Gastkommentar

Trends im Entwicklermarkt: 1996 wird ein bewegtes Jahr

12.01.1996

Herausragende Ereignisse des vergangenen Jahres waren der Abschied von 16-Bit-Windows als wichtigstem Zugpferd im Entwicklermarkt und die Verfuegbarkeit von visuellen objektorientierten Entwicklungswerkzeugen auf breiter Front. Alle wichtigen Programmier-Tools werden auf 32-Bit-Versionen umgestellt, seit Windows 95 auf dem Markt ist und man dafuer und fuer Windows NT in einem Aufwasch entwickeln kann oder muss -Microsoft hat in seine Kriterien zur Vergabe des Logos fuer Win-95-Kompatibilitaet auch die Lauffaehigkeit unter Windows NT 3.51 aufgenommen.

Die Folge: Wer fuer Windows 95 schreibt, kann auch gleich fuer die Hardwareplattformen von Windows NT arbeiten; der Mehraufwand pro Plattform ist gering.

Dennoch ist das 32-Bit-Geschaeft vorerst nur eine Ergaenzung zum 16-Bit-Markt: Die Unternehmen warten die Testphase ab und untersuchen, wie sie die rund 4000 Mark Umstellungskosten pro Arbeitsplatz (nach einer BMW-Studie) bewaeltigen koennten.

1995 war auch das Jahr von Borlands "Delphi". Das Entwicklungs-Tool hat sich seit seinem Start im Fruehjahr einen Anteil von 30 Prozent im Visual-Basic-Markt erobert. Pascal-Entwickler koennen damit nicht nur Visual-Basic-Control-(VBX-)Komponenten in ihre Applikationen integrieren, sondern auch die Anwendung zu einer kompakten und schnell ausfuehrbaren Datei kompilieren - ein entscheidender Vorteil gegenueber Microsofts Visual Basic 3.0 und 4.0. Dass dessen fuenfte Version ebenfalls in Richtung Exe-Compiler gehen duerfte, ist ein sicherer Tip.

Delphi 32 wird zur Zeit fuer Windows 95 und Windows NT entwickelt, es duerfte spaetestens zur kommenden CeBIT im Handel sein. Und es wird auch wie alle gaengigen C++-Compiler fuer Win 32 OLE Custom Control (OCX) unterstuetzen. Damit koennen Entwickler und unabhaengige Softwarehaeuser Komponenten auf OLE-Basis schreiben und diese OCX als Komponenten in jede 32-Bit-Applikation einbauen.

Auf den Komponentenzug springen aber nicht nur traditionelle Compiler-Hersteller auf. Oracle bietet mit "Power Objects" eine Entwicklungsumgebung an, die es nicht nur Oracle-Entwicklern erlaubt, Komponenten zu erstellen und in eigene Applikationen einzufuegen.

Objekte en gros und en detail offeriert Oracle auf seinem "Object Marketplace" im Internet. In die gleiche Kerbe schlaegt Gupta: Die Company entwickelt mit "Centura" Versionen von SQL Base und SQL Windows, die auf Microsofts 32-Bit-Plattformen laufen und mit denen sich Applikationen fuer diese Betriebssysteme entwickeln lassen.

Die Komponenten heissen "Business Quick Objects", Progress bezeichnet sie als "Smart Objects". Informix duerfte mit Version 3 von "New Era" diesem Trend folgen.

Die Schlacht um die Macht im Internet ist in vollem Gange. Die grossen Anbieter im Software-Business haben alle bereits die Programmiersprache "Java" von Sun Microsystems in Lizenz genommen. Anders als mit OCX 2.0 ist es mit Java moeglich, Applikationen plattformunabhaengig zu aktivieren. Dazu bedarf es lediglich einer plattformspezifischen Interpreterschicht.

Das Internet als alternative Betriebsumgebung anstelle von Windows - warum nicht? Ein weiteres Argument spricht dafuer: Java-Anwendungen beanspruchen weit weniger Systemressourcen vor Ort, das heisst auf dem Client, als die 32-Bit-Windows-Spielarten. An visuellen Entwicklungswerkzeugen wird bereits gearbeitet.

Am 7. Dezember 1995 gab Microsoft seine Internet-Strategie bekannt, die darauf hinauslaeuft, sich im wesentlichen an diesem Netz zu orientieren und den eigenen Online-Dienst Microsoft Network (MSN) nur noch als Zugangsservice auszubauen. Immerhin soll MSN laut Microsoft bereits eine halbe Million Abonnenten haben - die stoesst man nicht einfach ab.

Vielmehr sollen sie mit verschiedenen Internet-Servern in die Lage versetzt werden, das Netz der Netze auch kommerziell zu nutzen. Entsprechendes Entwicklungswerkzeug fuer Web-Applikationen will Microsoft schon im laufenden Januar anbieten.

Fuer Lotus ist "Java Script" in naher Zukunft, das heisst spaetestens Mitte 1996, ein Zusatz-Tool zur eigenen Programmiersprache "Lotus Script". Wie Vice-President und CEO Mike Zisman im vergangenen Dezember in einer Satellitenkonferenz mitteilte, wird Lotus Script die Plattform sein, auf der elektronische Anwendungen, sogenannte "E-Apps", auch fuer das Web geschrieben werden koennen. Als Zugangsplattform sei natuerlich Notes vorgesehen.

Eines steht mittlerweile fest: Im Gegensatz zum Sommerquartal 1995, als alle Entwicklungsabteilungen auf Windows 95 warteten, wie das Kaninchen auf die Schlange starrt, wird 1996 viel Bewegung herrschen.