Computerwoche-Kongress zeigte Perspektiven auf

Trotz Krise: Business braucht IT

06.12.2002
MÜNCHEN (CW) - Ungeachtet der allgegenwärtigen Depression entwickelt sich die IT-Szene weiter. Der COMPUTERWOCHE-Kongress "IT meets Business - Strategien für die Zukunft" machte deutlich, wohin die Reise für CIOs gehen kann.

"Strategien" und "Zukunft" - diese beiden Begriffe nehmen sich am Ende des Jahres 2002 beinahe anachronistisch aus. "Große Entwürfe haben derzeit keine Konjunktur", konstatierte Helmut Schulte-Croonenberg, Vice President bei A.T. Kearney, der durch die zweitägige Veranstaltung führte. Derzeit würden eher die Einzelheiten beleuchtet. Trotzdem förderte der Kongress auch Grundsätzliches zu Tage.

So machte sich Keynote-Sprecher Peter Keen einen Spaß daraus, populäre IT-Mythen zu zerpflücken, beispielsweise den vom Return on Investment (RoI). Nach Ansicht des Beraters für Unternehmens- und IT-Strategie ist dieser Begriff auf die klassische Informationstechnik kaum anwendbar. Sie habe den Charakter einer Infrastruktur, deren Wert sich genauso wenig messen lasse wie der des Strom- oder Eisenbahnnetzes. Zudem seien die Investitionen aufgrund ihrer Komplexität nicht in Euro und Cent auszurechnen. Deshalb bedeute RoI in Bezug auf die IT "Return on Risk".

Im Prinzip hätten die Unternehmen heute die Wahl, wo und wie viel Geld sie in ihre IT stecken, so Keen weiter. Nach der "Disziplinlosigkeit" der Dotcom-Phase schlägt das Pendel seiner Ansicht nach jetzt zu weit in die entgegengesetzte Richtung aus. "Während einer Rezession gibt es keine Alternative zur Innovation", konstatierte der Analyst, "aber dafür ist kein Geld vorhanden." Um die Fixkostenblöcke in flexible Ausgaben umzuwandeln, empfahl er ein "Co-Sourcing" mit Partnerunternehmen. "Die IT-Abteilung sollte sich nicht mit Lowend-Services abgeben", forderte er. "Das Mehr oder Weniger an Overhead macht den Unterschied aus zwischen Profit erzielen und gerade mal so hinkommen."

Co-Sourcing (nicht Outsourcing!) ist Teil des von Keen propagierten "Romi"-Ansatzes - ausgeschrieben "Return on minimal Investment". Weiterhin gehören dazu die Suche nach Best-Practice-Mustern für eigene Innovationen und das Aufspüren von "Second-Mover"-Vorteilen.

Darüber hinaus riet Keen den Unternehmen, ihre Projekte radikal zu verkleinern: Der "Entwicklungsetat" sei tot, es lebe das "Geschäftsvorhaben" mit einem Zeitrahmen von 90 bis 180 Tagen, einem Budget von einer halben bis etwa einer Million Euro und einem berechenbaren Nutzen.

"Welche IT-Investitionen lohnen sich eigentlich?" Mit dieser Frage betrat Dirk Buchta das Podium. "Zu den Aufgaben des Herkules gehörte es, den Stall des Augias auszumisten, aber auch die Äpfel der Hesperiden zu stehlen", konstatierte der Unternehmensberater, der als Vice President bei A.T. Kearney wirkt. Es reiche also nicht, die IT-Kosten zu senken; vielmehr müsse für das knappe Geld auch ein Mehrwert erzielt werden - beispielsweise in Form von zusätzlichen Marktanteilen oder geringeren Vertriebskosten.

Dazu ist es laut Buchta zunächst notwendig, den Budgetanteil zu vergrößern, der für geschäftsstrategische Aktivitäten aufgewendet werden könne. Derzeit liege er bei zehn bis 25 Prozent; den Rest fräßen der Infrastrukturbetrieb und die Unterstützung der ERP-Applikation auf. Durch konsequente Standardisierung sei es jedoch möglich, die Infrastrukturkosten um 20 bis 30 Prozent zu verringern. Ein ähnlicher Effekt lasse sich mit einem systematischen Sourcing von IT-Dienstleistungen erzielen, beispielsweise durch Neuverhandeln existierender Verträge.

Fünf goldene Regeln

Wie sich die gesparten Beträge nutzbringend ausgeben lassen, beantwortete Buchta anhand fünf "goldener" Regeln für IT-Investitionen:

- Alle Projekte sollten einen eindeutigen Bezug zum Kerngeschäft des Unternehmens haben.

- Unabdingbar ist ein aussagekräftiger und quantifizierbarer Business Case, bei dem sich die Ausgaben in zwei Jahren amortisieren.

- Synergien mit Konzernschwestern gehen zwar zu Lasten der eigenen Freiheit, zahlen sich aber unter dem Strich aus.

- Harmonisieren, Standardisieren, Outsourcen und Rationalisieren bedeutet: vermeidbare Kosten einsparen.

- Die IT muss ihre Querschnittsrolle im Unternehmen proaktiv nutzen.

Vier zukunftsträchtige IT-Bereiche hatten die Kongressverantstalter auf die Tagesordnung gesetzt: die Weiterentwicklung des Enterprise-Resource-Managements, die Integration durch Web-Services, die intelligente Sammlung und Auswertung von geschäftsrelevanten Daten und die Möglichkeit mobiler Informationsverarbeitung.

Inwiefern sich der RoI einer Standardsoftware, beispielsweise eines ERP-Systems, messen lässt, war das Thema von Karsten Ludolph, Managing Director Central Europe des Testsoftware-Spezialisten Mercury Interactive. Den Zuhörern empfahl er, sich zunächst da-rüber klar zu werden, welches Ziel sie verfolgten - weniger Kosten oder mehr Umsatz -, und dann zu fragen, ob die Investitionen dahin fließen, wo der Umsatz erzeugt wird. Aktuellen Untersuchungen zufolge würden die Unternehmen im Durchschnitt 60 Prozent ihrer IT-Budgets für nicht geschäftskritische Applikationen ausgeben. "Es kann nicht nur darum gehen, die IT-Budgets zu kappen", mahnte Ludolph. Vielmehr sei es notwendig, die IT zu "tunen", indem Aufwand und Nutzen in eine Relation gebracht würden.

Wie anfangen mit den Web-Services?

Breiten Raum nahm das Thema Web-Services ein. Jost Hoppermann, Vice President Research Europe der Giga Information Group, überraschte das Auditorium mit der Feststellung, Web-Services seien keine "Revolution", sondern "der nächste Schritt in der Evoluton der Integrationstechniken". Hoppermann sieht die Akzeptanz der neuen Technik in der "Mooreschen Spalte" zwischen den IT-Pionieren und der "frühen Mehrheit" - zumindest im unternehmensinternen Einsatz. Was die externe Verwendung angeht, ist er jedoch skeptisch: "In den kommenden fünf Jahren wird die Integration zwischen Unternehmen tendenziell nicht über Web-Services laufen."

Wie der Analyst in der anschließenden Podiumsdiskussion erläuterte, müssen die Unternehmen derzeit noch an vielen Stellen mit selbst entwickelten Standards vorlieb nehmen. Das impliziere die Gefahr eines späteren Migrationsaufwands. Deshalb plädierte der Marktforscher dafür, sich "sehr genau" zu überlegen, wo und wie man Web-Services einführen wolle. Als sinnvoll bezeichnete er die Strategie, diese Technik zunächst für kleine Informationsdienste, beispielsweise Aktien-Ticker, einzusetzen.

Mit Integration im weiteren Sinne beschäftigte sich auch der Vortrag von Thomas Endres. Der frisch gebackene Lufthansa-CIO sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, so unterschiedliche Geschäftsfelder wie Personenbeförderung, Logistik und technische Dienstleistung mit IT zu versorgen. Dabei steht er immer wieder vor der Frage, wie viel Standardisierung sinnvoll ist.

Die Lufthansa-Lösung besteht darin, standardisierte Prozesse zu definieren und eine Methode für die langfristige Planung zu entwickeln. An dieser Elle sollen die Einzelkonzerne ihre jeweiligen Projekte und Strategien messen. Von Fall zu Fall kann dann, so Endres, entschieden werden, was schwerer wiege - die prinzipielle Forderung nach Mehrfachnutzbarkeit oder der Vorteil einer "unmittelbar attraktiven" Applikation. Standards könnten ihre Wirkung nur in dem Maße entfalten, in dem sie "lebbar" seien.

Einen interessanten Anwenderbeitrag zum Thema Business Intelligence (BI) lieferte Hjalmar Heinen, Fachbereichsleiter Zentrale Aufgaben Privatkunden bei der Alllianz Versicherung AG. Er beschrieb ein BI-System, das den Kreislauf von den Bestandssystemen über Analyse, Vertrieb und Kundenverhalten zurück in die Stammdaten geschlossen hat.

Die Allianz begann dieses Unterfangen 1996 mit dem Ziel, wechselbereite Kunden rechtzeitig zu identifizieren. Als das System 2001 fertig gestellt war, ermöglichte es zudem die Auslese der Versicherungsnehmer mit besonders hohem Cross-Selling-Potenzial.

Wie Heinen beteuerte, hat sich der Entwicklungsaufwand definitiv ausgezahlt - in Form "stabilerer" Kunden und neuer Verträge. Allianz-eigene Kontrolluntersuchungen hätten ergeben, dass sich durch die Früherkennung von absprungbereiten Kunden die Stornoquote halbieren ließ. Glücklicherweise sei das System vor sechs Jahren in Angriff genommen worden, also zu einer Zeit, "als die Maßstäbe noch nicht so hart waren". Heute hätte ein derart breit angelegtes Projekt kaum Chancen auf Verwirklichung.

Das Thema Mobilität wurde von Microsoft und T-Mobile abgedeckt. Vertreter der beiden Unternehmen erläuterten die Anwendungsmöglichkeiten des "Tablet PC" und mobiler Kommunikationslösungen. Nach Aussage von Klaus Fischer, Leiter Produkt-Management Plattformprodukte bei T-Mobile, hat sich allerdings noch keine Killerapplikation für die Funknetz-PCs herauskristallisiert. Die müsse jedes Unternehmen für sich selbst definieren.

Ein Highlight der Veranstaltung war der Vortrag von Johann Löhn, Regierungsbeauftragter für Technologietransfer in Baden-Württemberg und Vorstandsvorsitzender der Steinbeis-Stiftung. Er appellierte an die Zuhörer, die depressive Grundstimmung zu überwinden. IT sei volkswirtschaftlich gesehen nach wie vor "der Renner" - auch wenn die Zeit, "wo man Ihnen alles genehmigte, weil man Sie nicht verstand", der Vergangenheit angehöre.

Diesen Ball nahm Schulte-Croonenberg in seinem Resümee auf. Das vorsichtige Herantasten an die Web-Services sei symptomatisch für einen Mangel an Euphorie und visionären Gedanken, der sogar auf die Anbieter abgefärbt habe. Die Anwender sollten akzeptieren, dass von der IT ein Beitrag zum Unternehmenswert eingefordert werde. Ohne Optimismus aber sei es um den Innovationsstandort Deutschland schlecht bestellt.

Karin Quack, kquack@computerwoche.de