Umlandverband Frankfurt baute Schadstoffkataster auf:

Umwelt-Datenbank contra Abwassersünder

14.10.1988

Von Angelika G. Loewenheim*

Um der vielfältigen Informationen über die Umweltbelastung im Rhein-Main-Gebiet Herr zu werden, hat der Umlandverband Frankfurt, ein kommunaler Zweckverband, ein DV-gestütztes Schadstoffkataster aufgebaut. Die Umwelt-Datenbank, zunächst auf einer 3090 im Gebietsrechenzentrum installiert, läuft heute auf einer VAX des Verbandes.

Sauberes Wasser ist schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Nicht einmal drei Prozent des Wassers auf der Erde ist Süßwasser, aber die Menschen gehen damit um, als ob es in unerschöpflicher Menge vorhanden wäre. Jeder Bundesbürger verbraucht 150 Liter Trinkwasser am Tag, verschmutzt es und verläßt sich auf die Kläranlagen. Doch die schaffen trotz moderner Technik nur einen Teil der giftigen Stoffe beiseite. Der Rest gelangt in die Gewässer - ebenso wie das gefährliche Sickerwasser aus Mülldeponien, das zum Teil noch unbekannte Chemikalien enthält.

Kläranlagen reinigen nur einen Teil des Wassers

Nun ist es nicht damit getan, das Übel bedauernd zur Kenntnis zu nehmen und die alarmierenden Informationen zu speichern oder in irgendeiner Statistik verschwinden zu lassen. Vorsorge ist angesagt: ständige Kontrolle des Abwassers, Aufspüren von Problem-bereichen, Reduzierung des Grundwasserverbrauchs in der Industrie zugunsten von Oberflächenwasser, Beratung der Betriebe, Aufklärung der privaten Verbraucher, Förderung der Grundwasserneubildung.

Aus der Einsicht heraus, daß ohne überörtliche Zusammenarbeit keine Lösung dieser Probleme möglich ist, gründeten 43 Gemeinden im Jahr 1974 den Umlandverband Frankfurt (UVF). In seinem 1428 Quadratkilometer großen Einzugsgebiet leben 1,5 Millionen Menschen. Zuständig ist der UVF unter anderem für die Abfall- und Abwasserbeseitigung, den Umweltschutz und die Wasserversorgung. Die anfallenden Mengen sind immens: jedes Jahr 1,3 Millionen Tonnen Müll, 1,8 Millionen Tonnen Schutt und Abraum sowie 270 Millionen Kubikmeter Abwasser.

Die Wasserqualität der Gewässer im Gebiet des Umlandverbandes Frankfurt ist noch nicht befriedigend. Wesentliche Abschnitte des Untermains und seiner Zuflüsse sind in die schlechtesten Gewässergüteklassen eingeteilt (III = sehr stark verschmutzt und IV = übermäßig stark verschmutzt). Mittelfristiges Ziel ist es, zumindest die Güteklasse II = mäßig belastet zu erreichen. Dazu müssen die Kläranlagen kontinuierlich ausgebaut und erweitert werden.

Den Kläranlagen machen vor allem die vielen Tonnen Schwermetalle (Chrom, Kupfer, Nickel und Zink) zu schaffen, die es verhindern, daß der bei der Abwasserreinigung anfallende Klärschlamm im Recycling-Verfahren einfach als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden kann.

Die Sammlung verschiedenster Meßdaten ist heute eine der Hauptaufgaben der UVF-Mitarbeiter. Sie kontrollieren regelmäßig die Zu- und Abläufe der über 40 Kläranlagen im Verbandsgebiet und untersuchen den anfallenden Klärschlamm. Hinzu kommen Boden-analysen der mit Klärschlamm gedüngten landwirtschaftlichen Flächen. Außerdem werden schwerpunktmäßig Messungen im Kanalnetz bei der Suche nach problematischen Abwassereinleitungen und Untersuchungen der Oberflächengewässer durchgeführt. Weiterhin soll durch regelmäßige unangemeldete Überwachung der 2200 Betriebe im Verbandsgebiet mit sechs eigenen Laborfahrzeugen und zehn Außendienstmitarbeitern der Schadstoffeinleitung Einhalt geboten werden.

Hauptaufgabe ist Sammlung der Meßdaten

150 000 Meßdaten werden jährlich im UVF-Labor gewonnen. Ohne Computerunterstützung in Form eines "Abwasser-Schadstoff-Katasters" wären die Aufgaben des UVF kaum zu erfüllen. Das 1981 eingerichtete Zentrallabor Abwasserüberwachung stieß bereits nach einem Jahr an seine Grenzen - als nämlich eine Wand komplett mit Akten vollgestellt war. Zunächst dachte man zur Abhilfe an ein kleines Computersystem mit einer Online-Datenbank und Abfrage-möglichkeiten über Bildschirmtext. Ein entsprechender Förderungs-antrag an das Bundesforschungsministerium wurde Mitte 1983 bewilligt (Laufzeit fünf Jahre). Inzwischen ist aus der kleinen Anfangslösung eine größere Sache geworden.

Der UVF formulierte die abwasserspezifischen Anforderungen und machte die Vorgaben für die Anwendungslösung. Die Projekt-betreuung übernahm die Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) in Frankfurt. Als Softwarewerkzeug wurde Adabas gewählt, das eine hohe Portabilität gewährleistet und bei vielen kommunalen Stellen Einsatz findet. Die eigentliche Anwendungssoftware erstellte die Firma Stollmann in Nürtingen - ein im Kommunalbereich erfahrenes Softwarehaus. Der praktische Einsatz begann Ende 1985.

Im Endausbau hat das System 4000 Programme

Der Schadstoff-Kataster war zunächst auf einem IBM-Großrechner (3090) im Kommunalen Gebietsrechenzentrum in Frankfurt implementiert. Aus Gründen der Zugriffsflexibilität (rund um die Uhr), der schnellen Aktualisierung und nicht zuletzt der Kosten wechselte der UVF im Sommer 1987 auf ein eigenes System über. Es gelang, innerhalb einer Woche die Daten und 1800 Programme von der IBM auf eine Micro-VAX (mit 16 MB Hauptspeicher, 4 x 456-MB-Platten, 20 Bildschirmen, fünf Druckern, Magnetband, X.25- und X.29-Anschlüssen sowie DECnet mit vier Servern im Ethernet) zu übernehmen. Ein zweiter Rechner gleichen Typs wurde beim Softwarehaus installiert, so daß ein ständiger Informations-austausch möglich war - eine unabdingbare Voraussetzung angesichts einer DV-Abteilung von nur "eineinhalb" Mitarbeitern beim UVF. Der Einsatz einer weiteren VAX steht kurzfristig bevor, denn im Endausbau wird das System 4000 Programme enthalten. Außerdem klopfen die ersten Gemeinden im Verbandsgebiet an die Tür des UVF, um als externe Benutzer online angeschlossen zu werden.

Die neue Umwelt-Datenbank auf der Basis von Adabas ist ein frei parametrisierbares System mit beliebigen Erweiterungs-möglichkeiten. Es enthält alle abwassertechnisch relevanten Untersuchungsobjekte des gesamten Entsorgungspfades vom "Produzenten" der Abwässer über die Kanalisation bis zu den Kläranlagen und weiter zu den Gewässern mit insgesamt 5200 Meßstellen, 5800 Untersuchungsprogrammen und 3500 Regel- und Grenzwerten. Die jetzigen abwasserspezifischen Komponenten lassen sich ohne aufwendige Zusatzprogrammierung in Richtung Abfall, Luft, Lärm oder auch andere kommunale Anwendungskomplexe erweitern. Die zugehörigen Verwaltungsabläufe sind komplett eingebunden, so daß anfallende Daten nur einmal erfaßt werden müssen. In der 18monatigen Entwicklungsphase wurde sichergestellt, daß sich die Datenverarbeitung der Fachterminologie völlig unterordnet. Die Benutzeroberfläche arbeitet mit dem Jargon der Entsorgungsfachleute. Diese müssen über keinerlei Programmier-kenntnisse verfügen. Alle Informationen sind sofort und präzise abrufbar, beliebige Abfragen jederzeit möglich.

Mit der Integration des Laborsystems wurde ein geschlossener Analysen- und Überwachungsablauf realisiert und fehleranfällige, zeitaufwendige Mehrfacherfassung der Labordaten vermieden.

Die Micro VAX steht über das lokale Netzwerk DECnet in direktem Datenaustausch mit dem Laborrechner (Perkin-Elmer Modell 3205 mit vier Bildschirmen und einem Drucker). Auch die Analysenergebnisse werden in der Datenbank gespeichert. Mit Hilfe der Datenbank organisieren die Umwelttechniker ihre gesamte Termin- und Überwachungsplanung (als Vorschlag an den Fahr-dienstleiter), die Erstellung der Aufträge, Probenbegleit- und Analysescheine (bis hin zu detaillierten Angaben zur Probenbehandlung) sowie die Gebührenbescheide.

Die Probenahme erfolgt auf Grund einer zeit- und objektbezogenen Vorschlagsliste. Die computerunterstützte Einsatz-planung orientiert sich an den Untersuchungsintervallen für die einzelnen Objekte: entsprechend der Branche (potentielle Gefährdung), anhand früher gemessener Belastungen und über die Rückkopplung zu ungewöhnlichen Kläranlagenbelastungen.

Datenbank für Termin -und Überwachungsplanung

Vor der Kontrolle eines Objekts wird der Probenbegleitschein mit den für die Kontrolle relevanten Angaben vom System erstellt. Dazu gehören Angaben über die Untersuchungs- und Analyse-Parameter, eine Flaschenliste mit Angaben zur Stabilisierungs-methode und so weiter. Nach der Kontrolle einer Meßstelle werden die vor Ort gewonnenen Meßergebnisse offline eingegeben und die Probe zur Analyse ins Labor weitergeleitet. Die hier gewonnenen Analyseergebnisse werden online zur Datenbank übertragen. Dazu sind die Laborgeräte über einen Vorrechner (Perkin-Elmer) mit der Datenbank verbunden. Anhand der Untersuchungsprogramme steuert dieser Rechner die Analyse der Proben (Rohdaten - Nettodaten - Analysedaten) und überprüft die Ergebnisse nach Plausibilität. Meßwerte werden erst nach zweifacher Überprüfung (Validierung) in die Datenbank aufgenommen.

Meßwerte werden mehrmals überprüft

Natürlich können auch Altdaten und Meßwerte von anderen Labors in die Datenbank aufgenommen werden. Neuerdings besteht auch eine Schnittstelle zur Geografie-Datenbank des UVF (Flächennutzungspläne) auf einem Prime-Computer. Hier wird die Datenübertragung über das TCP/IP-Protokoll realisiert. Mit der Möglichkeit, alle Meßdaten geografisch verteilt darzustellen, lassen sich Belastungskonzentrationen auf einen Blick erkennen. Gleichfalls ist seit kurzem auch ein Statistik- und Grafikteil auf der Micro VAX verfügbar, der beliebige Auswertungen und deren bildhafte Darstellung ermöglicht.

Ein weiterer umfangreicher Anwendungsbereich ist das Abfallinformationssystem, das seit einigen Monaten läuft und in weniger als einem dreiviertel Jahr aufgebaut werden konnte. Zur Zeit werden die Daten von zwei großen Mülldeponien und zwei Müllverbrennungsanlagen in die Umwelt-Datenbank integriert (monatlich rund 22 000 Datensätze). Außerdem hat man in diesem Jahr mit der Erfassung der Altlasten (550 sind im Verbandsgebiet bekannt) begonnen - eine Problematik, die zu einer ungeheuren Ausweitung der Datenbank führen wird. Die Bereiche Luft- und Lärmbelastung sollen später gleichfalls angegangen werden.

Aber auch kommerzielle Anwendungen lassen sich mit der Umwelt-Datenbank realisieren, zum Beispiel bei den Deponien und Müllverbrennungsanlagen der Anliefersatz (mit automatischer Errechnung der Gebühren aus den gespeicherten Daten über Abfallarten, Gewichte und entsprechende Preise) sowie die Prüfung der Anlieferberechtigung (über die Kfz-Nummer) und die Führung des Deponiebuches (Wann wurde was woher angeliefert? In welchem Sektor und in welcher Schicht wurde es abgelegt?) So wird beispielsweise die langwierige Suche nach verschwundenen Giftfässern erheblich erleichtert.

Die über die Deponierechner (Commix, Unix-Systeme von Stollmann) vor Ort erfaßten Daten gehen nachts via Datex-P an die Micro VAX, die umgekehrt die aktualisierten Stammdaten überspielt. Die aus der Abfallüberwachung resultierende Statistik erlaubt die genaue Berechnung des Pro-Kopf-Anfalls von Hausmüll in bestimmten Gemeinden. Daraus wiederum läßt sich prognostizieren, wann eine Deponie dicht ist.

Nicht zuletzt hat der UVF eine sogenannte "Abfallbörse" für Recycling-Betriebe eingerichtet. Sie ist über Bildschirmtext zugänglich und ermöglicht es, Abfall-Angebote und -Gesuche auszutauschen, um so die Wiederverwertung zu fördern.

Die Umwelt-Datenbank gilt als mehr oder minder einzigartig in Europa. Das zeigte auch eine Präsentation auf der Hannover-Messe CeBIT '88, zu der sogar Interessenten aus der Sowjetunion kamen. Der UVF ist bestrebt, das System weiter zu vermarkten und erhofft sich damit guten Erfolg. Denn es bietet größtmögliche Flexibilität für eine breite Palette kommunaler und anderer industrieller Anwendungen und ist portabel auf Rechner von DEC, IBM und Siemens. Der Entwicklungsaufwand von rund 3,6 Millionen Mark soll durch die Vermarktung möglichst wieder eingespielt werden. Es ist an einen Kaufpreis von etwa 10 Prozent der Kosten gedacht. Vor allem die Großchemie (Hoechst AG) hat bereits Interesse bekundet. Dazu Projektleiter und 1. Beigeordneter des UVF: Hans-Rudi Saftig: "Hier übernimmt einmal die Industrie etwas von der öffentlichen Hand - was ja selten vorkommt."

*Angelika G. Loewenheim ist freie Fachjournalistin für EDV und Bürotechnik in Mühlheim am Main