Neue Förderung der Weiterbildung verunsichert Jobsuchende und Trainingsanbieter

Umstrittene Bildungsgutscheine

04.04.2003
MÜNCHEN (hk) - Früher gehörte die Umschulung und Weiterbildung zum Kerngeschäft der Arbeitsämter. Mit den Bildungsgutscheinen ist alles anders geworden - zum Leidwesen der Weiterbildungsinstitute und der Jobsuchenden.

Tobias Gruber* ist Netzwerkspezialist, seit einigen Monaten arbeitslos und möchte sich in Richtung Projekt-Management fortbilden lassen. Nach wochenlanger Wartezeit erhielt er vor einem Monat den langersehnten Bildungsgutschein. Damit haben Arbeitslose neuerdings die Möglichkeit, sich einen Anbieter ihrer Wahl für die Ausbildung auszusuchen. Als er eine geeignete Fortbildung ausfindig gemacht hatte, sträubte sich die Behörde, genau diese Maßnahme zu unterstützen, sie sei noch nicht geprüft.

Auch Claudia Schneider* war monatelang arbeitslos, auch sie musste lange warten, bis sie endlich ihren Bildungsgutschein in der Hand hatte. Ihr Arbeitsamtberater verlangte eine Einstellungszusage vom künftigen Arbeitgeber. Als sie damit zum Berater ging, gefiel ihm eine Formulierung im Arbeitgeberschreiben nicht. Bis der Brief das Wohlwollen des Beamten fand, lief der Kurs bereits zwei Tage. Nun wollte der Berater Claudia Schneider nicht mehr zur Fortbildung zulassen. Erst als diese sich lauthals zunächst beim Vorgesetzten des Beraters und, als das nicht fruchtete, beim Arbeitsamtschef beschwerte, durfte sie ihre Fortbildung antreten.

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass die Suche nach der richtigen Ausbildung monatelang dauert, sei es weil der Arbeitslose Markt und Anbieter nicht kennt, weil das Institut gerade nicht zertifiziert ist oder weil die Maßnahme nicht beginnen kann, da sich zu wenig Teilnehmer für den Kurs gemeldet haben.

Bisher hatte in der Regel stets das Arbeitsamt selbst Teilnehmer in Umschulungsmaßnahmen geschickt. Die Anbieter reichten die Kurse beim Staat ein und "brauchten sich nur die Millionen Euros abzuholen", wie es ein Insider böse formulierte. Dieses Verfahren führte dazu, dass immer wieder am Marktbedarf vorbei ausgebildet wurde und Institutsleiter alles taten, um ihre Kurse voll zu bekommen - oft auf Kosten der Qualität. So wurden auch die Anforderungen an die Bildungsinstitute verändert. Sie müssen heute nachweisen, dass 70 Prozent der Teilnehmer ein halbes Jahr nach Beenden des Kurses nicht mehr auf Staatskosten leben, also einen Job gefunden haben. Um die Qualität der Einrichtung zu garantieren, sollen sich diese theoretisch einem Test unterziehen. De facto ist es aber noch nicht so weit.

Weiterhin wurden landeseinheitliche pauschale Preise für die Kurse festgelegt, so dass im IT-Sektor eine Maßnahme mit etwa fünf bis sechs Euro pro Teilnehmer pro Stunde bezahlt wird. Bei 15 Teilnehmern für einen SAP-Kurs reiche das nicht mal für die Softwarelizenz-Gebühren, kommentiert ein frustrierter Schulungsanbieter.

Die Ausbildungsinstitute laufen Sturm gegen die Reformen aus Nürnberg. Ein Hauptkritikpunkt sei "das Chaos in den Arbeitsämtern", wie es der Geschäftsführer eines Schulungszentrums formulierte. Ein IT-Dozent, der gerade mit der ersten Bildungsgutschein-Klasse gestartet ist, beobachtet ein wenig zynisch: "Wenn fünf Arbeitslose mit vergleichbaren Abschlüssen und Lebensläufen zu fünf Beratern im gleichen Arbeitsamt gehen, kommen sie mit fünf unterschiedlichen Antworten heraus." Der eine bekommt den Bildungsgutschein, der zweite nicht, der dritte benötigt eine Einstellungszusage, der nächste wiederum keine, ein weiterer bekommt eine Liste mit Schulungsanbietern, ein anderer muss sich selbst alles aussuchen.

Unrealistische Forderungen

Rudolf Helfrich, Chef der Deutschen Angestellten Akademie (DAA), einem der größten Bildungsanbieter, versucht schon seit Monaten die Politiker in Berlin zu überzeugen, dass die neuen Gesetze falsch sind. Als Beweis führt er die rückläufigen Teilnehmerzahlen an: Rund 52000 Personen weniger hätten sich zwischen November 2002 und Februar 2003 an staatlich geförderten Schulungen beteiligt. "Wenn das so weitergeht, verabschieden wir im April 2004 den letzten Teilnehmer", so Helfrichs Rechnung. Er kann nicht verstehen, warum das "effizienteste Mittel" zur Integration von Arbeitslosen ins Berufsleben so stark beschnitten wird.

Siegried Schmauder, Geschäftsführer der TÜV Bildung- und Consulting GmbH in Berlin, weist auf einen eklatanten Widerspruch in der Vorgehensweise der Arbeitsämter hin. Gefordert seien modulare Kursbausteine, damit die Teilnehmer ständig einsteigen könnten. Das sei unrealistisch, wenn Schüler etwa einen IHK-Abschluss anstrebten. Die Prüfungen fänden immer zu vorher festgelegten Terminen statt, an denen sich die Lerner zu richten hätten. Und wie solle man wirtschaftlich arbeiten, wenn im ersten Modul zehn Teilnehmer seien und dann womöglich einige aufhörten?

Alexander Spermann vom Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim kritisiert vor allem die 70-Prozent-Regelung. Sie sei an der Realiät vorbeikonzipiert. Insbesondere bei Kursen in den neuen Bundesländern und bei Langzeitarbeitslosen sei schon eine Vermittlungsquote von 50 Prozent ein hervorragendes Ergebnis. Ehrlicherweise müsste man Vergleichsgruppen heranziehen, die an so einer Weiterbildung nicht teilnehmen, um festzustellen, wer erfolgreicher ist.

Für Christoph Mandel, Geschäftsführer des auf IT-Training spezialisierten Bildungsträgers CDI, ist besonders ärgerlich, dass vor allem die IT-Weiterbildung so stark reduziert wird. Die Arbeitsämter sähen nur die zurzeit hohen Arbeitslosenzahlen, würden aber das Potenzial dieser Branche verkennen.

Trainingsanbieter sollten sich mehr anstrengen

Die Bundesanstalt für Arbeit argumentiert damit, dass ihr Hauptziel nicht darin liegen könne, den Schulungsanbietern die Klassen und Kassen zu füllen, sondern die Arbeitslosen in Lohn und Brot zu bringen. Man verlege sich deshalb die Arbeit verstärkt auf andere arbeitsmarktpolitische Schwerpunkte wie die Einrichtung von Personal-Service-Agenturen und die Gewährung von Lohnkostenzuschüssen, versichert Hans-Uwe Stern, zuständig für die Förderung der beruflichen Bildung bei der Bundesanstalt für Arbeit. Stern kann auch die Aufregung wegen der 70-Prozent-Quote nicht verstehen. Er habe Gespräche mit Bildungsanbietern geführt, die die Einführung dieser Hürde begrüßten, weil damit endlich die Spreu vom Weizen im Bildungsmarkt getrennt werde und die schwarzen Schafe vom Markt verschwänden. Jürgen Czupalla vom Arbeitsamt Stuttgart bestätigt die Trendaussagen seines Kollegen aus Nürnberg, also weg von der Weiterbildung hin zu alternativen Eingliederungsmöglichkeiten. Er hat auch kein Mitleid mit den Bildungsanbietern. "Sie sollen sich um zusätzliche Kunden kümmern", formuliert er lapidar.

*Richtiger Name der Redaktion bekannt.

Bildungsgutscheine

Arbeitslose können sich künftig das Weiterbildungsinstitut selbst auswählen. Sie erhalten vom Arbeitsamt einen Bildungsgutschein, mit dem ein bestimmtes Bildungsziel festgelegt wird. Die Ausführungsbestimmungen werden sehr unterschiedlich gehandhabt. So benötigen Teilnehmer in einigen Ämtern sogar eine Einstellungszusage vom künftigen Arbeitgeber, um den Bildungsgutschein zu erhalten. Damit soll sichergestellt werden, dass der Arbeitslose nachher auch unterkommt. In anderen Fällen wird vom Bildungsanbieter verlangt, dass er garantiert, dass 70 Prozent der Teilnehmer nach Beenden des Kurses nicht mehr auf Staatskosten leben, sprich einen Job gefunden haben.

Die Bundesanstalt für Arbeit ist dazu übergegangen, neben der Weiterbildung auch die Mitarbeiter oder die Arbeitgeber direkt mit Lohnkostenzuschüssen zu unterstützen. Das bedeutet, dass das Arbeitsamt einen bestimmten Prozentsatz des Gehaltes einige Monate übernimmt. Ausführliche Informationen zu all diesen Bestimmungen sind im Internet unter www.arbeitsamt.de erhältlich.

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Nach ersten Erfahrungen von Jobsuchenden mit den Bildungsgutscheinen scheint jede Behörde die Neuregelung anders auszulegen, was zu viel Ärger und Irritationen führt. Wer hat bereits erste Erfahrungen mit diesem Gesetz gemacht? Über einen Kommentar unter www.computerwoche.de dazu würden wir uns sehr freuen.