Kommt die Internet-Ausrichtung des früheren Netzprimus zu spät?

Umsatzdelle und Gewinnrückgang lassen bei Novell Schlimmeres befürchten

12.05.2000
MÜNCHEN (CW/IDG) - Netzsoftware-Spezialist Novell hat die Analysten auf ein enttäuschendes zweites Quartal eingestimmt. Nach einer vergangene Woche veröffentlichten Gewinnwarnung rechnet das Unternehmen mit einem rückläufigem Umsatz und einem eher mageren Profit.

Gewinne und Umsätze werden im zweiten Quartal 2000 (Ende: 30. April) geringer ausfallen als ursprünglich prognostiziert, teilte die US-Company mit. Demnach erwarte man Einnahmen von etwas mehr als 300 Millionen und einen Gewinn von 56 Millionen Dollar beziehungsweise acht Cent je Aktie. Ursachen für das schlechte Abschneiden seien ein leichter Rückgang des Lizenzgeschäfts mit Großkunden sowie der allgemein schleppende Verkauf von Netzsoftware über den eigenen "Channel", ließ Senior Vice President und Chief Financial Officer (CFO) Dennis Raney offiziell erklären. Zudem hätten die Einführung von Windows 2000 und das wachsende Interesse des Marktes an Linux-Produkten zu einer Verunsicherung der Kunden und einer dadurch bedingten Investitionszurückhaltung geführt.

Beobachter an der Wallstreet zeigten sich von diesen Zahlen überrascht - nicht so sehr von der Tendenz, aber von ihrem Ausmaß. Immerhin hatten sich die Prognosen der meisten Analysten zuletzt bei einem Gewinn von 16 Cent je Aktie eingependelt. Im Vergleichsabschnitt des Vorjahres sowie im ersten Quartal 2000 hatte Novell immerhin noch jeweils 316 Millionen Dollar Umsatz und einen Profit von 16 beziehungsweise 13 Cent je Anteilschein ausgewiesen. Die Novell-Aktie brach nach Bekanntgabe der Gewinnwarnung im nachbörslichen Handel um über 30 Prozent ein und notierte Anfang dieser Woche nur noch knapp über zehn Dollar, der tiefste Stand seit eineinhalb Jahren.

Directories alleine genügen nichtImmer mehr Experten sehen Novell erneut in schwieriges Fahrwasser geraten. Zwar ist es der Company unter Führung von CEO Eric Schmidt in den vergangenen drei Jahren gelungen, wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen. Doch der eingeschlagene Kurs in Richtung Internet und E-Business kommt offenbar zu spät und greift zu kurz. Software für Internet-Verzeichnisse, Datensicherheit und Netz-Management locken als alleiniges Business-Modell niemandem mehr hinter dem Ofen vor, heißt es. Zudem biete Erzrivale Microsoft mit Windows 2000 einmal mehr integrierte Features zur Netzverwaltung an, die mit den Kernprodukten von Novell konkurrieren. Als geradezu verhängnisvoll erweise sich, so die Kritiker, dass Novell vergleichsweise spät neue Lösungen, beispielsweise für den elektronischen Handel, angekündigt hat. Bis heute könne das Unternehmen zudem kein tragfähiges Konzept für das Application-Service-Providing (ASP) anbieten.

"Im letzten Quartal war es das Jahr-2000-Problem, dieses Mal Windows 2000 und Linux, was kommt in drei Monaten?" machten einige Analysten ihrer Enttäuschung Luft. "Ende des Jahres werden sich unsere Maßnahmen und neue Produkte in den Verkaufszahlen niederschlagen", stellte Raney jetzt in Aussicht. Vermutlich eine letzte Galgenfrist. Schon jetzt läuteten bei vielen Fachleuten die Alarmglocken, denn das Novell-Ergebnis, das am 23. Mai offiziell bekannt gegeben werden soll, wird auch noch durch eine einmalige Lizenzgebühr von Caldera Systems in Höhe von 35 Millionen Dollar geschönt, die aus der Beilegung eines Antitrust-Verfahrens zwischen Caldera und Microsoft herrührt.