Trends bei den Halbleiter-Speichern

19.09.1975

Von Egon Schmidt, Exklusiv für CW

Billige und schnelle Halbleiterspeicher werden das wesentliche Kennzeichen wenn nicht neuer Computer-Generationen so zumindest neuer Computer-Modelle sein, die etwa 1979/ 80 erwartet werden. Bereits für 1978 rechnet die US-Firma Creative Strategies lnc. (San Jose, Californien) weltweit - und das ohne die Produktion des Branchenriesen IBM - mit einem Jahresbedarf an Speicherkapazität von 300 Milliarden Bits. Das entspräche einer Verdreifachung gegenüber 1975. Dabei wird gleichzeitig der Kernspeicher-Umsatz um 75 Prozent auf 20 Milliarden Bits zurückgehen. Gewinner werden die Halbleiterspeicher sein, wobei hier die "konventionellen" MOS-Elemente etwa 60 Prozent wertmäßiger und (wegen ihres niedrigen Preises) ein noch höherer mengenmäßiger Marktanteil erwartet wird.

Das ganze Halbleiter-Speichergeschäft gewann seinen Drive erst 1971, als IBM die 370er Serie startete. Seither ist die Entwicklung sogenannter Large Scale Integrated Microcircuits (LSI) so energisch vorangetrieben worden, daß manche Halbleiterspeicher heute rund zehnmal schneller als die Magnetkern-Konkurrenz sind, weniger Platz und Energie brauchen und sowohl zuverlässiger als auch in der Wartung anspruchsloser sind. Und wo Schnelligkeit wichtiger als günstiger Preis ist, steht schon heute der bipolare Halbleiterspeicher bereit, der zwar noch zehnmal soviel kostet wie normale Semiconductor-Memories, aber auch hundertmal schneller ist.

Diese bipolaren Halbleiter empfehlen sich daher in erster Linie für das sogenannte Scratchpad Memory, das direkt mit der arithmetischen Einheit kommuniziert und daher die Schnelligkeit des Rechners entscheidend bestimmt. Solche Scratchpad-Memories haben heute Zugriffszeiten von etwa 20 Nanosekunden und kosten pro Bit ein bis fünf Cents.

Nummer Zwei in der Speicher-Hierarchie ist der Slave Store, für den 100 bis 150 Nanosekunden Zugriffszeit genügen und der deshalb auch mit gewöhnlichen MOS-Bauelementen (MOS = Metal-Oxide-Semiconductor = Metalloxide-Halbleiter) bestückt werden kann. Sie kosten pro Bit weniger als einen Cent.

Sterben die Platten?

Platz drei in der Hierarchie nimmt der Hauptspeicher ein, beslang meist ein Ringkernspeicher, der bei steigenden Lohnkosten selbst in Billiglohnländern wie Singapur und Honkong mit seiner lohnintensiven Fertigung zunehmend unter Kostendruck gerät und daher gleichfalls bald von bestimmten (dynamischen) MOS-Speichern für 0,1 bis 0,5 Cents pro Bit verdrängt werden durfte. Damit aber noch nicht genug: auch die Plattenspeicher der nächsten Stufe werden sich bald Konkurrenz durch Halbleiter der Bauart CCD (Charge-coupled Device = ladungsgekoppeltes Element) gefallen lassen müssen. Hierbei soll es sich um Shift-Register handeln, das heißt, der Zugriff erfolgt bis zum Auffinden des gesuchten Bit sequentiell. CCD- wie auch die gleichfalls als Shift-Register ausgelegten Magnetic-Bubble-Speicher (Blasen-Speicher) sollen etwa den gleichen Preis wie Plattenspeicher haben, also pro Bit etwa 0,01 bis 0,05 Cents kosten, aber fixed-head-Plattenspeicher im Tempo zu mindest um den Faktor zehn übertreffen.

Löwenanteil bei MOS

Das britische Wissenschaftlerblatt New Scientist veröffentlichte kürzlich eine Analyse der wichtigsten Halbleiter-Entwicklungsrichtungen und ihrer potentiellen Marktbedeutung. Danach dürften die Speicherelemente vom MOS-Typ künftig den Löwenanteil des Wachstums ergattern und die schnelleren bipolaren Elemente auf die Plätze verweisen.

Die Entwicklung der MOS-Elemente ging inzwischen vom p-Kanal-Typ zum preislich konkurrenzfähig gewordenen, dreimal schnelleren n-Kanal-Typ und weiter zu einer "Komplementär"-Version (C-MOS), die beide Bauarten in sich vereinigt, besonders wenig Energie braucht und sehr schnell und gegen Rauschen weitgehend unempfindlich ist.

Silicium-auf-Saphir-Technik (SOS) nennt sich ein weiterer Versuch, die Packungsdichte in Speichern heraufzusetzen. Sollte man hier ein kostengünstiges Produktionsverfahren finden, so hätte man in SOS- und C-MOS-Elementen immerhin zwei Metalloxid-Halbleiterbauteile, die den bipolaren Schalterkreisen mit 20 bis 200 Nanosekunden Schaltzeit im Tempo Konkurrenz machen können.

Im kommen: ECL und I2L

Bei den gängigen bipolaren Speicherelementen ist das heute schnellste unter den Kürzel ECL (emitter coupled logic) bekannt, eine auf der Basis der Shottky-Diode entwickelte, statt vom Kollektor vom Emitter her gesteuerte Bauform. Es arbeitet noch nach der gängigen Transistor-Transistor-Logik. Völlig neu konzipiert dagegen ist eine bei IBM und Philips vorangetriebene Entwicklung, nämlich bipolare Elemente nach der neuen "integrated injection logic" (I2L). Sie benötigt zur gegenseitigen Isolation der einzelnen Bauteile sehr wenig Silicium und erreicht in der Packungsdichte somit die MOS-Speicher. Ein knapp vier mal vier Millimeter messender Chip soll in dieser Bauart 16 Kilobit bei 50 Nanosekunden Zugriffszeit speichern können, weniger Energie als TTL-Speicher brauchen und dennoch voraussichtlich ähnlich billig wie MOS-Elemente zu bauen sein.

1976: 16-KB-Chips

Die Speicherkapazität der einzelnen Chips ist in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigert worden. Man rechnet jetzt damit, daß das 1974 als Standard gehandelte 4 Kilobit-MOS-Chips schon nächstes Jahr durch 16 Kilobit-Chips abgelöst werden dürfte, während gleichzeitig noch heuer 4 Kilobit-Bipolarchips auf dem Markt erwartet werden. Sie empfehlen sich da, wo Geschwindigkeit gefragt ist und Energieaufnahme wie Preis keine Rolle spielen.

Anders die CCD-Speicherchips mit hoher Speicherdichte bei günstigem Preis: sie dürften sich für "Backing Stores" eignen, nachdem Fairchild bereits ein 8 Kilobit-Chips für etwa 0,14 Cents pro Bit angekündigt hat, Intel ein Chip mit 16 Kilobit für 0,35 Cents pro Bit anbietet und Chips mit 32 Kilobits bereits erprobt werden.

Als neuer Konkurrent der Festkopf-Plattenspeicher tritt bereits eine weitere Neuentwicklung auf den Plan: der elektronenstrahl-adressierte MOS-Speicher, der wie eine Mini-Fernsehbildröhre aussieht, die statt des Leuchtschirms ein äußerst exakt ansteuerbares MOS-Speicherelement besitzt. Am General-Electric-Forschungs- und Entwicklungszentrum hat man bereits einen Prototyp mit 32 Megabit Kapazität realisiert, der pro Sekunde bis zu 10 Millionen Bits aufnehmen oder ausgeben kann. In Serie gefertigt soll bei dieser neuen Konstruktion ein Bit statt heute 0,1 nur noch 0,01 Cents kosten und die Kapazität gleichzeitig auf eine Milliarde Bits pro Einheit hochgeschraubt werden.

Egon Schmidt ist freier Wissenschafts-Journalist