Anpassungsschwierigkeiten lassen sich überwinden

Überwiegend gute Erfahrungen mit Mitarbeitern aus der DDR

01.06.1990

*Dr. Manfred zur Nieden ist Geschäftsführer der PA Consulting Group - Personalberatung, Düsseldorf

Ehemalige DDR-Bürger haben Anpassungsschwierigkeiten an das leistungsorientierte System der Marktwirtschaft. Trotzdem beurteilen Personalchefs die neuen Mitarbeiter aus dem Osten überwiegend positiv. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Düsseldorfer PA Consulting Group, die im Frühjahr dieses Jahres bei Unternehmen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde.

Rushhour in der Düsseldorfer Innenstadt: Hans W. aus Thüringen, der bei einem Düsseldorfer Unternehmer als Chauffeur beschäftigt ist, steigt entnervt aus dem Wagen und kündigt auf der Stelle. Er ist dem Streß im täglichen Berufsverkehr einer westdeutschen Großstadt nicht gewachsen. Solche Erfahrungen mit ehemaligen DDR-Bürgern sind nicht selten. Ein Unternehmen berichtet von einem Übersiedler, der als Installateur eingestellt worden ist: Er will kein Kupferrohr verlegen - es sei zu schön, um unter Putz gelegt zu werden.

Sorgfältige Auswahl erspart Überraschungen

Seit der Öffnung der Mauer haben viele nordrhein-westfälische Unternehmen Übersiedler eingestellt - nicht alle machten mit ihnen so extreme Erfahrungen wie in den beschriebenen Fällen. Die PA Consulting Group hat die Verantwortlichen zu ihren Erfahrungen mit ehemaligen DDR-Bürgern befragt. Angesprochen wurden Firmen aus den Bereichen Maschinenbau, Elektro-Elektronik und Metallverarbeitung. Die befragten Arbeitgeber hatten zur Zeit der Umfrage 169 Übersiedler im technischen Bereich eingestellt - übrigens durchwegs Männer. Hier rangieren Facharbeiter (59 Prozent) vor Ingenieuren (33 Prozent) und Ungelernten (8 Prozent).

Die besten Erfahrungen haben Unternehmen gemacht, die sorgfältig unter den Bewerbern

auswählten, anschließend die neuen Mitarbeiter gründlich einarbeiteten und teilweise auch intern umschulten. Damit wurden die Ost-Fachkräfte auch für - bei westdeutschen Arbeitnehmern - eher unbeliebte Tätigkeiten gewonnen. Eine Maschinenbaufirma setzt zum Beispiel DDR-Übersiedler als lnbetriebnahme-Monteure im Ausland ein. "Da die Arbeitnehmer aus der DDR bisher kaum etwas von der Welt gesehen haben, reisen sie noch gerne", so der Personalchef des zufriedenen Unternehmens.

Die größten Schwierigkeiten gab es der Umfrage nach in den Bereichen Elektronik und Konstruktion, die einen hohen technischen Standard aufweisen. Gerade hier stoßen ehemalige DDR-Bürger schnell an ihre Qualifikationsgrenzen. Es fehlt am nötigen Fachwissen, zum Beispiel für die Arbeit an computergesteuerten Anlagen. Die Planung und Entwicklung von Projekten - etwa im Bereich der Meß- und Regeltechnik - ist damit von vornherein ausgeschlossen. Viele Ingenieure und Facharbeiter müssen den Umgang mit den modernen Arbeitsmitteln und -methoden erst von Grund auf erlernen.

Im Westen gehen die Uhren etwas anders

Neben Defiziten in der fachlichen Qualifikation haben DDR-Monteure und -Ingenieure auch Probleme, sich in den bundesrepublikanischen Arbeitsalltag einzufügen. "Der Unterschied zur DDR ist, daß hier in der Bundesrepublik Deutschland immer Arbeitsmaterial vorhanden ist", beschreibt ein neuer Mitarbeiter seine für ihn überraschende Erfahrung mit westlicher Logistik. Viele DDR-Übersiedler müssen sich erst an das Arbeitstempo in den Unternehmen gewöhnen, denn in der DDR waren längere Pausen, vor allem wegen Materialmangel, und eine geringere Arbeitsgeschwindigkeit üblich. Einkäufe und Behördengänge wurden, wenn wieder einmal die Produktion stoppte, während der Arbeitszeit erledigt.

Weitere Anpassungsschwierigkeiten ergeben sich aus dem Unterschied zwischen dem Alltag in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland. Wurden die Übersiedler vorher beispielsweise bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Kindergartenplatz staatlich "betreut", so finden sie sich jetzt oft - auf sich selbst gestellt - nicht zurecht. Denn Eigeninitiative ist für zahlreiche neue Mitbürger aus dem realen Sozialismus eine Tugend, die sie erst noch erlernen müssen. So verwundert auch nicht, daß viele Übersiedler die Wahl einer Arbeitsstelle von den sozialen Einrichtungen am Wohnort oder in der Firma abhängig machen.

Am Anfang häufiger Arbeitsplatzwechsel

Die ehemaligen DDR-Bürger sind nach den Ergebnissen der Umfrage gut über die Verdienstmöglichkeiten in der Bundesrepublik informiert. Das Lohnargument spielt denn auch bei der Wahl des Unternehmens eine große Rolle. Arbeitsverhältnisse werden schnell wieder gekündigt, wenn in einem anderen Unternehmen mehr Geld zu verdienen ist. Von den neu eingestellten Arbeitskräften hatten zum Zeitpunkt der Umfrage 20 Prozent das Unternehmen bereits wieder verlassen - meist aufgrund eigener Kündigung. Am niedrigsten lag die Anfangsfluktuation bei den Ingenieuren mit rund zehn Prozent.

Weiterhin gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Interessantes Randergebnis der Untersuchung: Seit der Öffnung der Grenze bewerben sich bei nordrhein-westfälischen Unternehmen immer mehr Bürger, die zur Zeit noch in der DDR leben. Ihre Chancen auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt stehen nicht schlecht. Denn trotz anfänglicher Anpassungsprobleme sammelten die befragten Firmen bisher überwiegend gute Erfahrungen mit ehemaligen DDR-Bürgern.

Die Untersuchung der PA Consulting Group kam damit zu einem ähnlichen Ergebnis wie die aktuelle Betriebsumfrage der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände. Der allgemeine Arbeitskräftemangel - besonders das Fehlen qualifizierten Fachpersonals - und positive Erfahrungen sorgten demnach dafür, daß 1989 jeder dritte neugeschaffene Arbeitsplatz mit einem der 720 000 Aus- oder Übersiedler besetzt wurde, die allein im letzten Jahr in die Bundesrepublik kamen. Von den Betrieben, die 1989 noch keine Arbeitnehmer aus dem Osten beschäftigten, planen 80 Prozent für 1990 die Einstellung von Aus- und Übersiedlern.