Kolumne

"Übereifriger Amateur"

05.06.1998

Die Welt lacht wieder einmal über Deutschland - obwohl es nichts zu lachen gibt. Die Verurteilung des ehemaligen Compuserve-Chefs Felix Somm durch den übereifrigen Münchner Amtsrichter Hubbert, seines Zeichens bekennender Internet-Amateur, ist schlicht ein Skandal. Realistisch betrachtet ist Somm persönlich dafür bestraft worden, daß Kinderpornografie generell existiert. Daß ausgerechnet sein Unternehmen herausgepickt wurde, bleibt rätselhaft - identische Inhalte finden sich systembedingt über die ganze Welt verstreut und überall zugänglich. Als seinerzeit Compuserve in Deutschland unter dem Druck der ermittelnden Staatsanwaltschaft alle Inhalte aussperrte, die schon durch das Wörtchen "Sex" inkriminiert erschienen (darunter etwa auch so seriöse Diskussionen wie Selbshilfegruppen von AIDS-Erkrankten), genügte ein simpler Wechsel zum Nachrichten-Server von Compuserves eigener (sic!) Internet-Tochter Sprynet, um wieder den ungehinderten Zugriff zu erlangen.

Das Internet ist in seiner Grundstruktur schlicht und einfach chaotisch und entzieht sich damit einer technischen oder inhaltlichen Kontrolle von außen. Intern dagegen gibt es eine ganze Reihe funktionierender Maßnahmen, von denen als bekannteste vielleicht der "Netiquette"-Knigge zu nennen wäre. Oberste Maximen sind dabei aber immer Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber Andersdenkenden, und die Internet-Gemeinde wehrt sich deswegen auch vehement gegen jeden Versuch einer Regulierung. Das geht sogar soweit, daß politisch links stehende College-Studenten die Seiten des kanadischen Neonazis Ernst Zündel vielfach weiterverbreiten ("spiegeln"), nur um sie einer Sperre durch - technisch unbedarfte - deutsche Strafverfolger zu entziehen.

Compuserve ist und bleibt als Urvater aller Online-Dienste verantwortlich für das eigene Angebot. Was aber die Rolle als Internet-Service-Provider (ISP) angeht, auf die sich die Company aus Ohio immer mehr verlagern muß, um zu überleben, steht man vor dem gleichen Dilemma wie alle anderen: Das Netz ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Rechtsradikale, Pädophile oder die organisierte Kriminalität nutzen es ebenso wie der "harmlose" Otto Normalsurfer. Will man also das Netz zum Positiven verändern, dann muß man die Gesellschaft verändern.