Weil Aufbaustudiengänge nichts kosten dürfen

TU Chemnitz holt VDE für Internet-Weiterbildung an Bord

13.08.1999
Von Harald Schendera* Trotz seines Erfolgs drohte dem IuK-Aufbaustudium per Internet an der TU Chemnitz das Aus. Wenn es im Herbst trotzdem weitergeht, dann nur, weil der Verband der Elektrotechnik (VDE) als externer Träger in die Bresche springt.

Das Experiment Internet-Fernstudium beginnt 1995, als die TU Chemnitz zum ersten Mal den Aufbaustudiengang Informations- und Kommunikationssysteme (IuK) anbietet. Im ersten Wintersemester schreiben sich 56 Teilnehmer ein, ein Jahr später bereits 140. Überfüllte Hörsäle brauchen sie nicht zu fürchten - höchstens das Besetztzeichen am Telefon, wenn sie über das Modem neue Lerninhalte aus dem Internet holen oder Aufgaben abschicken. Das Internet und die dahinterstehende Technik wird ihnen mit den Mitteln des Internet vermittelt. Ganz ohne gedrucktes Lehrmaterial.

Java ist kein Grund zur Verzweiflung

Die neuen Lehr- und Lernmethoden mit Hypertext-Lehrmaterialien, Diskussionen via E-Mail, virtuellen Seminaren und fernbedienten Labors unterscheiden sich stark vom üblichen Studienbetrieb und machen die TU Chemnitz rasch in Deutschland bekannt als "die Uni mit dem Internet-Fernstudium".

1500 Mark kostete die einjährige Fortbildung damals, die sich durch eine kontinuierliche Betreuung auszeichnete: Auf einen Tutor kamen zehn Studenten. Das Wissenschaftspersonal bearbeitete die Anfragen per E-Mail, aktualisierte Inhalte, bewertete Aufgaben, hielt die Server am Laufen und spendete Trost beim Thema Java: "Es besteht kein Grund zur Verzweiflung, wenn Sie den vorigen Absatz nicht ganz verstanden haben."

Bereits 1996 schrieb das sächsische Kultusministerium neue Studiengebühren vor: Statt 1500 Mark dürfen von jedem Teilnehmer nur noch 100 Mark verlangt werden, die zudem direkt nach Dresden abfließen. "Auch wenn wir kein Geld mehr von den Teilnehmern bekamen, mußte das Studium fortgesetzt werden. Eine Immatrikulationsordnung kann nicht von heute auf morgen außer Kraft gesetzt werden", sagt Ralph Sontag, IuK-Koordinator an der TU Chemnitz, rückblickend.

Einige Zeit konnten die Geldmittel aus dem Universitätshaushalt "abgezweigt" werden. "Aber so ein teures Aushängeschild kann sich die Uni auf Dauer nicht leisten." Hier wäre das Experiment Internet-Fernstudium zu Ende gewesen. Doch der Erfolg verdammte die Initiatoren zum Weitermachen. Nicht nur Berufstätige fanden das Aufbaustudium attraktiv, auch Mütter in der Babypause oder im Erziehungsurlaub nutzten die Gelegenheit, von zu Hause aus zu lernen. Der älteste Aufbaustudent war 70 Jahre, andere kamen aus Kanada oder Australien. 600 Einträge umfaßt die Liste der Teilnehmer bis heute. "Die Kurse wurden überwiegend sehr gut angenommen", sagt Sontag. "Wir merkten das auch daran, daß von Firmen, von denen zunächst ein Mitarbeiter teilnahm, im Jahr darauf gleich mehrere Anmeldungen eingingen."

Ein Partner mußte her. Nachdem Mitglieder einen Erfahrungsbericht gehört hatten, kam der Verband der Elektrotechnik auf die Universität zu. "Die hatten einen Blick für die Potentiale und waren ihrerseits auf der Suche." Inzwischen ist ein Kooperationsvertrag unterzeichnet, der die Zuständigkeiten klar regelt. Der VDE kümmert sich um Schriftverkehr, Werbung, Prüfungsvorbereitung und Rechnungsstellung. Die Uni stellt das Rechenzentrum und die Betreuer, kümmert sich um die Lerninhalte und den Qualitätsstandard des Zertifikats.

Die Zentralstelle für den Fernunterricht hat inzwischen den ersten Kurs anerkannt. Einer Fortsetzung steht nun nichts mehr im Weg. Am 1. November 1999 könnte es losgehen. Schon jetzt gibt es eine große Anzahl von Anfragen beim VDE und auf der Website der TU. "Wenn nur zehn Prozent der Interessenten teilnehmen, dann sind wir mehr als ausgelastet", so Sontag. "Das Ministerium sieht in der jetzigen Lösung mit einem externen Partner das Ziel erreicht. Das ist deren Vorstellung, wie die Universität so etwas machen sollte. Wir hätten es sehr gern im Hochschulumfeld fortgesetzt."

Die Teilnehmer bezahlen künftig deutlich höhere Gebühren. Ein halbjähriger Kurs wird etwa 3000 Mark kosten. Ermäßigung gibt es nur für VDE-Mitglieder. Geplant sind Kurse zu Themen wie Internet-Grundlagen, Netzinfrastruktur und Anwendungsprotokolle (siehe Kasten).

Inhaltlich wird es im Vergleich zu früher keine Einschränkungen geben. Der Stoff wird laufend aktualisiert. "Pro Semester wird durchschnittlich ein Viertel des Materials ganz ersetzt oder neu entwickelt, beim Rest werden Verweise auf Literatur, Internet-Quellen und Produktbeispiele aktualisiert", sagt Professor Uwe Hübner, Initiator des IuK-Aufbaustudiums. "Laufende Aktualisierungen betreffen zum Beispiel die Möglichkeit, Multimedia-Mail nach internationalen Standards zu verschicken."

Ein Hochschulabschluß ist für die Teilnahme nicht unbedingt erforderlich. Zehn Prozent der Teilnehmer am Aufbaustudium waren keine Akademiker. Trotzdem ist ein Studium ratsam. "Die modernen Medien stehen zwischen Lernendem und Lehrendem. Deshalb müssen die Teilnehmer selbständig lernen können."

Außerdem gibt es einen Eingangstest, in dem zum Beispiel Fragen wie diese auftauchen können: Wie viele Bits benötigt man zur Codierung einer Dezimalziffer: 2, 4, 8 oder 16? Oder: Wird ein PC schneller, wenn er mit mehr RAM ausgestattet wird? Der Test soll den Teilnehmern beim Einschätzen der eigenen Voraussetzungen helfen. Die Fragen können direkt auf den IuK-Internet-Seiten beantwortet werden. Das Ergebnis des Beispieltests wird sofort angezeigt.

Auf überschaubare Gruppen setzt die Universität auch in Zukunft. "Wir haben die Erfahrung gemacht, daß 140 Teilnehmer mehr sind, als man in dieser Form des Studiums sinnvoll unterbringen kann. Da verschwinden die Synergieeffekte, weil das Rauschen in der Mailing-Liste zu groß wird", sagt Sontag. Deshalb sollen es diesmal nicht mehr als 100 Teilnehmer werden.

Eine andere wichtige Erkenntnis aus dem IuK-Vorlauf betrifft die Vermittlung des Stoffs. "Es ist schwer herauszufinden, wie die Lehrmaterialien gewirkt haben, denn der Dozent kann den Teilnehmern nicht ins Gesicht blicken. Wir können zwar schnell den Stoff ändern, aber wir sehen nicht so schnell, wo die Probleme sind." Deshalb gibt es auch während des Semesters Online-Tests. Am Antwortverhalten können die Betreuer leichter erkennen, ob und wo es hakt. Auch diese Verfahren werden laufend aktualisiert.

Die kurze Reaktionszeit ist ein weiterer Vorteil gegenüber dem klassischen Fernstudium, bei dem die gedruckten Materialien nur unter hohen Kosten aktualisiert werden können. Hinzu kommt beim Internet-Fernstudium, daß die Teilnehmer untereinander und mit den Betreuern regelmäßig in Kontakt stehen und eigentlich immer einen Hochschullehrer oder Leute aus der Gruppe als Ansprechpartner finden. Auch eine Einrichtung wie das Online-Labor ist in einem Fernstudium nicht zu finden.

Tips für Nachahmer

Innerhalb des Weiterbildungsangebotes des VDE nimmt die Online-Fortbildung eine herausragende Position ein. "Es ermöglicht Ingenieuren der Elektrotechnik und Informationstechnik, die bereits im Beruf stehen, sich Fachwissen über diese Technik auf Hochschulniveau anzueignen", sagt Hermann Lang vom Geschäftsbereich Wissenschaft, Bildung und Beruf.

Das nächste Jahr wird nun zeigen, ob das neue, ungewöhnliche Kooperationsmodell funktioniert. Nachahmern, die ähnliche Lehr- und Lernformen einführen wollen, rät Professor Hübner jedenfalls zum gleichen Schritt: "Sich einen flexiblen, nicht zu großen Träger außerhalb der Hochschule suchen, selbst als Qualitätskontrollinstanz wirken und seriöse Prüfungen und Abschlüsse sichern", lauten seine Lehren aus den rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem Ministerium.IuK-Aufbaustudium: Die Inhalte

Ein Aufbaustudium zu Informations- und Kommunikationssystemen bietet die TU Chemnitz ab kommenden November zusammen mit dem Verband der Elektrotechnik an. Die Online-Weiterbildung ist vor allem für Berufstätige konzipiert, die sich durch einen Eingangstest (www.iuk.tu-chemnitz/iuk-demo/) für das Angebot qualifizieren können.

Vermittelt werden in einem ersten Baustein Netzarchitekturen, Übertragungstechniken und Anwendungen im Überblick. Dabei liegt das Anspruchsniveau wesentlich oberhalb der Bedienung von Internet-Zugang, WWW-Browsern und E-Mail. "Wir lehren, warum das Programm funktioniert und was eigentlich dahintersteckt. Damit ist das Wissen weitaus langfristiger nutzbar", lautet eine oft geäußerte Einschätzung der Betreuer.

Die anderen geplanten Bausteine können nach Interesse gewählt werden. In einem zweiten Kurs sollen die nötigen Kenntnisse vermittelt werden, um eigene Angebote im Netz bereitstellen und sich sicher im Internet bewegen zu können. Ein Abschnitt widmet sich digitalem Geld und zeigt Perspektiven bei der Anwendung neuer kryptografischer Protokolle. Ein anderer bietet die Möglichkeit, die Grundlagen von Java zu erlernen und in eigene Applets umzusetzen.

Der dritte Kurs steht im Zeichen der Internet-Infrastruktur, den Internet- und Transportprotokollen. Praktische Versuche ergänzen das theoretisch vermittelte Wissen. Die Fakultät für Elektrotechnik der TU Chemnitz um Professor Klaus Franke liefert den vierten Teil, in dem es um ISDN, ATM, die neuen DSL-Techniken, um Switches, Hubs und Router geht.

Ein weiterer Kurs zum Thema "Anwendungsprotokolle" richtet sich an künftige Administratoren von Servern und behandelt mit Laborexperimenten Themen wie Netz-Management, -Sicherheit und -Planung. "Er eignet sich für Leute, die mindestens soviel wie jene Hacker wissen wollen, die von den Firewalls des Netzes abgewiesen werden", heißt es in der Ausschreibung dieses Kurses.

Kontakt: VDE, Hermann Lang, Carsten Rusteberg, Telefon: 069/63080, E-Mail: VDE_Rustebergcompuserve.com, Internet: www.vde.de

TU Chemnitz, Ralph Sontag, Telefon: 0371/531-1384, E-Mail: sontagmathematik.tu-chemnitz.de, Internet: www.tu-chemnitz.de

*Harald Schrendera ist freier Journalist in Vohenstrauß/Oberpfalz..