"Tricky Bill"

11.08.1995

Waere Bill Gates im Show-Business Hollywoods taetig, waeren ihm fuer seinen letzten Auftritt als Schauspieler und Regisseur gleich ein paar Dutzend Oscar-Normierungen gewiss. Es ist einfach begeisternd, wie er gleich dem Rattenfaenger von Hameln der ganzen Branche die Floetentoene beibringt und selbst die staerksten Konkurrenten nach seiner Pfeife tanzen laesst - und das, obwohl Billy mal wieder nur das ewige Lied der Vaporware aus Redmond anstimmt. Denn die Open Directory Service Interfaces (ODSI), die kuenftig den Zugriff und die Administration verschiedener Verzeichnisdienste vereinfachen, sind wohl erst gegen Ende 1996 erhaeltlich.

Was hat der Herr ueber die Desktops im Bereich des Enterprise Networking sonst noch zu bieten? Nichts! Bis Microsoft endlich einmal einen ausgefeilten Directory-Dienst besitzt, wird es, so die einhellige Expertenmeinung, sicherlich 1996 oder 1997 werden. Da kann der Schachzug mit ODSI nur als Lehrstueck par excellence in Sachen Marketing und Wettbewerb gelten. Netter Trick! Waehrend die ganze Branche kritisiert, dass Microsoft keinen vernueftigen Verzeichnisdienst besitzt, lassen sich Novell und Banyan, die hier tatsaechlich einen riesigen Wettbewerbsvorteil haben, von der Mannschaft aus Redmond einfach ueber den Tisch ziehen.

Oder glauben die Herren Frankenberg und Mahoney wirklich im Traum daran, dass Microsoft alle Spezifikationen der neuen Schnittstellen fuer den freien Wettbewerb und zum Wohle der Konkurrenz offenlegt? Das Gerangel um die "offenen" Schnittstellen von Windows in der Vergangenheit sollte sie eigentlich eines Besseren belehren.

Mag ja sein, dass dies alles nur zum Nutzen der Anwender geschieht, damit diese endlich mit einem einzigen Login Zugriff auf die NT-, Netware-, Streettalk- und Notes-Netzdienste haben. Im Interesse der User ist aber auch, dass nicht alle Standards aus Redmond kommen und somit keine Alternativen auf dem Markt erhaeltlich sind.

Zumindest Microsoft scheint seine Hausaufgaben zu machen: Mit der neuen Technologie gehoert naemlich das Domain-Konzept, hier lag Novells grosser Wettbewerbsvorteil mit den NDS, kuenftig der Vergangenheit an. Hoechste Zeit also fuer Novell, endlich aufzuwachen, wie es amerikanische Analysten fordern.

Aber in Provo scheint man diesen erneuten Versuch Microsofts, im Networking-Business endlich in die Rolle eines gewichtigen Players zu schluepfen, nicht sonderlich ernst zu nehmen. Und das, obwohl die Company erst im Herbst letzten Jahres in Atlanta zum sprichwoertlichen Gang nach Canossa angetreten war, um in Sachen Desktop-Betriebssystem die weisse Flagge zu hissen. Dass man als Belohnung hierfuer mit der Microsoft-Ankuendigung, NT nun ueber den Novell-Reseller-Kanal in den Markt zu druecken, oeffentlich abgewatscht wurde, ist wohl bereits vergessen.