Netware-Vertrieb über IBM-Kanäle möglich

Trotz Microsoft: IBM kooperiert mit Novell

15.02.1991

BOSTON/MÜNCHEN (CW) - Jetzt ist offiziell, was die Spatzen schon lange von den Dächern gepfiffen haben: IBM und Novell wollen zusammenarbeiten. Die beiden Companies werden auf der "Networld" in Boston das Geheimnis um ihre strategischen Pläne lüften.

Marktbeobachter gehen davon aus, daß IBM Novells Netzwerk-Betriebssystem Netware über eigene Vertriebskanäle ausliefern wird.

Zwar ist die Kooperation angekündigt, doch über die Vertriebsvereinbarungen hüllen sich die beiden Unternehmen in Schweigen. Offiziell ist einem Artikel des "Wall Street Journal" zufolge lediglich, daß die beiden Unternehmen eine Liaison in Sachen Netware eingehen werden, die Novell-Mitbewerber Microsoft Kopfzerbrechen bereiten dürfte.

Big Blue vermerktet nämlich Microsofts Netzwerk-Betriebssystem LAN Server, die IBM-Version des LAN Manager. Daher hatten die Mannen um Firmengründer Bill Gates den Markt für Netzwerk-Betriebssysteme bereits zum künftigen "Schlachtfeld" auserkoren. Das Betriebsystem von Novell - laut Microsoft wird es in den USA an jeder Straßenecke wie Eiscreme feilgeboten - sollte mit Unterstützung von IBM zurückgedrängt werden.

Möglicherweise hat IBM die Aussichtslosigkeit dieses Plans erkannt und sich auf die Seite des Marktführers geschlagen.

Novell verfügt nämlich laut IDC über etwa 53 Prozent der Marktanteile. Trotzdem muß Big Blue weiterhin daran interessiert sein, Marketing-Power in die Microsoft-Software zu investieren, denn die Armonker wollen nach wie vor das bisher wenig akzeptierte Betriebssystem OS/2 vermarkten - und das wird von Microsofts LAN Server unterstützt. Entsprechend stiefmütterlich, so orakeln Brancheninsider, könnte der Vertrieb von Netware angegangen werden.

Gegen diese Befürchtung spricht allerdings eine gemeinsame Ankündigung von IBM und Novell, die nach einer Meldung der CW-Schwesterpublikation "lnfoworld" ebenfalls auf der Networld ansteht: Die Unternehmen wollen zusammen ein Netzwerk-Betriebssystem herausbringen, das den Einsatz von IBMs AS/400-Midrange-Rechnern und den RISC-Systemen RS/6000 als Hochleistungs-Netzwerk-Server erlaubt. Beide Netware-Versionen sollen in frühestens sechs Monaten über die Vertriebskanäle von IBM unter dem Novell-Label auf den Markt gebracht werden.

Von der Novell Deutschland GmbH und der Stuttgarter IBM-Niederlassung sind im Vorfeld der "Networld" über die verschiedenen Deals zwischen Novell und IBM keine näheren Einzelheiten zu erfahren. "Das Ganze hat Tragweite", schürt aber Jürgen Müller, bei der deutschen Novell für Marketing Kommunikation zuständig, die Spekulationen, die sich seit geraumer Zeit um die beiden Unternehmen ranken.

Auch über den internen Weg sind einige Informationen über das Agreement bekannt geworden. Aus Kreisen der Geschäftsleitung von Novell hat zum Beispiel Helmut Weissenbach, ehemals Vice-President International des Unternehmens, erfahren, daß der in Provo/Utah ansässige Netzwerk-Spezialist seit zwei Jahren nicht nur mit IBM, sondern auch mit Digital Equipment am Verhandlungstisch sitzt.

Mehrfach, so der Insider, sei in den vergangenen Tagen durchgesickert, daß Big Blue in Boston Netware als "Operating System of Joice der 90er Jahre" aberkennen werde. Nachdem beide Unternehmen bislang gegeneinander aufgetreten sind, würde eine solche Aussage von IBM laut Weissenbach einen enormen Gewinn für Novell bedeuten. "Ein Endorsement von IBM steigert in jedem Fall die Akzeptanz, die dem Kunden die Einkaufsentscheidung wesentlich erleichtert."

Für Netware wäre durch ein IBM-Bekenntnis auf breiter Ebene der Weg bereitet: Erstmals könnte die Verbindung zu Großrechnern eine neue Rolle spielen. Außerdem wollen sich die Armonker, so der Ex-Vice-President, ein wenig aus der Abhängigkeit von Microsoft lösen.

Gegenwärtig gingen die Spekulationen sogar soweit, IBM werde den Presentation Manager aufgeben, weil sich Microsoft angeblich von OS/2 zurückziehe. Weissenbach hält diese Vermutungen allerdings für überzogen. Er rechnet damit, daß Big Blue den LAN Server parallel zu Netware am Markt unterstützen wird. Daß IBM das Netzwerk-Betriebssystem von Novell auch vermerkten wird, kann sich der ehemalige Vice-President nicht vorstellen.

Fest steht laut Weissenbach, daß Novell in Boston Netware 386 für 20, 100 und 1000 User vorstellen wird. Darüber hinaus soll die bisherige 286-Produktserie von Netware durch eine homogenere Entwicklung abgelöst werden, die Novell-intern den Spitznamen "LAN Manager" trägt und auf der Basis von Netware 286 aufbaut.