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Übt sich Microsoft-Chef Sibold in ideologischer Unterstellungskampagne?

06.02.2002
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Jörg Tauss, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion, hat deutliche Worte der Kritik an einem offenen Brief von Kurt Sibold, Chef der Microsoft GmbH, geäußert. Er behauptet, das "marktbeherrschende Unternehmen starte regelrechte Marketing-Offensiven und versuche, massiv Einfluss auf parlamentarische Entscheidungen des Ältestenrats zu nehmen." Tauss lastet Sibold eine "ideologische Unterstellungskampagne" an.

In einem offenen Brief an den Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse fährt Tauss schweres Geschütz gegen Microsoft-Mann Sibold auf. Hinsichtlich der bevorstehenden Entscheidung zur neuen IT-Ausstattung für den Deutschen Bundestag sei durch den Brief des Microsoft-Deutschland-Chefs an mehrere Abgeordnete (Computerwoche online berichtete), die Mitunterzeichner einer Pro-Linux-Petition (www.bundestux.de) sind, eine weitere Eskalation eingeleitet worden.

Sibold erwecke in dem Schreiben den Eindruck, den Unterzeichnern gehe es um eine Vorablehnung des Microsoft-Angebots und um eine Verunglimpfung der Mitarbeiter von Microsoft. Tauss reibt sich an Sibolds Argumentation, eine demokratisch gefällte Entscheidung für den Einsatz von Linux könne nur heißen, Microsoft-Produkte seien per se nur als undemokratisch und in diesem Sinne unverantwortbar anzusehen. Beides würde nicht zutreffen.

Die Entscheidung für oder gegen ein Softwareprodukt richte sich einzig und allein an Kriterien wie hinreichende Verfügbarkeit, ausreichende Anwenderorientierung und Funktionalitäten sowie nicht zuletzt an den gerade für die öffentlichen Bereiche unabdingbaren Fragen der umfassenden IT-Sicherheit aus. Natürlich seien auch Kosten ein zentraler Aspekte zur Bewertung bestehender Alternativen.

Massiver Einfluss auf parlamentarische Entscheidungen

Im weiteren wird Tauss dann sehr deutlich in seiner Kritik an Microsoft-Chef Sibold: Es falle, schreibt Tauss, allerdings schwer, die Sachlichkeit in dieser Angelegenheit zu wahren, "wenn marktbeherrschende Unternehmen regelrechte Marketing-Offensiven starten und massiv Einfluss auf parlamentarische Entscheidungen des Ältestenrats zu nehmen versuchen". Diese Einflussnahme reiche "von sachfernen Publicity-Aktionen, wie das Angebot, den Quellcode von proprietären Produkten zwar dem Bundestag zur Verfügung zu stellen, nicht aber dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), bis hin zu kaum nachvollziehbarem Zahlenmaterial hinsichtlich der tatsächlichen und verdeckten Kosten von Konkurrenzprodukten." Solche Aussagen seien, kritisiert Tauss, allein als politische Argumente in einer politischen Debatte zu bewerten. Das Unternehmen Microsoft dürfte sich dabei, so der Politiker weiter, über sein Tun sehr wohl im Klaren sein.

Es stelle sich die Frage, ob bundesrepublikanische Gremien ihre Entscheidungen noch frei und ohne äußeren Druck treffen könnten oder nicht. Nicht zuletzt aufgrund der gewählten PR-Strategie des Marktführers, so Tauss, ist immer weniger von Sachargumenten die Rede, zunehmend stünden Unterstellungen im Mittelpunkt, wie eine angebliche ideologische Verbrämung einiger Linux-Befürworter.

Technologische Monokultur aufweichen

Gerade mit Blick auf die noch längst nicht abgeschlossenen kartellrechtlichen Verfahren in den USA und Europa, in denen Microsoft wettbewerbswidriges Monopolverhalten vorgeworfen wird, argumentiert Tauss, sei es begrüßenswert, wenn die "technologische Monokultur aufweiche". Dies müsse insbesondere dann gelten, wenn Alternativen kostengünstiger seien und die Entwicklung zu großen Teilen in der europäischen Entwicklergemeinde realisiert worden seien. Das entscheidende Argument für Open Source sind, so Tauss, dessen deutlich höhere Potenziale bezüglich IT-Sicherheit, Datensicherheit und Stabilität.

Die jüngste Aufforderung von Microsoft-Firmengründer Bill Gates an seine Entwickler, in Zukunft in der Softwareentwicklung der Förderung von Sicherheit und Stabilität die Priorität vor Funktionserweiterungen einzuräumen, sei sehr begrüßenswert. Offen bleibe aber selbst dann noch die Frage nach der Einhaltung offener Standards, wie sie gerade für Open-Source-Produkte von grundlegender Bedeutung ist. Hinsichtlich der künftigen Kompatibilität und der Archivierung wirken sich etwa proprietäre Dokumentenstandards zunehmend negativ aus, schreibt Tauss an Bundestagspräsident Thierse. "Auch hier wäre ein Politikwechsel im Hause Microsoft wünschenswert und ein wichtiges Signal."

 Ideologische Unterstellungskampagne

Eine Entscheidung für den Einsatz von Open-Source-Software im Deutschen Bundestag wäre alles andere als eine Entscheidung gegen Microsoft. Allerdings handelte es sich, würde eine Entscheidung pro Linux fallen, um eine politische Entscheidung, weil sie klaren Sachkriterien, dezidierten politischen Zielvorstellungen und vor allem transparenten Verfahren folgen würde. Open Source-Software einzusetzen, sei wettbewerbspolitisch, standortpolitisch, haushaltspolitisch und sicherheitspolitisch vernünftig. Zu guter Letzt schreibt Tauss dem Vorsitzenden der Microsoft-Geschäftsführung noch eine Benimmregel ins Stammbuch: Der Entscheidung über die künftige IT-Ausstattung des Deutschen Bundestages sollte eine sachliche Analyse und Bewertung nach den genannten Kriterien vorangehen, nicht aber eine "ideologische Unterstellungskampagne." (jm)