Uebergangsregelung bis zur Harmonisierung in allen EG-Staaten Anwendungsprogramme vom neuen Umsatzsteuerrecht betroffen Von Hermann Messmer*

09.07.1993

Mit Vollendung des EG-Binnenmarktes trat am 1. Januar 1993 ein neues Umsatzsteuergesetz (UStG) in Kraft. Bis zur Harmonisierung der einschlaegigen Vorschriften in allen EG-Partnerstaaten handelt es sich um eine Uebergangsregelung. Von ihr betroffen sind alle administrativen Bereiche einer DV-Organisation einschliesslich der Anwendungsprogramme.

Das neue UStG resultiert aus der Tatsache, dass die innereuropaeischen Wirtschaftsgrenzen zwar weggefallen sind, die nationalen Unterschiede in der Besteuerung aber nach wie vor bestehen. Da ein EG-Clearing im Steueraufkommen auf zwischenstaatlicher Ebene fehlt, muessen Wettbewerbsverzerrungen auf gesetzlichem Wege vermieden werden.

Die wesentlichen Aenderungen im UStG lassen sich auf folgenden Nenner bringen: Die innergemeinschaftlichen Grenzkontrollen entfallen und werden in die Unternehmen zurueckverlagert. Mit Inkrafttreten wurde der USt-Prozentsatz im Inland von 14 auf 15 Prozent angehoben, die USt-Binnenmarktregelung mit dem Novum der Erwerbsbesteuerung eingefuehrt und das USt-Recht in verschiedenen Punkten modifiziert.

Nichts geht mehr ohne

Identifikationsnummer

Der wichtigste neue Begriff heisst Umsatzsteuer- Identifikationsnummer (USt-Id-Nr.). Diese Nummer ist quasi der Ausweis fuer alle zur Erwerbsbesteuerung verpflichteten Unternehmer. Sie hat bis zu 15 Stellen und muss beim Bundesamt fuer Finanzen - Aussenstelle Saarlouis - von allen Vollunternehmen, Organgesellschaften und manchen Halbunternehmen beantragt werden.

Das neue Gesetz, das bis zur Harmonisierung der Mehrwertsteuer in der EG als Uebergangsregelung fungiert, enthaelt ausserdem Erlaeuterungen zur Rechnungsstellung, zum beleg- und buchungsmaessigen Nachweis sowie zur Erstellung der monatlichen Ein- und Ausfuhrstatistiken in Form der sogenannten Intrastat respektive zusammenfassenden Meldung. Sie ist an die USt- Behandlung gekoppelt und verlangt eine Differenzierung aller innergemeinschaftlichen Lieferungen und Einkaeufe bis auf Waren- und Einzelgeschaeftsebene. Die Folgen sind ein dramatisch steigender Verwaltungsaufwand fuer die Wirtschaft und die Aufwandsverlagerung vom Zoll zum Bundesamt fuer Finanzen und zu den Unternehmen.

Fuer Materialwirtschaft beziehungsweise Einkauf resultieren folgende organisatorischen Anforderungen:

- Mitteilung eigener USt-Id-Nr. an Dauerlieferanten,

- Angabe eigener USt-Id-Nr. auf Bestellungen,

- Pflege des USt-Kennzeichens je Material beziehungsweise Artikel fuer die Erwerbsbesteuerung,

- terminliche Ueberwachung des Wareneingangs, um der Erwerbssteuerpflicht puenktlich nachzukommen,

- Pflege der fuer die Einfuhrstatistik erforderlichen zusaetzlichen Artikelstammdaten,

- Pflege der Lieferantenstammdaten mit der USt-Id-Nr. des Lieferanten,

- Durchfuehrung aller Rechnungskorrekturen und Abzuege ueber Buchungsanzeigen, um die zeit- und sachgerecht richtige Verbuchung zu gewaehrleisten,

- Registrierung von steuerfreien Verbringungsfaellen und Materialbeistellungen,

- Erstellung der monatlichen Einfuhrstatistiken sowie

- Durchfuehrung der Erwerbsbesteuerung.

Entsprechende Anforderungen ergeben sich fuer die Vertriebsorganisation. Die Anwendung auslaendischen Umsatzsteuerrechts, zum Beispiel durch Versandumsaetze ueber Schwellenwerte oder Auslieferungen ab Konsignationslager, sorgt fuer zusaetzliche Komplikationen. Eine weitere mit Sicherheit schwer zu erfuellende Forderung ist die Ueberpruefung der Unternehmereigenschaft von Neukunden. So liegt die Beweislast dafuer, dass die Voraussetzungen fuer die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen erfuellt sind, beim liefernden Unternehmer. Theoretisch ist das durch eine Anfrage beim Bundesamt fuer Finanzen schnell zu erledigen, praktisch koennen dabei Wochen vergehen.

Verantwortung liegt

bei allen Beteiligten

Die Sorgfaltspflicht fuer ein korrektes Meldewesen obliegt sowohl dem Lieferanten als auch dem Empfaenger. DV-Anwendungen in Einkauf und Vertrieb muessen folgende Aufgaben erfuellen:

- Speicherung der USt-Id-Nr.,

- Ausweis der USt-Id-Nr. auf Papieren sowie

- Geschaeftsvorfall-Pruefungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen.

Praktisch erfolgt die Speicherung der firmeneigenen USt-Id-Nr. in der Parameterdatei, die der kundeneigenen im Kundenstamm, die des Lieferanten im Lieferantenstamm. USt-Id-Nr., Anfragedatum, Belegnummer und Umsatzsteuerstatus werden in das Debitoren- beziehungsweise Kreditoren-konto uebertragen. Um sicherzustellen, dass die jeweilige USt-Id-Nr. einmalig ist, empfiehlt es sich, eine Unikatspruefung in die Programme einzubauen. Ausgewiesen werden muss die USt-Id-Nr. im Vertrieb auf Auftragsbestaetigungen, Fakturen und Gutschriften sowie auf den sogenannten Proformarechnungen, im Einkauf auf Bestellschreiben, Bestellaenderungen und sonstigen Schreiben.

Die Intrastat-Saetze sollte die Vertriebssoftware automatisch zugleich mit dem Lieferschein bei Warenlieferung beziehungsweise mit der Fakturierung erstellen (vgl. Abbildung 1). Hierfuer sind Firmenparameter, die Laendertabelle, der Artikelstamm und der Kundenauftrag heranzuziehen. Bevor die Meldedaten zusammengefasst werden, ist es sinnvoll, die Intrastat-Saetze aus Vertrieb und Einkauf einer umfangreichen Plausibilitaets- und Vollstaendigkeitspruefung zu unterziehen.

Fuer die Einkaufssoftware ergeben sich aus diesen Forderungen folgende Verarbeitungsroutinen:

- Erfassung des Wareneingangs, bei Lieferung aus dem EG- Binnenmarkt zusaetzliche Aufnahme weiterer Daten fuer die Intrastat- Statistik,

- Erfassung von Eingangsrechnungen, Anschaffungsneben-kosten und Gutschriften, bei Lieferung aus dem EG-Binnenmarkt Pruefung des Steuerschluessels,

- Erfassung von Eingangsrechnungen ohne Bestellung bei Lieferung aus dem EG-Binnenmarkt, Verzweigung in Dialogerfassung mit zwingender Eingabe der Artikelnummer,

- Ueberwachungsdialog nicht vollstaendig erfasster Intrastat-Daten,

- Abspeichern der Fibu-Schnittstellen-Saetze mit Steuerschluessel Erwerbssteuer und automatisch ermitteltem Erwerbssteuerbetrag sowie

- direkte Aufnahme von Intrastat-Daten ohne Wareneingangs- und Rechnungserfassung (vgl. Abbildung 2).

Aenderungen ergeben sich auch in der Finanz- und Anlagenbuchhaltung. So sind in Kreditoren- und Debitorensaetzen die USt-Id-Nummern samt laenderspezifischen USt-Saetzen zu pflegen, Kontenplanerweiterungen nach USt-Saetzen vorzunehmen und die zusammenfassenden Meldungen zu erstellen. Bei Anlageguetern im EG- Ausland sind Standort, Laenderschluessel, Datum der Bewegung und Wert festzuhalten.

Die fuer Einkauf und Debitorenkonto einheitliche USt-Id-Nummer versetzt die Finanzbuchhaltung in die Lage, die zusammenfassende Meldung zu erstellen. Diese ist quartalsweise zum Zehnten des Folgemonats an das Bundesamt fuer Finanzen, Aussenstelle Saarlouis, zu schicken.

An Intrastat muessen alle Daten des Wareneingangs und des Versands weitergeleitet werden - und zwar am siebten Werktag des auf den Wareneingang beziehungsweise Versand folgenden Monats. Die Daten koennen wahlweise auf amtlichen Formularen, Magnetbandkassetten oder Magnetbaendern mitgeteilt werden.

Die USt-Voranmeldung erfolgt unter Beruecksichtigung der neuen USt-Prozentsaetze und der Erwerbsbesteuerung auch kuenftig monatlich, wobei steuerfreie und steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe getrennt gemeldet werden muessen. Der volle Vorsteuerabzug zum Zeitpunkt der Erwerbsbesteuerung in derselben Voranmeldung ist bei Vollunternehmern moeglich, die Bemessungsgrundlage ist ebenfalls anzugeben.

Dass die neuen Regelungen einen erheblichen Mehraufwand fuer die Unternehmen bedeuten, steht ausser Frage. Wesentliche Entlastung kann jedoch die Anwendungssoftware leisten - besonders dann, wenn es sich um eine integrierte Loesung handelt und der Softwarepartner die erforderlichen Modifikationen bereits vollstaendig zur Verfuegung stellt. Natuerlich hat das neue UStG auch positive Seiten. So kann mit Inkrafttreten der neuen Regelungen der Grenzuebergang frei gewaehlt werden. Der Transport wird insgesamt schneller, und die Zollbegleitpapiere entfallen. Durch die Ursprungslandbesteuerung werden Privatkaeufe in Laendern mit geringerem Umsatzsteuersatz besonders lukrativ.

*Hermann Messmer ist geschaeftsfuehrender Gesellschafter der Ratioplan Unternehmensberatung Datenverarbeitung GmbH, Villingen.

Abb.1: Die Erstellung der Intrastat-Saetze sollte direkt an die Bearbeitung der Lieferscheine gebunden sein.

Abb.2: Die Einkaufssoftware muss den gesamten Warenverkehr mit den zugehoerigen Rechnungen erfassen.