IBM-Terminals können jetzt sukzessive durch PCs mit Terminalemulation und den neuen Client-Server-Applikationen ersetzt werden, so daß für den Übergangszeitraum keine zusätzlichen Investitionen anfallen.

Vorteil dieser Lösung mit DLS ist, daß kaum - in den Remote Locations sogar gar keine - Veränderungen in der SNA-Welt nötig sind. Da der Verkehr über ein IP-Netz läuft, lassen sich Redundanzkonzepte für den gesamten Netzwerkverkehr entwickeln beziehungsweise vorhandene Redundanzkonzepte nutzen.

Data Link Switching ist daher nicht nur eine kostengünstige und zuverlässige, sondern auch eine standardbasierte Lösung. Sie unterstützt die Standards entsprechend der Internet Engineering Task Force Request for Comments (RFC) 1434. Dazu gehören Switch-to-switch Protocol (DLSwSSP) mit Features wie LLC2 Local Acknowledgement, TCP/IP Transport, Extended Source Route Bridge, Source Route Bridge Explorer Broadcast Reduction, Netbios Name Caching und End-to-end Flow Control.

DLSw ist dabei eine herstellerunabhängige "Multivendor"-Lösung. Namhafte Unternehmen wie 3Com, Bay Networks, IBM oder Proteon setzen auf diese Technologie, die seit etwa eineinhalb Jahren auf dem Markt ist. Da DLSw inzwischen ein De-facto-Standard ist, lassen sich Router unterschiedlicher Hersteller, die Data Link Switching unterstützen, für die Integration von SNA-Netzen in moderne WANs einsetzen, wobei die Router im reinen IP-Backbone nicht einmal DLSw unterstützen müssen.

Eine Lösung mit DLS als Methode zur Integration von SNA-Umgebungen in ein WAN hat eigentlich nur ein Manko: Vor allem während der Installationsphase ist ein nicht unerhebliches Know-how auf der Router-Seite erforderlich. Data Link Switching ist eben eine komplexe Technologie, und das Konfigurieren und Einrichten der DLSw-Router als intelligente Komponente zwischen SNA- und IP-Welt stellt ebenso komplexe Anforderungen. DLSw-Router bieten umfangreiche Traffic-Management-Möglichkeiten über Multiline Circuit Support, Uniform Traffic Filter und Protokollprioritäten-Handling. Diese Leistungsmerkmale tragen dazu bei, daß der zeitkritische SNA-Verkehr auch bei einer großen Auslastung der Bandbreiten durch andere Applikationen und Protokolle sicher übertragen wird.

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Wie sag' ich es meinem (SNA-) Netz? Man will es im Prinzip nicht mehr. Die - vor allem finanzielle Realität -, also die Kostenbremse im Unternehmen, aber auch eine Reihe praktischer Erwägungen sprechen indes gegen eine Ausmusterung. Ein Problem, das angesichts der derzeitigen Euphorie um TCP/IP-basierte Intranets an Schärfe eher noch zunimmt. Gefragt sind daher praktikable Integrations- und Kombinationslösungen - Data Link Switching könnte eine mögliche Antwort sein.

Migrationshilfen

Worauf sollten Anwender bei der Migration von SNA-Netzen auf moderne IP-basierte WANs achten?:

1. Vermeiden Sie Investitionen, die sich lediglich für SNA nutzen lassen.

2. Schützen Sie bestehende Investitionen, vermeiden Sie neue Investitionen. Suchen Sie nach Möglichkeiten, bestehende Komponenten wie FEPs, Communication-Controller und Terminals ohne Veränderung oder Aufrüstung in den neuen WAN-Verbund zu integrieren.

3. Entscheiden Sie sich für Lösungsansätze, die auf Standards basieren und von möglichst vielen Herstellern unterstützt werden.

4. Alle wesentlichen WAN-Dienste wie Frame Relay und X.25 sollten ebenfalls unterstützt werden.

*Diplomingenieur Stephan Feldhoff ist Manager Technical Services beim Systemintegrator ACI Anixter Communication & Integration in Murr bei Stuttgart. ACI ist eine selbständige Business Unit der Anixter Deutschland GmbH, einem Tochterunternehmen von Anixter International Inc.