Überkapazitäten sind weitgehend abgebaut

Überkapazitäten sind weitgehend abgebautDie Festplattenhersteller hoffen auf den Aufschwung

15.01.1999
MÜNCHEN (wh) - Nach einem enttäuschenden Geschäftsjahr blicken die Anbieter von Festplattenlaufwerken für 1999 wieder optimistisch in die Zukunft. Überkapazitäten wurden weitgehend abgebaut, Entwicklung, Fertigung und Vertrieb rationalisiert. Trotz wieder anziehender Verkäufe scheint die Zukunft nicht für alle Anbieter gesichert. Fest steht nur: Die Preise fallen weiter.

Hans-Dieter Blaser, Vice-Pre- sident Sales Central Europe beim weltweit größten Festplattenhersteller Seagate, klingt leicht re- signiert: "Ein halbes Jahr geht es der Branche gut, dann folgt wieder eine Talfahrt." Es gebe keine verläßlichen Prognosen bezüg- lich der Marktentwicklung. "Kein Mensch kann Ihnen sagen, was er in einer Woche braucht, schon gar nicht, was in einem Jahr sein wird." Mit diesem "Schweine- zyklus", wie es Blaser nennt, müßten alle Festplattenhersteller leben.

Die letzte Schwächeperiode, die bereits Mitte 1997 begann, hat der Branche besonders zugesetzt. Verschiedene Faktoren trugen dazu bei, daß die Geschäftsergebnisse fast aller etablierten Anbieter zum Teil dramatisch einbrachen. Mit der wachsenden Popularität von Billig-PCs sahen sich etliche Rechnerhersteller gezwungen, bei den Komponenten Kosten einzusparen, um so die Gewinnmargen auf einem erträglichen Niveau zu halten. PC-Anbieter kauften verstärkt preisgünstigere Laufwerke ein. Ferner setzten insbesondere die großen PC-Hersteller alles daran, ihre Produktions- und Vertriebsorganisationen zu verschlanken. Just-in-time-Fertigung und eine entsprechend veränderte Vorratshaltung waren die Folgen. Die bis dato hohen Lagerbestände an PC-Komponenten wurden weitgehend abgebaut; eine Zeitlang orderten die Einkäufer kaum neue Disk Drives.

Auf seiten der Festplattenanbieter kam es zu massiven Überkapazitäten, die Preise rutschten in den Keller. Die Analysten von Disktrend, einem auf Speichermedien spezialisierten Marktforschungsunternehmen mit Sitz im kalifornischen Mountain View, belegen diese Entwicklung mit Zahlen. So lag der durchschnittliche Preis pro MB aller 1997 ausgelieferten Plattenlaufwerke knapp unter zehn Cents. Im abgelaufenen Jahr 1998 fiel der Wert unter fünf Cents. Noch vor zehn Jahren mußten Kunden stolze elf Dollar für ein MB ausgeben.

Mit dem Eintritt neuer Marktteilnehmer aus dem asiatisch- pazifischen Wirtschaftsraum verschärfte sich die Wettbewerbssituation weiter. Nach Berechnungen von IDC haben die drei größten Festplattenanbieter Seagate, IBM und Western Digital seit 1996 rund 25 Prozent ihrer Marktanteile verloren. Sogenannte Second-Tier-Anbieter wie Fujitsu, Maxtor und Samsung konnten dagegen kräftig zulegen. Die Marktforscher von Disktrend weisen darauf hin, daß in den vergangenen Jahren insbesondere solche Hersteller schneller als die Branchengrößen gewachsen seien, die ihren Sitz nicht in den USA haben. 1997 entfielen den Angaben zufolge 22,7 Prozent der weltweit erzielten Umsätze auf diese Gruppe. Im Jahr 2001 soll deren Anteil am Festplattengeschäft bereits 30 Prozent betragen. Disktrend nennt vor allem Fujitsu und Samsung als Nutz- nießer.

Nach Ansicht von Branchenexperten konnten die asiatischen Anbieter in den vergangenen 18 Monaten in hohem Maße von Währungsschwankungen profitieren und ihre Produkte zum Teil erheblich billiger als die Konkurrenten aus den USA anbieten.

Gerüchten zufolge konnten Festplattenhersteller aus Fernost infolge der Asienkrise Komponenten von Zulieferern um 30 bis 40 Prozent unter dem Marktpreis beziehen. Im Gegenzug statteten sie die notleidenden Firmen mit dringend benötigten Barmitteln aus, die ihnen das Überleben sicherten. US-Hersteller blieben bei diesen Geschäften außen vor.

Ein weiteres Problem stellt für die Festplattenanbieter offenbar die realistische Einschätzung des Marktes dar. Ein Mitarbeiter eines deutschen IT-Distributors, der ungenannt bleiben wollte, erklärte gegenüber der COMPUTERWOCHE die Gewinneinbrüche der Hersteller unter anderem damit, daß man sich bei den Vorhersagen verschätzt habe. "Es war einfach zuviel Ware am Markt. Die Hersteller haben aufgrund falscher Marktzahlen zuviel produziert." Inzwischen hätten alle Anbieter gemerkt, "daß es so nicht weitergehen kann". Einschlägige Prognosen würden konservativer betrachtet.

Bescheidenes Wachstum seit 1997

Als Folge dieser Entwicklungen gingen nicht nur die Preise für Disk Drives, sondern auch die Aufträge seit Mitte 1997 deutlich zurück. Nach Berechnungen des US-Marktforschungsinstituts Peripheral Research Corp. sind die Festplattenauslieferungen 1998 im Vergleich zum Vorjahr weltweit lediglich um sechs Prozent gestiegen. 1997 und in den Jahren zuvor hatte die Branche noch Wachstumsraten um 20 Prozent verzeichnet. Bezeichnend ist, daß die Experten von Disktrend oder IDC hier zum Teil deutlich abweichende Zahlen nennen.

Besonders hart traf die lange Talfahrt der Branche den Marktführer Seagate. Im Januar 1998 kündigte der Hersteller aus dem kalifornischen Scotts Valley an, 10000 Mitarbeiter zu entlassen. Für das letzte Geschäftsjahr 1998 (Ende: 3. Juli 1998) mußte das Unternehmen einen Verlust in Höhe von 530 Millionen Dollar hinnehmen. Erst seit dem vierten Quartal können die Kalifornier wieder schwarze Zahlen melden. Für das erste Quartal 1999 (Stichtag: 3. Oktober 1998) verbuchte man einen Gewinn von 46 Millio- nen Dollar. "Das Schlimmste haben wir hinter uns", erklärte kürzlich Seagates Marketing-Manager Dave Anderson (siehe CW 45/98, Seite 65).

Bereits im Dezember 1997 hatte der Hersteller bekanntgegeben, eine Festplattenproduktionsstätte in Irland zu schließen. In der Folge würden 1400 Arbeitskräfte ihren Job verlieren. Die Entscheidung für ein weiteres, rund 225 Millionen Dollar teures Werk auf der grünen Insel wurde zudem wieder in die Gremien verwiesen. In den USA schloß Seagate zwei seiner fünf Design-Center. Jenseits des großen Teichs wurden zudem Verkaufs- und Marketing-Aktivitäten heruntergefahren beziehungsweise schlanker organisiert. Im März 1998 kündigte Seagate an, die Produktion von 2,5-Zoll-Festplatten für Notebooks einzustellen. Laut Europa-Manager Blaser ist die Reorganisation mittlerweile abgeschlossen. Der Hersteller beschäftige jetzt noch zirka 85000 Mitarbeiter, früher waren es rund 100000.

Seagate steht mit seinen Problemen nicht allein. Auch Quantum und Western Digital mußten dem harten Wettbewerb Tribut zollen und fuhren enttäuschende Ergebnisse ein. Als einziger US-Hersteller konnte offenbar die IBM mit ihrer Festplattensparte von den Entwicklungen profitieren. Insbesondere im High-end - mit hochkapazitiven Laufwerken für Server also - gelang es den Marketiers, dem Marktführer Seagate Anteile abzujagen. Noch vor zwei Jahren lieferte Seagate rund viermal so viel Festplatten aus wie IBM, berichtet IDC. Schon im kommenden Quartal werde der Konzern aus Armonk mit einem Marktanteil von 37 Prozent dem Konkurrenten im High-end (44 Prozent) dicht auf den Fersen sein.

Inzwischen gehen fast alle Experten davon aus, daß die Festplattenindustrie den Turnaround geschafft hat. Nach Ansicht des US-Analysten Dennis Waid von Peripheral Research haben die meisten PC-Hersteller die Lagerbestände im gewünschten Maß reduziert; die Nachfrage steige. Waid rechnet mit einer zwölf- prozentigen Zunahme an ausgelieferten Disk Drives im Jahr 1999. Auch Seagate-Manager Blaser sieht wieder optimistischer in die Zukunft: "Der Bedarf hat angezogen. Die Überkapazitäten von 1997/98 wurden mühsam abgebaut."

IDC prognostiziert für den Zeitraum von 1997 bis zum Jahr 2002 ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 8,3 Prozent pro Jahr. Die Zahl der ausgelieferten Produkte werde um 13,8 Prozent wachsen. Der weltweite Absatz von Festplatten steigt dieser Prognose zufolge von 139 Millionen 1997 auf 247 Millionen Einheiten im Jahr 2002.

Perspektiven einiger Hersteller sind unklar

Ob das ausreicht, um alle Anbieter langfristig über Wasser zu halten, bezweifeln einige Experten. Für Blaser ist es künftig entscheidend, ob ein Hersteller im Besitz der Schlüsseltechnologien ist. Seiner Ansicht nach können nur IBM und Seagate auf ausreichende eigene Ressourcen zurückgreifen. Die Giant-Magneto-Resistive-(GMR-)Technik für Schreib-Lese-Köpfe liefere dafür ein Beispiel. Andere Anbieter wie Maxtor müßten solche Komponenten einkaufen. Mit Produktzyklen von sechs Monaten im Low-end-Segment sei dies kein leichtes Unterfangen. Alfred Malina aus dem OEM-Vertrieb in IBMs Festplattensparte stößt in das gleiche Horn: "Es ist ein Technologierennen." IBM habe hier mit der GMR-Technik die Nase vorn und könne auch von den Erfahrungen mit der Entwicklung der klassischen MR-Technik profitieren.

Wie die Zukunft der Konkurrenten aussieht, steht noch in den Sternen. Ebenso wie im Fall IBM gehen Experten beispielsweise bei Maxtor davon aus, daß der Hersteller von der Konzernmutter Hyundai möglicherweise Quersubventionen erhalten hat. Ob der Anbieter profitabel wirtschaftet, weiß deshalb niemand genau zu sagen. Mit dem Börsengang von Maxtor werden die Karten neu gemischt. Das Unternehmen muß seine Ergebnisse offenlegen. Auch die Perspektiven der anderen großen US-Anbieter Quantum und Western Digital - nach ausgelieferten Produkten immerhin Nummer zwei und vier in der Rangliste - sind unklar. Quantum etwa scheint sich von den Turbulenzen noch nicht so gut erholt zu haben. Im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres mußte der Hersteller einen Gewinnrückgang um 83 Prozent und 25 Prozent weniger Umsatz hinnehmen. Im Vergleich zum vorangegangenen ersten Quartal, in dem sich das Unternehmen von zwei Prozent seiner Belegschaft trennte, ergab sich andererseits eine kleine Zunahme. "Keiner weiß, was mit Quantum los ist", erklärte ein Insider gegenüber der COMPUTERWOCHE. "Und Western Digital hat sich von IBM einige Anteile wegnehmen lassen. Es kann gut sein, daß der eine oder andere Hersteller noch übernommen wird."

Zumindest in einem Punkt sind sich Hersteller wie Beobachter einig: Die Preise für Festplatten werden weiter fallen, wenn auch nicht so rasant wie bisher. Die Anwender wird´s freuen.

Abb.1: Festplattenmarkt

Seagate bleibt auch nach den Turbulenzen der letzten 18 Monate der größte Festplattenanbieter. IBM konnte vor allem im High-end-Segment Boden gutmachen. Quelle: IDC

Abb.2: Marktsegmente

Mehr als drei Viertel der in 1998 verkauften Festplatten sind für Arbeitsplatz-Computer ausgelegt. Quelle: Disktrend