CASE-Tools: Entwicklungshilfen für Softwerker sind stark im Kommen

Trotz wachsendem Angebot bleiben viele Wünsche offen

08.12.1989

Nachdem mehr als zehn Jahre der Mangel diskutiert wurde, steht nun ein Boom für die käuflichen Ergebnisse bevor: Computergestützte Werkzeuge, Methoden und integrierte Software Entwicklungsumgebungen. Zwei Studien nehmen das schnell wachsende Marktangebot unter die Lupe und entwickeln Kriterien für die Auswahl geeigneter Werkzeuge und Systeme.

Die Zahlen sind nach wie vor erschreckend: Ein Viertel aller großen Software-Entwicklungsprojekte wird nie zu Ende geführt, innerhalb eines Jahres verdoppeln sich im Durchschnitt die angesetzten Kosten, auf hundert Programmierzeilen kommen zwischen drei und fünf Fehler. Damit illustrierte der amerikanische Software-Guru Edward Yourdon sein Plädoyer für eine Software-Automation in den 90er Jahren", gehalten auf der Europäischen CASE-Konferenz in Hamburg, die Ende Oktober von der GMO in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Digital Consulting ausgerichtet wurde. Mit einer jährlichen Effizienzsteigerung von mageren fünf Prozent, so Yourdon vor 350 bundesdeutschen Managern und Softworkern, sei das Problem jedenfalls nicht zu lösen.

Vor zehn Jahren schon referierten Computerpraktiker und Wissenschaftler über diese Mißstände, sorgten für Schlagzeilen über die "Software-Krise". Wie Yourdon, Software-Berater, Schriftstelle und Herausgeber der Zeitschrift "American Programmer'`, sind heute die meisten Informatik-Experten der Überzeugung, daß die Rückständigkeit bei der Programm-Erstellung nur zu überwinden ist wenn computergestützte Werkzeuge, Methoden und am besten ganze Software-Entwicklungsumgebungen zum Einsatz kommen. Eine Reihe von Prognosen geht davon aus, daß dieses heute noch recht unbedeutende Marktsegment in den 90er Jahren um jährlich 40 bis 50 Prozent anschwellen wird.

Nach Möglichkeit sollen CASE-Produkte den gesamten Software-Entwicklungsprozeß unterstützen, vom Entwurf der Anwenderfunktionen über Entwicklung, Programmierung und Test bis hin zur Qualitätssicherung und zur Wartung. Doch die meisten Arbeitshilfen, die der Markt für die Entwickler bereithält, lassen sich nur für eine

Phase der Programm-Erstellung einsetzen. Aus dem großen Pool vor rund 300 Werkzeugen, die auf dem deutschsprachigen Markt erhältlich sind, fielen zwei Drittel für die PSI-Studie "Software-Entwicklungswerkzeuge im Vergleich" von vornherein heraus weil das Berliner Softwarehaus nur moderne Produkte aufnehmen wollte, die mindestens für zwei Entwicklungsphasen taugen.

Schließlich blieben nur 71 Werkzeuge übrig, die die PSI in der zweibändigen Studie vergleicht, und anhand derer sie den aktuellen Stand der Technik sowie Entwicklungsperspektiven ableitet und Kriterien für die Auswahl des richtigen Produktes darlegt. Die zweite Studie, die erst im Dezember druckfrisch aufliegen wird, kommt aus dem EDV-Studio Ploenzke. Die Berater aus Wiesbaden konzentrierten sich auf integrierte Entwicklungsumgebungen, auf CASE-Produkte also, die nicht nur bei Einzelprogrammen helfen, sondern bei unternehmensweiten Projekten. Die Ploenzke-Autoren beschreiben die Angebote von acht in- und ausländischen Herstellern.

Der jetzige Auftrieb für computergestützte Werkzeuge hängt ursächlich mit der Entwicklung bei der Hardware zusammen. Durch die höhere Geschwindigkeit und Speicherleistung, grafische Benutzeroberflächen und die Vernetzung der Rechner ist es heute möglich und auch erschwinglich, den Software Mitarbeitern effiziente Werkzeuge anzubieten. Die meisten Hilfsmittel (zwei Drittel der 71 untersuchten) können inzwischen auf Arbeitsplatzrechnern eingesetzt werden. Ein Trend, der sich in Zukunft eher noch verstärken wird, besonders in Richtung Unix. Bereits die Hälfte aller Werkzeuge sind auf das offene Betriebssystem eingestellt. Diese PC-Versionen, so die PSI-Studie, sind erheblich preiswerter" als die Tools für Großrechner. Schon unterhalb der 30 000-Mark-Grenze werden diese Entwicklungshilfen angeboten.

Trend zu Werkzeugen auf PC- und Unix-Basis

Allerdings warnen die Verfasser des zweibändigen Werkes davor, diese Preise für bare Münze zu nehmen. "Nur ein Bruchteil des tatsächlich anfallenden Kosten" würde damit abgedeckt. Hinzu addieren müssen die Käufer: Schulungs- und Einführungskosten sowie Produktivitätsausfallkosten in der ersten Zeit des Werkzeugeinsatzes. Vorsicht also bei der Auswahl eines Tools. Nicht nur beim Einführungspreis existieren erhebliche Unterschiede, sondern auch beim Funktionsumfang und dem möglichen Einsatzgebiet.

Universell brauchbar, für kaufmännische Anwendungen ebenso wie für technisch-wissenschaftliche, sind nur wenige Werkzeuge. Die Masse eignet sich nur für kaufmännische Software, für Textprogramme, Finanzbuchhaltung, Bestellwesen oder Kalkulation. Nur 18 Prozent der Tools sind für alle drei Anwendungsgebiete, für kaufmännische, für technischwissenschaftliche und für Echtzeit Anwendungen geeignet. Über die Perspektiven in diesem Punkt sagt die PSI-Studie: "Ein leiser Trend, Werkzeuge für die kaufmännische Welt um die Unterstützung technischer Anwendungen zu erweitern, ist erkennbar."

Mit Beschränkungen muß der Anwender auch bei den Aufgabenbereichen leben, die das Werkzeug unterstützt. Zwar fordern Software-Entwickler, daß ein modernes Software-Tool für mehrere Phasen der Programm-Erstellung taugen soll, doch sieht die Marktlage hier noch etwas anders aus. 87 Prozent der Werkzeuge erfüllen ihre Aufgabe erst in einem recht späten Stadium der Software-Produktion, nämlich bei der Implementierung. Kein Wunder, denn in der Nähe des Quellcodes sind schon seit langem Techniken wie Struktogramme oder Pseudocode bekannt. Mehr als die Hälfte der Werkzeuge dient der Systemanalyse; erst dünne elf Prozent bieten Unterstützung für alle Aufgabenbereiche an jedoch ohne Wartung.

Hier erwarten die PSI-Marktbeobachter deutliche Veränderungen in den nächsten Jahren. Zum einen sei heute schon offenkundig, daß viele Hersteller ihre Werkzeuge um wichtige Funktionen, für Systemanalyse Projekt-Management und Qualitätssicherung, erweitern. Zum andern machten sie auch einen Trend zur Verkettung von Werkzeugen, sogenannten "Werkzeug-Tandems", aus.

Konsolidierung bei den Entwicklungstools

Das Gros der Angebote stammt aus den letzten Jahren. Nur zehn Prozent der Werkzeuge sind bereits vor 1980 erstmals installiert worden. Wer sich heute für ein solch betagtes Werkzeug entscheidet, sollte darauf achten, inwieweit es um neuere Konzepte wie abstrakten Datentypen oder Prototyping erweitert wurde. Insgesamt werden laut PSI zwar zunehmend moderne Werkzeuge entwickelt, angeboten und auch installier "Die generelle Wachstumsrate der Installationen ist aber kein sehr starke Kurve."

Weniger verwirrend ist da Angebot bei integrierten Software Entwicklungsumgebungen (auch IPSE für Integrated Product Support Environment genannt), das vom EDV-Studio Ploenzke begutachtet wurde. Die Investitionen zur Ausarbeitung dieser Technologien belaufen sich auf mehrere Mannjahre", erklärt Ploenzke-Berater Heinz Küting, weshalb sie nur bei acht Herstellern fündig wurden, die ihre CASE-Pakete auch hierzulande vertreiben.

Die Installationszahlen dieser Systeme schwanken von einer Handvoll bis zu einigen tausend Installationen weltweit von einer Software-Produktionsumgebung spricht man erst, wenn alle Phasen der Programm-Erstellung unterstützt werden sowie die Methoden und Werkzeuge aufeinander abgestimmt sind, so daß alle Entwicklungsergebnisse zentral, auf einer logischen Datenbasis verwaltet werden können. Das fängt an bei der Analyse der geplanten Anwendungsfunktionen, reicht über den Entwurf und den Test bis zur Fertigstellung des Programms. Auch Qualitätssicherung, Wartung und Weiterentwicklung zu einem späteren Zeitpunkt sind eingeschlossen. Nicht nur Einzelprogramme sondern ganze Projekte lassen sich so einfacher bewältigen.

Von integrierten, umfassenden Systemen erwarten Software-Fachleute hohe Produktivitäts- und Qualitätsgewinne. Hier spielt nach Kütings Worten eine entscheidende Rolle, daß die Kooperation, auch bei konzernübergreifenden Großprojekten, gefördert wird: "Der Entwicklungsprozeß ist heute so anspruchsvoll, daß er nur noch in einem engen Miteinander vieler Experten aus Fach und DV-Abteilung bewältigt werden kann" Nach seiner Erfahrung befassen sich heute viele Anwender mit der Frage wie sie ihre Software unter ein ach bringen können.

Was den Reifegrad dieser Technologie betrifft, spricht Küting, federführend bei der Studie, von einer "ersten Konsolidierung". Die meisten von Ploenzke beschriebenen CASE-Systeme verfügen über grafische Schnittstellen, Fenstertechnik und teilweise auch über wissensbasierte Komponenten.

Noch unzureichend sei allerdings der technische Stand der Anwendungsprogramme, die mit diesen komfortablen Werkzeugen entwickelt werden. So fehlen beim Endprodukt häufig die benutzerfreundlichen Qualitätsmerkmale, wie etwa grafische Symbole, auf die Entwickler selbst soviel wert legen.

Zwei Dinge nennt die Ploenzke-Studie entscheidend bei der Software-Architektur für

diese Produktionsumgebungen: Erstens eine einheitliche Benutzeroberfläche, von der aus sämtliche Funktionen des Entwicklungssystems aufgerufen werden können, und zweitens, als Kernstück einer Software-Produktions-Umgebung", eine logische, zentrale Entwicklungsdatenbasis. Alle Entwicklungsergebnisse sowie die Dokumente des Projektmanagements und der Administration werden zentral verwaltet, auch wenn sie auf unterschiedlichen Datenbasen liegen.

Hier die acht, von Ploenzke ausgewählten CASE-Systeme im Überblick:

Domino von Siemens

Ein seit vielen Jahren angebotenes Entwicklungskonzept für BS2000-Rechner, das vorwiegend im Bereich der Realisierung und weniger in den frühen Phasen des Entwicklungsprozesses Unterstützung bietet. Eine rechnerunterstützte zentrale Dokumentenverwaltung ist heute noch nicht realisierbar.

Foundation von Andersen Consulting

Mit bislang drei Installationen für das komplette System kann die bundesdeutsche Niederlassung des US-Hauses aus Chikago aufwarten. Es unterstützt die strategische Informationsplanung, die Projektplanung, das Projektmanagement sowie Software-Entwicklung und Wartung. Einige Foundation-Komponenten sind auf PCs ablauffähig, weitere sollen in zukünftigen Versionen hinzukommen, auch für OS/2.

IEF von James Martin Ass.

Die Information Engineering Facility - so der ausgeschriebene Produktname - ist ein geschlossener, integrierter Werkzeugverbund, der aus einzelnen PC und Host-Komponenten besteht. Das Produkt ist seit 1986 auf dem Markt und weltweit 180 Mal installiert.

Mit der nächsten Version 4.0 werden noch fehlende Funktionen beim Projektmanagement ergänzt. Weiterentwicklungen betreffen die Unterstützung von Batch-Programmen und SAA. Die Ploenzke-Wertung: "Eine hochgradig integrierte und geschlossene Entwicklungsumgebung."

IEW von Knowledgeware

Von Beginn an läßt sich Information Engineering Workbench (IEW ) als eigenständiges Entwicklungssystem auf einem PC einsetzen. Daraus erklärt sich die extrem hohe Installationszahl bei weltweit 1300 Kunden. Auch die IEW ist ein Werkzeugverbund , der vorrangig die strategische Informationsplanung sowie die Erstellung von Anwendungssystemen mit den Phasen Analyse, Design und Realisierung unterstützt. Eine rasche Verbreitung von IEW auch auf dem deutschen Markt sind erwartet, da es die IBM seit kurzem ihren Kunden für die Analyse und Design-Phasen empfiehlt.

Maestro II von Softlab

Ende dieses Jahres will das Münchener Softwarehaus diese zweite Version seiner Entwicklungsumgebung offiziell vorstellen. Das Vorgängerprodukt Maestro I weltweit 22 000 Mal installiert, davon 6000 Mal in der Bundesrepublik. Die neue Version wird eine offene Produktionsumgebung auf Unix-Basis sein, die auf einer objektorientierten Datenbank aufsetzt. Auch dieses System soll zu den "Auserwählten" zählen, die IBM in ihre SAA-Umgebung integrieten will.

MSP Easy von MSP

Seit 1976 bietet die Manager Software Products, in Pinneberg ansässig, ihr modular aufgebautes System an, seit 1988/89 in neuen Releases. MSP Easy läuft auf Großrechnern von IBM und Siemens und kann Arbeitsplatzrechner als Front-Ends einsetzen. Anpassungen an das SAA-Konzept und die Umstellung auf OS/2 für die Anbindung eines IBM-Repositorys bereitet das Haus vor.

Pacbase von CGI

Die französische Firma CGI hat ihre Entwicklungsumgebung für Cobol-Anwendungen konzipiert, die auf mehreren Systemen der Hersteller IBM, Honeywell Bull, Unisys und DEC lauffähig sind. Zunächst als reine Host-Lösung ausgelegt, sind seit Mitte der 80er Jahre auch PC Komponenten hinzugekommen. Da Pacbase auf vielen Zielsystemen funktioniert, empfiehlt es sich insbesondere für eine heterogene DV-lnfrastruktur.

Predict CASE von Software AG/Ploenzke

In Kooperation bieten die beiden Softwarehäuser eine integrierte Entwicklungsumgebung für das Zielsystem Natural an. Das Methoden-Konzept Isotec dafür stammt aus dem Haus Ploenzke und ist grundsätzlich auch in anderen Zielsystemen einsetzbar.

Kern des Systems ist eine logische, zentrale Entwicklungsdatenbank. Eine Workstation-Version von Predict CASE ist für 1990 angekündigt.

Einen Hinweis auf die strategische Bedeutung dieses Marktsegmentes mag das Interesse der IBM geben. Für das kommende Jahr hat der Computer-Marktführer eine eigene Software-Produktionsumgebung unter der Bezeichnung AD/Cycle angekündigt. Außerdem hat der Konzern mit rund dreißig internationalen Softwarehäusern eine Zusammenarbeit vereinbart, um eine Integration der Systemkomponenten unter SAA zu erzielen. +

* Heidrun Haug arbeitet als freie DV-Journalistin in Tübingen.