Den Blick auf den Massenmarkt geheftet

Trotz neuer Workstations spürt Sun heißen Atem der Konkurrenz

02.08.1991

MÜNCHEN (jm) - Sun, Primus der RISC-Workstations-Hersteller, präsentiert sowohl zwei ab sofort lieferbare neue Rechner als auch Leistungsverbesserungen bei alten Systemen, wobei die Leute um Firmengründer Andreas von Bechtolsheim vor allem auf Einsteiger in die RISC-Welt schielen. Kritiker geben jedoch zu bedenken, daß Sun allmählich den Anschluß an die Technologiespitze verliere und sich deshalb auf längere Sicht die Gewichte im RISC-Workstation-Markt gravierend verändern könnten.

Als neuen Einstiegsrechner positioniert Sun die mit einem Schwarzweiß-Monitor ausgestattete "Sparcstation ELC", die das Vorgängermodell "Sparcstation SLC" ersetzen wird und diesem gegenüber eine zweifache Rechenleistung sowie die vierfache Speicherkapazität aufweist. Ausgewiesen ist die neue Sparc-CPU von der Fujitsu Inc. oder der Weitek Corp. (33 Megahertz), die Integer- und Gleitkomma-Einheit auf einem Chip vereint, mit 20,1 Specmarks Rechenleistung.

Das andere neue System, die "Sparcstation IPX", siedelte Sun zwischen "IPC"-Workstation und "Sparcstation 2" an. Sie arbeitet ebenfalls mit dem neuen Sparc-Prozessor, allerdings mit der höheren Taktrate von 40 Megahertz (24,2 Specmarks), entspricht in den Rechenleistungswerten also in etwa dem Topmodell Sparcstation 2.

Die im Kompaktgehäuse offerierte und deshalb gegenüber Suns leistungsfähigstem Rechner preislich günstigere Maschine besitzt einen integrierten 2D/3D-GX-Grafikbeschleuniger mit einer Rechenleistung von 310 000 3D-Vektoren pro Sekunde beziehungsweise 480 000 2D-Vektoren pro Sekunde.

Zur Strategie, Low-cost-Kunden einzufangen, gehört auch, daß Sun einerseits die Preise für die IPC-Workstation senkte (von 10 000 auf etwa 7000 Dollar), andererseits die Leistungen sowohl der Sparcstation 2 als auch des "Sparcservers 2" anhob. Hauptspeicher (32 MB Standard) und Plattenkapazität (424 MB Standard) duplizieren sich, die CPU-Rechenleistung wurde um 15 Prozent (jetzt 24,7 Specmarks), die Grafikleistung um zehn Prozent angehoben. Die Leistungssteigerung erreicht Sun durch einen von der Kuck and Associates Inc. aus Champaign in Illinois geschriebenen Compiler, der allerdings erst in etwa drei Monaten verfügbar sein soll.

Zumindest in den USA will Sun Anwendern von Hochleistungs-PCs und Workstation-Benutzern anderer Hersteller einen besonderen Deal anbieten. Wenn sie ihre in Benutzung befindlichen Systeme gegen eine IPC-Farb-Workstation eintauschen, erhalten sie einen Rabatt von 1000 Dollar.

Trotz dieser neuen Systeme äußern sich Marktbeobachter zunehmend kritisch über Suns Produktpolitik.

Obwohl die 1982 in Mountain View gegründete Firma weltweit immer noch einen Marktanteil von über 50 Prozent an verkauften RISC-Workstations besitzt (in Deutschland etwa 53 Prozent nach IDC), verweisen Analysten darauf, daß die Kalifornier nicht mehr die Speerspitze heute erzielbarer Leistungsfähigkeit darstellen. "Wissen Sie, diese Sun-Ankündigung ist so lala. Damit bleiben sie zwar Marktführer mit Low-cost-Maschinen. Aber nach wie vor ist Sun bei weitem kein Technologieführer oder Spitzenreiter in puncto Rechenleistung", bemängelt IDC-Analystin Nancy Battey.

Die IBM zog mit ihren RISC/6000-Systemen in Sachen Rechenleistung an Sun vorbei, während Hewlett-Packards PA-RISC-Rechner der 700-Familie stehen diesbezüglich einsam an der Spitze Auch konterte zumindest HP die Bemühungen aus dem Sparc-Lager um optimierte Compiler mit einer eigenen, verbesserten Compilersoftware, die die 700-Workstations noch mehr beflügeln. Maß aller Dinge sind momentan 76,8 MIPS (bisher 72,2), die HPs Modelle 730 und 750 halten. Big Blue wiederum hat für September Compilersoftware angekündigt, die die RS/6000-Systeme gleich um 27 Prozent beschleunigen soll.

Darüber hinaus gehen Analysten davon aus, daß sowohl die IBM als auch HP und DEC noch in diesem Jahr Sun mit preisgünstigen Workstations um 5000 Dollar den Kampf ansagen werden. Big Blue hatte zudem in jüngster Vergangenheit bewiesen, daß es auch über knallharten Preiskampf den Wettbewerb auf dem Workstation-Markt anzugehen gedenkt Preisnachlässe von über 50 Prozent auf gerade erst vorgestellte Systeme kann möglicherweise auch nur jemand wie der blaue Riese wegstecken, der seine Umsätze im Gegensatz zu den meisten anderen Herstellern aus ganz unterschiedlichen IS-Bereichen generiert

Silicon Graphics hingegen zog mit den zeitgleich zu den Sun-Workstations präsentierten "Iris-Indigo"-Rechnern einen Joker aus dem Ärmel, mit denen der Grafikspezialist beweist, daß hohe 3D-Grafikleistungen und Multimediaoptionen zum günstigen Preis (etwa 8000 Dollar) zu haben sind.

Sun, Anbieter ausschließlich von Workstations, könnte in Zukunft möglicherweise in eine ähnliche Situation wie Compaq geraten. Der Erfolg beider steht und fällt mit einem einzigen Produkt. Sun wie Compaq galten außerdem in der Vergangenheit als die Technologieführer ihrer jeweiligen Sparte. Diese Position haben beide verloren. Da in Zeiten allgemeiner Rezession Käufer zunehmend kostenbewußt werden, müssen beide nun auch noch mit ansehen, wie die Konkurrenz ihnen am Low-end das Wasser abgräbt.

Nach wie vor hat Sun seine Multiprozessor-Maschine nicht angekündigt. President Scott McNealy mußte eingestehen, daß seine Entwickler nicht immer die Ersten seien, die das technisch Fortschrittlichste auf den Markt werfen würden. Er versprach aber, "wir werden noch dieses Jahr eine Multiprozessor-Unix-Maschine mit Compiler, Tools und Applikationssoftware vorstellen". Mit diesen Systemen sei Sun dann auch der erste Hersteller, der Superskalarität, Multi-CPU-Design und Objekt-Management-Technologien nicht nur in handverlesenen Rechnern, sondern in Mengen anbieten könne.

Von geringerem Interesse sei hingegen die Entwicklung eines Konkurrenz-Chips zu der Mips-R4000-CPU, die erstmals in 64-Bit-Technologie ausgelegt ist. Phil Huelson, Vice-President und Technologiedirektor der Sun-Cloner-Gemeinde Sparc-International, sieht in dieser Architektur momentan keinen höheren Nutzwert: "Es steht doch gar keine Software zur Verfügung, die diese Architektur nutzt. Und bis es die einmal gibt, vergehen noch ein paar Jahre."