Wiedervereinigung der Hannover-Messen für Birgit Breutel kein Thema mehr, aber:

Über gewisse Schnittstellen wird man neu nachdenken müssen

27.03.1987

Mit der niedersächsischen Finanzministerin, die dem Aufsichtsrat der Messe-AG vorsteht, und deren Vorstandsmitglied Huber Lange sprachen Claudia Marwede Dengg und Dorothea Wendeln.

- Nach der ersten CeBlT war von einer "Nordmesse mit regionalem Charakter" die Rede. Bestätigen das die ersten von der Messe-AG gemachten Erhebungen in diesem Jahr?

Breuel: Im letzten Jahr haben wir zum ersten Mal die Zellteilung durchgeführt. Im ersten Anlauf hatten wir 800 neue Aussteller und sind damit die weltgrößte Messe für Bürokommunikation und Informationstechniken geworden. Wir haben in diesem Jahr nochmals eine leichte Steigerung der Ausstellerbeteiligung zu verzeichnen gehabt. In den ersten beiden Tagen haben wir einen Zuwachs an Besuchern, der etwa 15 Prozent über den ersten beiden Tagen des vergangenen Jahres liegt. Wer da noch glaubt, von einer (norddeutschen) Regionalmesse sprechen zu können, und gar so tut, als wenn es im Süden der Bundesrepublik eine gleichwertige Messe gäbe - ich sage das jetzt mit einer gewissen Ironie - , der geht an der Wirklichkeit vorbei. Diese CeBIT hat sich etabliert als die größte Messe dieser Art in der Welt, und darüber sind wir natürlich sehr froh.

- Sind Sie für die Zukunft optimistisch?

Breuel: Es gibt daran überhaupt keine Zweifel. Wir haben sehr deutlich gesagt, daß die Schnittstellen eine lange Diskussion verursachen werden. Erstmal brauchen sie einige Jahre Anlauf, das ist überall so. Zum zweiten werden wir in einer sich schnell wandelnden technischen wirtschaftlichen Welt auch über gewisse Schnittstellen neu nachdenken müssen. Nun gibt es natürlich einige wenige Firmen, die von der Teilung insofern stark betroffen sind, weil sie ihre Produkte nun auf beiden Messen ausstellen müssen. Ich muß ganz deutlich sagen, daß diese Firmen alle auf der größten Industriemesse und auf der größten Büro- und Kombinationsmesse der Welt ausstellein würden. Nur weil beide nun zufällig in Hannover stattfinden, gibt es Diskussionen darüber. Wir werden mit diesem Problem fertig und den Beweis erbringen, wenn die Tore dieser Messe am 11. 3. geschlossen werden. Das trauen wir uns auch zu, denn wir sind da flexibel. Wir werden auch die Diskussionen mit den Betroffenen jedesmal wieder neu führen, aber die Zweiteilung ist durchgeführt, sie erweist sich als erfolgreich.

- Die Systems ist keine Konkurrenz?

Breuel: Es gibt sicherlich Konkurrenz, es gibt die Systems, die Orgatechnik und einiges mehr, aber dies hat nicht die Größenordnung, die uns berührt. Wir nehmen jeden Konkurrenten ernst, aber nicht zu ernst.

- Zur Besucherstruktur: Es wurde gesagt, daß aus den nördlichen Bereichen mehr Schaupublikum kommt. Aus dem südlichen und westlichen Bereich sind es überwiegend Besucher, die in enger Anbindung an die ausstellenden Firmen kommen. Stimmt das?

Breuel: Das kann Herr Lange sicher besser beantworten als ich. Nur muß man deutlich sagen, wir zählen hier nicht die Mitarbeiter der einzelnen Firmen. Wir zählen die Besucher, die hier auf die Messe kommen, und wir haben im letzten Jahr gewisse Unebenheiten gehabt. Ein größerer Teil der Besucher aus dem Norden und Westen haben im Vorfeld zu dieser Messe im Süden besonders intensiv geworben, weil wir eben insgesamt repräsentieren wollen.

Lange: Ich kann dies vielleicht noch etwas ergänzen. 50 000 weltweittätige Mitarbeiter, Niederlassungsleiter von Australien bis Neuseeland und Japan, werden in dieser Zeit hier während der CeBIT zusammengezogen. Das sind Aussteller, die nicht als Besucher gezählt werden. Selbstverständlich sind auch diese vielen Mitarbeiter durchaus Kunden der anderen Firmen, die sind aber nicht in den Besucherzahlen dabei. Was nach den ersten beiden Tagen bemerkenswert ist, ist, daß sich nicht nur die Zahl der Besucher erhöht hat, sondern sich die Struktur der Besucher verschoben hat. Und zwar kommt je ein Drittel nach den ersten beiden Tagen aus dem Nord-, dem West-, dem Mittel- und Südbereich, also aus Baden-Württemberg, Bayern, Saarland und Rheinland-Pfalz. Hier haben wir, gerade aus dem süddeutschen Bereich, neben der absoluten Steigerung nochmal eine relative Zunahme von fünf Prozentpunkten an den ersten beiden Tagen. Diese Ermittlungen werden vom Institut Professor Strotmann, einem Marketinginstitut, die Zahlen werden im Rahmen des FKN-Strukturtests von einem Wirtschaftsprüfer geprüft und veröffentlicht.

- Sind denn die genannten Besucher reine Fachbesucher?

Lange: Wenn jemand zur CeBIT 600 Kilometer anreist, dann gehört er sicher keiner Schulklasse an, sondern holt hier Erkenntnisse für seinen Beruf oder seinen Betrieb. Das sind keine Privatbesucher, die hier mehrere hundert oder tausend Mark aus reinem Vergnügen für Übernachtungen etc. ausgeben.

- Man hat den Eindruck wenn man durch die Telecom-Hallen geht, daß die mittelständischen, kleineren Untemehmen doch erheblich unter zu

wenig Publikum leiden. Hat man den Mittelstand im Rahmen des neuen Messekonzepts etwas vernachlässigt zugunsten des Großen?

Breuel: Also ich glaube, es ist normal, daß im Telecom-Bereich der Besucherzugang nicht ganz so hoch ist weil es hier eine ganz spezifische Kundenstruktur gibt. Herr X, der einen PC kaufen will, geht nicht in die Telecom-Halle hinein. Video-Konferenzstudios kaufen sich eben nur ganz wenige. Insofern muß ich mit anderen Voraussetzungen dahingehen. Wenn Unternehmenssprecher gestern sagten, sie fühlten sich nicht wohl, dann ist das aus unserer Sicht eine erstaunliche Aussage, weil der erste Messetag immer ein bißchen schwierig war. Eigentlich müßte man da abwarten, wie Herr Lange schon sagte. Die Hauptbesuchstage sind immer montags und dienstags.

- Die Frage nach dem mittelstandischen Bereich kann man vielleicht auch etwas allgemeiner beantworten.

Breuel: Wenn Sie da über den Telecom-Bereich hinausgehen, dann sehe ich überhaupt keine Probleme. Letztes Jahr habe ich auch einen mitelständischen Unternehmer getroffen, der war ungeheuer empört und

fühlte sich nicht wohl. Aber der machte Kuvertiermaschinen. Also

das heißt, man muß auch ein bißchen schauen, daß das Produkt in die Palette hineinpaßt.

Lange: Wir machen unsere Ausstellerbefragung am vorletzten Tag der Messe. Und dann haben wir die Ergebnisse über den Zufriedenheitsgrad. Was wir im Moment nach zwei Tagen aufnehmen, sind Einzelgespräche, und das reicht nicht aus.

Breuel: Wenn nur einer einen Artikel schlecht verkauft, dann kann das kein Stimmungsbild geben.

Lange: Bei über 2200 Unternehmen ist es auch unmöglich, daß alle zufrieden sind, das ist ausgeschlossen.

- Alles redet von Integration, die C-Techniken bleiben bei der CeBIT aber draußen.

Breuel: Ich weiß gar nicht, wie oft ich das noch beantworten soll, mir fällt nichts mehr Schlaues dazu ein. Ich meine, es hat nur die Moglichkeit gegeben, dieses Messegelände zu verdoppeln, um wirklich das Gesamtangebot zu machen. Dann hätten wir die Menschen völlig überfordert, und die Stadt wäre zusammengebrochen. Jedenfalls hätte es nicht funktioniert. Bei der letzten Hannover-Messe kamen gemeinsam

800 000 Besucher.

Lange: Faktum ist, daß wir nach der Zellteilung der Messe jetzt über 1200 neue Firmen haben, 1200 Firmen mit 100 000 Quadratmetern Nettozuwachs.

Breuel: Der zweite Punkt ist, wenn Sie ein wirklich vollständiges Angebot machen wollen, dann müssen Sie die Kunden auch richtig bedienen können. Unsere Sorge im Bereich CeBIT der letzten Jahre ist immer gewesen, daß es gerade junge innovative Firmen waren, denen wir keinen Platz mehr anbieten konnten. Die drängen und pushen, die wollen rein in den Markt, die wollen sich präsentieren. Und deswegen haben wir uns für diesen Weg entschieden. Ich glaube, es ist der einzig gangbare. Alles andere wäre wirklich Gigantonomie gewesen. Und ich kann behaupten, wir haben das Schlimmste hinter uns gebracht.

Lange: Die Masse der Firmen hat schon nach dem ersten Jahr ganz klar die Zustimmung gegeben. Das ist dokumentiert worden, auch mittels der Beteiligung. Aber es gab natürlich einen gewissen Anteil an Firmen, die gesagt haben, der alte Zustand war für uns besser. Die, die draußen standen und jetzt neu dazugekommen sind, hatten sowieso keine Stimme. Aber die Zahl derer, die kritisch der Teilung gegenüberstand, nimmt ab.

- Aber es sind doch immerhin einige weggeblieben.

Lange: Dafür sind neue hinzugekommen, es sind sicherlich auch einige weggeblieben.

- Integration wird von allen Seiten gefordert, gepredigt, gewünscht - und die Trennung ergibt sich dann aus überwiegend organisatorischen Gründen, weil die Messe sonst zu riesig werden würde.

Lange: Das ist richtig. Das ist die Idealvorstellung. Mir hat neulich einer gesagt, das beste wäre, gerade im bezug auf die C-Technik, wir hätten den Zustand wieder wie bei der Hannover-Messe zur Gründungszeit 1947. Auf einem Gelände die gesamte deutsche Industrie, die C-Technik in der Mitte und sämtliche denkbaren Anwendungsfelder rundrum. Das wäre ein Messegelände von zehn Quadratkilometern, nur es wäre für den Besucher nicht mehr erfahrbar, das ist das Entscheidende. Wir machen Messen für den Besucher. Der könnte dieses Angebot niemals mehr übersehen, so daß es Schnittstellen geben muß. Die überwinden wir unter anderem auch über unsere elektronischen Medien, um die Distanzen zu überwinden, aber es ist unmöglich, ein Messegelände zu bauen, wo die gesamte internationale Wirtschaft auf einmal darzustellen ist. Die Integration geht in alle Bereiche.

Breuel: Es kommt natürlich hinzu daß wir nicht nur wie vor 40 Jahren Maschinen dort hinstellen. Sie müssen heute die Anwenderlösung gleich mitbieten, die Beratung, Software muß dabeisein. Das heißt, so wie Messen vor 40 Jahren waren oder vor 30, 20 Jahren, sind die eben nicht mehr. Wenn Sie sich mal eine Software-Halle anschauen, zum Beispiel die Halle 3: Man weiß gar nicht, wie man Software ausstellen soll. Eigentlich könnten die Unternehmen nur Know-how anbieten. Gut, dann stellen die beratendes Personal zur Verfügung; das ist ein wichtiger Bestandteil dieser Messe heute. Ohne Software ist Hardware, wie jeder inzwischen weiß, nichts mehr wert.

- Aber meinen Sie denn, daß die Besucher dazulernen müssen?

Breuel: Wir versuchen ja den Besucher doch ein bißchen zu leiten, zu lenken, ihm Angebote zu machen. Daß das nicht mehr für alle auf der Messe in ihrer jetzigen Form möglich ist, das mag wohl sein. Da gibt es ja auch ein gewisses Alter, in dem man sich dem Zug der Zeit anpassen sollte.

- Entspricht der Bedarf der Kunden den gigantischen Ständen? Oder wäre es nicht sinnvoller, Begrenzungen zu finden, die auch dem Besucher das Angebot überschaubarer machen?

Breuel: Daß wir so viele große Stände haben oder so viele verschiedene Stände haben, beinhaltet doch auch die Chance, daß jeder beraten werden kann. Ich kann doch heute als Laie, als Frau X, zu jedem Stand hingehen, kann mich hinsetzen, mich beraten lassen, an den Maschinen arbeiten und ähnliches tun. Bei dem einen werden die Fleischer, bei dem anderen die Bäcker, beim dritten die Maler beraten.

Lange: Zwei Aspekte sind dabei wichtig. Der erste Aspekt ist, und der zeichnet die Hannover-Messe CeBIT vor jeder anderen Messe aus, daß die Unternehmen auf dieser Messe ihr gesamtes Angebot, das sie haben, darstellen können, und nicht nur Teilaspekte. Das ist ein ganz klares Votum der Aussteller. Deswegen sind die großen Hersteller unseren Weg mitgegangen, Stände aufzubauen. Das ist besucherfreundlich, weil zum Beispiel der Banker dann nicht mehr zu suchen braucht. Für die Firmen bedeutet das zusätzliche Kosten, aber das haben sie im Interesse des Besuchers gemacht, um den Besucher gezielt zu lenken. Denn diese Struktur haben wir gemeinsam erarbeitet, im Interesse des Besuchers.