Trotz TK-Monopolen und Skepsis finden Call Center ihren Markt Die Telefonkundschaft will nicht in der Schlange warten

30.09.1994

AMSTERDAM (jha) - Call Center als zentrale Telefoneinrichtung haben in Europa bisher einen schweren Stand. Durch die nur langsam fortschreitende Liberalisierung des TK-Marktes sind die Dienste in der Alten Welt noch teuer. Zudem reagieren viele Europaeer zurueckhaltender auf telefonische Verkaeufe als Amerikaner. Doch die Erfahrungen jenseits des Atlantiks zeigen, dass sich die Investitionen in Call Center durch Produktivitaets- und Qualitaetsgewinne bezahlt machen.

Auf der Konferenz "The European Call Centers", zu der die Marktforscher von der Yankee Group eingeladen hatten, definierte Bryan van Dussen, Senior Analyst beim Veranstalter, die neue Generation der TK-Zentralen folgendermassen: "Call Center sind der systematisierte und formalisierte Gebrauch von Telekommunikationdiensten inklusive Daten und Sprache, um Teile der Geschaeftsfunktionen wie etwa Kundenservice, Marketing oder Bestellannahmen zu automatisieren und zu verbessern."

Impulse, so van Dussen, die den zentralen Telefoneinrichtungen auch in Europa zum Durchbruch verhelfen duerften, koennten von amerikanischen Firmen ausgehen, die ihre Aktivitaeten auf Europa ausdehnen. Ausserdem sei auch in der Alten Welt eine zunehmende Akzeptanz von TK-Diensten fuer die geschaeftliche Kommunikation festzustellen. Kostenersparnis bei gleichzeitigem Produktivitaetsgewinn und positiver Kundenresonanz machten die Call Center interessanter.

Doch diese Wachstumsfaktoren werden derzeit noch durch den europaeischen TK-Markt gebremst: Die Gebuehren sind in Europa wesentlich hoeher als in den USA. So kostet etwa eine T1- Mietleitung mit einer Uebertragungsrate von 1,5 Mbit/s zwischen New York und Chikago rund 6500 Dollar pro Monat, fuer den gleichen Zeitraum muessen europaeische Kunden bei einer etwas hoeheren Datenuebertragung von 2 Mbit/s zwischen Frankfurt und Mailand jedoch 80000 Dollar zahlen. Gerade der grenzueberschreitende Telefonverkehr sei in Europa unverhaeltnismaessig teuer, bemaengelte van Dussen.

Nicht nur die schleppend voranschreitende Liberalisierung des TK- Markts macht den Call Centern in Europa zu schaffen, sondern es spielen in der Alten Welt auch andere kulturelle Einfluesse als in den USA eine Rolle. Fuer paneuropaeische Call Center stellt sich beispielsweise das Problem der verschiedenen Sprachen. Kunden muessen in ihrer Landessprache bedient werden, um dem telefonischen Dienst zur Akzeptanz zu verhelfen. Mehrsprachige Mitarbeiter sind also unabdingbar. Zudem gibt es in der europaeischen Bevoelkerung eine groessere Zurueckhaltung gegenueber den TK-Diensten. Telefon- Marketing und Telefonverkauf sind diesseits des grossen Teichs nicht in dem grossen Stil durchfuehrbar, wie sie in den USA bereits praktziert werden - der persoenliche Kontakt wird der Fliessbandabfertigung am Telefon vorgezogen.

Auch die haeufig fehlenden demoskopischen Daten erschweren den

direkten telefonischen Verkauf. Staerker als in den USA werden hierzulande persoenliche Daten geschuetzt. Aus Sicht der Call- Center-Protagonisten sind besonders die strengen Datenschutzgesetze in Deutschland ein Hindernis. Vor allem bei Marketing-Aktionen liessen sich gespeicherte demoskopische Informationen von den Mitarbeitern nutzen, um gezielter arbeiten zu koennen.

Neben Datenbanken gehoeren laut van Dussen folgende Funktionen zur typischen Ausstattung eines Call Centers: gebuehrenfreie Anwahlnummern, ein automatisches Anrufverteilsystem, Anrufbeantworter und Sprachsysteme sowie die Integration von Telefon und der Computertechnologie.

Die fuer den Anrufenden gebuehrenfreien Gespraeche scheinen sich auch in Deutschland durchzusetzen, wie die immer haeufiger in Werbeanzeigen aufgefuehrten 0130-Nummern beweisen. In Amerika werden laut van Dussen bereits 80 Prozent aller geschaeftlichen Telefongespraeche, insgesamt rund 15 Milliarden Anrufe pro Jahr, ueber die in den USA kostenlosen 800er Nummern abgewickelt.

Eine weitere Grundfunktion der TK-Zentralen ist die automatische Anrufverteilung oder Automatic Call Distribution (ACD). Sie verbindet Anrufer mit freien Mitarbeitern oder stellt den Kunden automatisch zum Sachbearbieter durch. Allerdings sind vor der Inbetriebnahme von ACD-Anlagen umfangreiche Programmierungsarbeiten zu erledigen. "Das Routing der Anrufe muss so angelegt sein, dass der richtige und freie Sachbearbeiter erreicht wird", erklaert Han Witt, Telecom-Manager bei Hewlett Packard, wo der technischen Kundensupport fuer Drucker in einer niederlaendischen Telefonzentrale in der jeweiligen Landessprache des Anrufenden fuer ganz Europa erledigt wird.

Zudem, so Witt, sollten Dokumentationsfunktionen eingebunden werden, die Informationen ueber die Gespraechsverteilung und Auslastung der Mitarbeiter lieferten. Das programmierte System hat bei starker Auslastung Anrufe ebenso zuverlaessig zu verteilen wie bei geringerer Frequenz.

Zu den wichtigsten Tools der Call Centers gehoeren die Datenbanken. Um effizienter zu operieren, muessen die Mitarbeiter schnellen und einfachen Zugriff auf Kundendaten haben und diese auch aendern koennen. Ist die Nebenstellenanlage mit einer Anruferidentifikation ausgestattet, lassen sich die Daten bereits mit der Entgegennahme des Anrufs am Bildschirm darstellen. Interaktive Anrufbeantworter sollten ebenfalls in Call Center implementiert sein.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von leistungsfaehigen Anrufzentralen sind Rechner mit integrierten TK-Diensten (siehe auch Thema der Woche, Seite 7). Computer Telephony Integration (CTI) ist eine relativ neue Technik, fuer die Bob Price, Technical Consultant bei der Brite Voice Systems Ltd. in Cheshire, Grossbritannien, sieben typische Basisfunktionen ausmacht:

- Sprach- und Datenassoziation, bei der Daten, die waehrend eines Gespraechs aufgenommen werden, automatisch gespeichert und, falls notwendig, zum naechsten Sachbearbeiter weitergereicht werden,

- anruferabhaengige Datenauswahl, die Informationen ueber Kunden automatisch am Bildschirm darstellt,

- Monitoring-Applikation auf dem Host, die Statistiken ueber angeschlossene TK-Anlagen, Peripherie- und Faxgeraete verfasst,

- Transport von Daten,

- monitorunterstuetztes Telefonieren,

- Routen von eingehenden sowie

- Routen von ausgehenden Anrufen.

Diese Funktionen finden sich im gesamten Markt fuer Call Center wieder, die die Yankee Group in zwei Sorten unterteilt: Inbound Center nehmen eingehende Anrufe entgegen. Sie werden ueberwiegend in Unternehmen eingesetzt, die Wert auf Kundenservice legen oder einen grossen Teil ihres Geschaeftes ueber telefonische Bestellannahmen erledigen wie beispielsweise Versandhaeuser. Weitere Anwendungen gibt es bei Reservationsdiensten von Hotels oder Fluggesellschaften sowie in der Beschwerdenaufnahme.

Personalbedarf ist kaum zu planen

Dagegen werden Outbound Call Center bei Markforschern oder Agenturen fuer Direkt-Marketing eingesetzt. Die Mitarbeiter in diesen Telefonzentralen rufen Kunden an. Auch fuer diese Anwendung gibt es Loesungen, die das Telefonieren effektiver gestalten sollen. So bietet etwa die Teledynamics in Utrecht ein System an, das mehrere Nummer gleichzeitig waehlt. Besetzte oder nicht angenommene Verbindungen werden erneut angewaehlt. Sobald eine Leitung freigeschaltet ist und sich der Kunde meldet, wird das Gespraech zum Mitarbeiter durchgestellt.

Als groesste Herausforderung bei Planung und Betrieb von Anrufzentralen bezeichnete CTI-Experte Price die Anforderungen an die Angestellten. Der Bedarf an Personal ist schlecht vorherzusagen, eine optimale Auslastung laesst sich nur selten erreichen. Zuwenig verfuegbare Annahmestellen bedeuten Umsatzverlust, da wartende Kunden abspringen, zu viele unbeschaeftigte Mitarbeiter druecken die Effektivitaet der Zentrale.

Hohe Fluktuation bei den Mitarbeitern

Ein weiteres Problem ist die Fluktuation der Mitarbeiter. Die Jobs in Call Centern sind haeufig eintoenig und wiederholen sich, so dass viele Angestellte dieser Belastung nicht lange gewachsen sind. Abhilfe koennen hier teilweise elektronische schwarze Bretter, bei denen sich die Kunden eigenstaendig informieren, Fax-on-demand- Loesungen oder interaktive Sprachsysteme bieten.

Dennoch bleiben die Mitarbeiter der groesste Kostenfaktor beim Betrieb von zentralen Anrufzentralen (siehe Grafik). "Call Center sind teuer", so HP-Mann Witt, doch die Investition mache sich durch Qualitaets- und Umsatzsteigerungen bezahlt. "Kunden moegen es nicht, in einer Schlange zu warten", fuegte er hinzu, "und jeder nicht entgegengenommene Anruf ist ein verlorenes Geschaeft."