Keine Zeit, keine Betreuung, kein Ausbildungsplan

Trotz hohen Personalbedarfs bilden Firmen nicht aus

09.10.1998

Bis vor wenigen Jahren war alles, was mit Multimedia zu tun hatte, das Feld von akademischen Quereinsteigern. Geregelte Ausbildungsberufe für die junge Szene gab es keine, um so mehr waren Kreativität und Anpassungsfähigkeit bei den Bewerbern gefordert. Ohne festgelegte Ausbildungsgänge konnte sich jeder Beschäftigte eine nicht geschützte Berufsbezeichnung nach eigenem Geschmack zulegen, zudem war und ist die Branche alles andere als homogen. "Bei der unterschiedlichen Struktur und Größe der Betriebe von fünf bis 150 Mitarbeitern ist es kein Wunder, daß bislang zum Teil völlig verschiedene Bezeichnungen die gleichen Tätigkeiten meinen", erklärt Klaus Walter, beim Deutschen Multimedia Verband (dmmv) in Düsseldorf, zuständig für die Aus- und Weiterbildung.

Je größer ein Unternehmen wird, desto eher sucht es Spezia- listen für bestimmte Tätigkeiten, in kleineren Unternehmen dagegen finden sich eher die Genera- listen wieder. Das spiegelt sich auch in den Berufsbezeichnun- gen wider, die selbst Insider nicht immer leicht zuordnen können. Ein Grund für den Verband, statt von genau definierten Berufsbezeichnungen lieber von vier Tätigkeitsfeldern zu sprechen: "Multimedia-Projekt-Management", der Schnittstelle zwischen dem Kunden und dem Produktionsteam; "Multimedia-Konzeption", dem Entwurf der entsprechenden Anwendungen nach Kundenwünschen; dem "Multimedia-Design", als darauf folgende gestalterische Umsetzung und der "Multimedia-Programmierung", also der technischen Realisation.

Dazu kommt, daß es bei der rasanten technischen Entwicklung und dem hohen kreativen Entwicklungspotential bislang kaum Strukturen gab, die eine geregelte Ausbildung möglich machten. "Die Entwicklung zeigt eine Tendenz zur Spezialisierung. So nennt sich beispielsweise ein Mitarbeiter, der unter anderem das Screendesign für Spiele entwickelt, schlicht Screendesigner. In einem Spezialunternehmen wird er sich dann, je nach Auf- gabengebiet, beispielsweise als Leveldesigner oder Characterdesigner bezeichnen", bringt Walter Licht in den Dschungel der Berufsbezeichnungen.

Vor zwei Jahren kamen nun neue Ausbildungsberufe dazu, die vor allem einen Standard in der beruflichen Erstausbildung schaffen und damit ein gewaltiges Dilemma der Branche lösen sollen - den großen Bedarf an qualifizierten Kräften. Daß sich daraus zwangsläufig eine große Ausbildungswelle bei den beteiligten Unternehmen ergibt, ist, so dmmv-Mann Walter, jedoch heute noch "eine Illusion".

Bringen also die neuen Ausbildungsberufe überhaupt eine Chance für Betriebe, an qualifizierten Nachwuchs zu kommen? "Nein, wir bilden nicht aus." Dieser Satz trifft zur Zeit noch auf viele Multimedia-Produzenten zu. "Wer als Firma Ausbildungsplätze anbietet, muß sich auch ernsthaft um die jungen Menschen bemühen. Dazu haben wir im Moment nicht die Kraft", gibt Volker Tietgens, Geschäftsführer der Wiesbadener Concept GmbH, Nummer drei der deutschen Multimedia-Agenturen, unumwunden zu. "Praktikanten, die schon eine gewisse Vorbildung haben, können wir leichter in die Arbeitsabläufe eingliedern. Das nutzt dem Praktikanten und dem Unternehmen. Azubis, die bei Null anfangen, müssen, wenn es eine seriöse Ausbildung sein soll, umfassend betreut werden, brauchen einen Ansprechpartner und einen Ausbildungsplan - Dinge, die wir uns im Moment nicht leisten können."

So wie Tietgens argumentieren viele Arbeitgeber. Fehlende personelle und zeitliche Kapazitäten, mangelndes Ausbildungs-Know-how und kaum vorhandene Ausbildungstradition sind die meistgenannten Gründe, wenn Unternehmen nicht ausbilden.

Nicht nur bei der Zahl der Ausbildungsstellen, auch bei den insgesamt neu entstehenden Jobs klaffen Hoffnungen und Realität zuweilen auseinander. Anders als Bundesbildungsminister Rüttgers, der von knapp einer Million Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2001 schwärmte und mit einem Zuwachs von über einer Viertelmillion neuer Stellen rechnete, bleibt der dmmv bei seinen Schätzungen eher zurückhaltend. Walter nennt dafür folgenden Grund: "Wir zählen zum Multimedia-Kernbereich nur die Produzenten und Agenturen, also in Deutschland rund 1100 Unternehmen."

Nicht berücksichtigt sind dabei alle diejenigen Branchen, die Rüttgers wohl in seine Berechnungen einbezog: Rundfunk- und Fernsehanstalten, Banken, Versicherungen, Touristik, Gesundheitswesen, Handel und die Informations- und Telekommunika- tionsbranche. Daß auch dort überall multimedial geprägte Jobs entstehen, weil die Technik neu strukturierte Arbeitsplätze schafft, räumt auch Walter ein. "Es entwickeln sich aber dadurch keine neuen Tätigkeitsfelder oder neue Berufe."

So erklären sich auch die weit niedrigeren Zahlen des dmmv. Auf nur 6000 neue Mitarbeiter jährlich, davon die Hälfte freiberuflich, schätzen die Verbandsexperten das Wachstum an Beschäftigten. Eine Zahl immerhin, die, auf die letzen Jahre umgerechnet, ein Wachstum von rund 30000 neuen Stellen ergeben hat.

Die werden zur Zeit noch meist durch Hochschulabsolventen oder Teilnehmer von Weiterbildungslehrgängen besetzt. Doch was für die Erstausbildung gilt, macht sich hier erst recht bemerkbar: Viele Universitäten stricken an immer neuen Studiengängen, und in der Weiterbildung wird das Angebot vollends unübersehbar. Rund 120 Weiterbildungseinrichtungen mit einer Fülle von Lehrgängen sorgen für einen wahren Dschungel an Angeboten und phantasievollen Berufsbezeichnungen.

"Aber auch hier kristallisieren sich wieder Kernbereiche heraus", ist Maren Müller-Bierbaum, Kursbegleiterin bei der Mediadesign Akademie in München, überzeugt. Sie zählt auf:

- Der Bereich "organisatorisch-kaufmännisch" umfaßt die Berufe Projektleiter, Projekt-Manager, Projektkoordinator;

- der "inhaltlich-didaktische Bereich" Autoren, Storyboarder, Konzeptioner und Online-Redakteure;

- "der gestalterische Bereich" zum Beispiel die Screendesigner;

- im "programmiertechnischen Bereich" gibt es die Berufe Anwendungsprogrammierer, HTML-Programmierer, Javascript-Programmierer. Online-Designer, Online-Redakteur, Projekt-Manager oder Marketing-Kommunikationsassistent heißen dementsprechend die einjährigen Lehrgänge der Akademie.

Ähnlich wie das Münchner Weiterbildungsinstitut beschreibt auch der dmmv die vier Weiterbildungsgebiete analog zu den von ihm definierten Tätigkeitsfeldern. Er hat außerdem, "um eine Empfehlung an Weiterbildungsinstitutionen zu geben", ein eigenes Modell entwickelt. "Damit wollen wir ein Muster für den Aufbau von Curricula liefern", erklärt Walter die Hintergründe. Denn damit soll, was bei den Ausbildungsberufen schon begonnen hat, auch hier einen Anfang nehmen: Orientierung im kreativen Chaos zu schaffen.

Wer wo wieviel verdient

Nicht zuletzt die Verdienstmöglichkeiten sind ausschlaggebend bei der Entscheidung für einen bestimmen Beruf. In 24 Multimedia-Tätigkeitsfeldern haben jetzt der Deutsche Multimedia Verband und der Hightext Verlag eine Übersicht über die Gehälter zusammengestellt. Fazit der Studie: Es herrschen überdurchschnittlich lange Arbeitszeiten bei sehr unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten vor. Je nach Größe und Struktur des Unternehmens unterscheiden sich die Gehälter für ähnliche Tätigkeiten um bis zu 100 Prozent. Ganz oben auf der Rangliste: Positionen im Marketing und Vertrieb und in der Projektleitung. Allerdings wird hier auch am meisten gearbeitet: Auf bis zu 50 Stunden pro Woche bringen es im Durchschnitt Mitarbeiter in Projektleitung und Konzeption.

Die neuen Medien-Ausbildungsberufe

"Mediengestalter Bild und Ton" produzieren und gestalten Bild- und Tonmedien. Das betrifft unterschiedliche Genres wie Nachrichten, Dokumentationen und Hörspiele, Werbespots, Musikvideos oder Multimedia-Produkte.

"Mediengestalter für Digital- und Printmedien" sorgen für die richtige Aufbereitung und Umsetzung von Daten in ein elektronisches oder gedrucktes Produkt. Die Ausbildung erfolgt in einer der vier Fachrichtungen "Medienberatung", "Mediendesign", "Medienoperating" oder "Medientechnik".

Die Aufgaben des "Kaufmanns für audiovisuelle Medien" bestehen darin, in Multimedia-Agenturen, bei Fernsehstationen, beim Hörfunk oder bei Film- und Videoproduktionsfirmen organisatorisch-kaufmännische Tätigkeiten im Marketing, Vertrieb und Verkauf zu übernehmen.

"Film- und Videoeditoren" führen den alten Beruf des Cutters weiter fort. Sie bearbeiten, gestalten und schneiden den fertigen Film oder das fertige Videoband nach bestimmten künstlerischen oder technischen Kriterien.

"Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste" sollen Informationen und bestimmte Medien beschaffen, erschließen, aufbewahren und pflegen. Mit Hilfe von Datennetzen und Kommunikationssystemen beraten und betreuen sie Mediennutzer. Die Ausbildung kann in den Fachrichtungen "Archiv", "Bibliothek", "Information und Dokumentation" oder "Bildagentur" stattfinden.

Gabriele Müller ist freie Journalistin in Wuppertal.