Umgangsformen: Lackaffen unerwünscht

21.11.2001
Ob Vorstellungsgespräch oder Geschäftsessen - gute Manieren und passende Kleidung verschaffen gerade in schwierigen Zeiten bei der Jobsuche echte Karrierevorteile. Mit der Wiener Buchautorin und Stilberaterin Brigitte Nagiller sprach CW-Redakteurin Ingrid Weidner.

CW: Weshalb erleben gute Umgangsformen gerade jetzt eine Renaissance? Sind in schwierigen Zeiten gutes Benehmen und Etikette wieder wichtig?

Nagiller: Entwicklungen verlaufen wellenförmig. Im Gegensatz zu den 70er und 80er Jahren gewinnen gute Umgangsformen wieder eine größere Bedeutung, nachdem sich die Leute in den letzten 30 Jahren wenig darum gekümmert haben.

Brigitte Nagiller Quelle: Ueberreuter
Brigitte Nagiller Quelle: Ueberreuter

Der gesellschaftliche Wertewandel geht seit einiger Zeit in diese Richtung. Unsere Wirtschaft hat mit ihren Produkten ein so hohes Qualitätsniveau erreicht, dass sich der Wettbewerb von den Produkten in andere Bereiche verlagert.

Die Kommunikation, und dazu zählen natürlich auch die Umgangsformen, gewinnt immer mehr an Bedeutung, besonders weil viele Aufgaben die Kooperation mit unterschiedlichen Menschen einschließen. Wie man miteinander umgeht, ist daher besonders wichtig. Natürlich hat die boomende Wirtschaft in der Vergangenheit viel dazu beigetragen, auch Umgangsformen lockerer zu handhaben. Jetzt wird es überall enger, also verlangt man mehr und mehr wieder nach Regeln.

CW: Hat der legere Kleidungsstil der New Economy mit Turnschuhen und T-Shirt keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen? Ist vom lockeren Umgangston und der damit assoziierten Lässigkeit nichts übrig geblieben?

Nagiller: Nachdem es mit vielen Unternehmen der New Economy bergab gegangen ist, werden Turnschuhe und T-Shirt am Arbeitsplatz wieder in Frage gestellt. Das heißt natürlich nicht, dass generell wieder der Ruf nach Anzug, Hemd und Schlips laut wird. Aber ein Trend zu etwas gepflegterer, konservativerer Kleidung ist durchaus zu erkennen. Wichtig ist vor allem, dass man, was Umgangsformen betrifft, situationsbedingt richtig agiert. Das hat nichts mit Steifheit und angelernten Ritualen zu tun. Vielmehr kommt es darauf an, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann es lockerer zugehen kann und wann es angebracht ist, gewisse Regeln zu beachten. Wer sich in der Kantine und auf dem Tennisplatz benimmt, als befände er sich auf einem eleganten Festbankett, ist genauso daneben wie umgekehrt.

CW: Wer lässt sich von Ihnen in Stil- und Kleidungsfragen beraten?

Nagiller: Momentan herrscht bei diesem Thema sowohl im Topmanagement als auch bei Berufseinsteigern Nachholbedarf. Bei den Berufsanfängern grassiert teilweise eine verblüffende Ahnungslosigkeit; viele haben sich noch kaum mit dem Thema beschäftigt. Andere Teilnehmer haben schon Karriere gemacht. Zwar sind sie fachlich exzellent, doch wenn es um die Repräsentation des Unternehmens geht, ist mit ihnen kein Staat zu machen. Sogar Vorstände großer internationaler Konzerne lassen sich trainieren, weil sie sich als Gastgeber unsicher fühlen.

CW: Was sind die tückischsten Hürden für Frauen und Männer bei der Kleidung? Wo liegen die Fußangeln bei offiziellen Anlässen, beispielsweise einer Einladung zum Vorstellungsgespräch oder zum Geschäftsessen?

Nagiller: Die Branche sowie die Position innerhalb der Firma, etwa ob Führungsfunktion, Kundenverkehr oder im Back Office, bestimmen auch das Outfit. Das ist besonders für Vorstellungsgespräche wichtig. Wenn man sich für einen kreativen Job bewirbt und in langweiliger, allzu konservativer Kleidung antanzt, wird man keinen guten Eindruck hinterlassen. Wer sich für einen Job in einer konservativen Branche bewirbt und mit pinkfarbenen Haaren zum Vorstellungsgespräch kommt, reduziert ebenfalls seine Chancen. Dagegen rate ich bei offiziellen Anlässen oder einem Geschäftsessen zu formeller Kleidung, ganz egal, in welcher Branche man arbeitet.

CW: Wie genau müssen aufstiegsorientierte Berufstätige die Regeln für Kleidung und Verhalten kennen?

Nagiller: Berufstätige mit Karriereambitionen tun gut daran, ihre eigenen Umgangsformen kritisch zu hinterfragen und zu überlegen, ob sie der angestrebten Position entsprechen. Kleidung, gepflegtes Äußeres und gute Umgangsformen können durchaus als Marketing-Instrumente für die eigene Person gesehen werden. Bisher beachten noch viel zu wenige Berufstätige, dass diese Faktoren Teil der eigenen Erfolgsstrategie sein können.

CW: Und wenn sich alle gleich passend kleiden?

Nagiller: Niemand sollte starre Regeln befolgen, keiner sollte Benimmregeln auswendig lernen und sich krampfhaft daran klammern. Mir sind authentische Menschen mit eigener Persönlichkeit lieber als solche mit herzlos antrainierten Manieren. Aber oft merkt man selbst nicht, wenn man sich danebenbenimmt, und die Konkurrenz im Betrieb wird sich hüten, den Kollegen darauf aufmerksam zu machen. Meine Empfehlung lautet deshalb: Man sollte sich informieren und das eigene Verhalten kritisch beobachten, sowohl was Umgangsformen als auch was Outfit betrifft. Außerdem tragen gepflegte Umgangsformen dazu bei, die eigene Kompetenz zu stärken. Und wer braucht das nicht im Berufsleben?

CW: Worauf müssen besonders Frauen achten? Was gilt für Männer als Fauxpas?

Nagiller: Sowohl Frauen als auch Männer sollten daran denken, dass sie mit ihrer Erscheinung das Unternehmen repräsentieren, für das sie tätig sind. Das Aussehen der Mitarbeiter trägt viel zum Image der Firma bei.Weiterhin ist es wichtig, sich kritisch mit dem eigenen Erscheinungsbild, Stärken und Schwächen auseinander zu setzen. Der tägliche kritische Blick von allen Seiten in einen Ganzkörperspiegel sollte zur Gewohnheit werden. Nicht nur am Anfang des Arbeitstages, wenn man (hoffentlich) frisch geduscht und gekleidet das Haus verlässt, sondern auch nach einem hektischen und anstrengenden Tag im Büro.

CW: Sie bieten Seminare für Stil und Etikette an. Mit welchen Aspekten Ihres Kurses überraschen Sie die Teilnehmer am meisten?

Nagiller: Besonders interessiert sind sowohl Männer als auch Frauen am Kleidungsthema. Das Aufzeigen von Tricks und Tipps zur Verstärkung der eigenen Kompetenz und wie man sich besser in den richtigen Farben fühlt, stößt auf großes Interesse. Besonders Männer, die sich offensichtlich selten mit diesem Thema auseinander setzen, können davon nicht genug kriegen.

CW: Wo hapert es bei den Teilnehmern am meisten?

Nagiller: Die Tischmanieren lassen häufig sehr zu wünschen übrig. Ein weiterer Punkt ist der rücksichtslose Umgang mit der Zeit anderer Menschen. Da wird während einer Besprechung telefoniert, andere kommen zu spät und lassen Leute warten, dabei gehört Zeit-Management ebenfalls zum guten Stil.

CW: Gibt es Ihrer Meinung nach Unterschiede zwischen verschiedenen Wirtschaftsbereichen bezüglich Verhalten und Kleidung, beispielsweise im Bankgewerbe, bei Versicherungen oder in der IT-Branche?

Nagiller: Die Kleidung richtet sich sehr stark nach der Branche. Während in konservativen Branchen, beispielsweise bei Banken, Versicherungen oder von beratend tätigen Menschen wie Consultants, Wirtschaftstreuhändern, Notaren oder Anwälten, nach wie vor ein konservativer Kleidungsstil verlangt wird, geht es in der Mode- oder der Werbebranche auch kleidungsmäßig kreativer zu. Die IT-Branche hat mit ihrem legeren Kleidungsstil sicher neue Maßstäbe gesetzt und auch konservativere Teile der Wirtschaft beeinflusst. Aber, wie bereits gesagt, auch hier wird’s wieder formeller.

CW: Scheitern Bewerber aufgrund ihrer schlechten Manieren oder Kleidung?

Nagiller: Leiter von Personalabteilungen und Unternehmensberater erzählen mir immer wieder, dass Bewerber nach erfolgreich absolvierten Hearings zum Essen eingeladen werden. Dort beobachten die potenziellen Arbeitgeber genau, welches Bild die künftigen Mitarbeiter an der großen Tafel machen. Sie testen gezielt die Tischmanieren und Tischgespräche. Was viele Bewerber als Auszeichnung für ihre gute Leistung sehen, erweist sich manchmal als Stolperstein. Denn natürlich wird dann derjenige genommen, der auch hier eine gute Figur macht.

CW: Sind Kleidung, Verhalten und Etikette wichtiger als Können und Fachwissen?

Nagiller: Natürlich nicht. Das Fachwissen bleibt selbstverständlich das entscheidende Kriterium. Aber in Zeiten des starken Konkurrenzkampfes ist diejenige Person im Vorteil, die zusätzlich zum Fachwissen auch mit ihrem Aussehen eine gute Figur macht und gepflegte Umgangsformen hat. Wobei natürlich Authentizität und Herzenswärme eine große Rolle spielen. Menschen, die diese besitzen, sind mir allemal lieber als Lackaffen.