Hürden für die Anbieter von Standard-Anwendungsprogrammen:

Trend zur Eigenprogrammierung hält an

03.02.1978

MÜNCHEN (uk) - Obwohl neuere Statistiken ein Ansteigen der Benutzerakzeptanz bei Standard-Anwendungssoftware signalisieren, stehen viele Anwender auch heute noch Programmpaketen von Softwarehäusern meist kritisch gegenüber. Dieses zum Teil berechtigte Mißtrauen hat seine Ursache in der offensichtlich hauptsächlich nach kommerziellen Gesichtspunkten betriebenen Vermarktung der Programmprodukte. Dennoch sollte jeder EDV-Anwender angesichts der Software-Kostenexplosion geeignete Fremdsoftware als kostengüstige Alternative zu Eigenprogrammierung in Erwägung ziehen. - Die Marktforschungsgesellschaft IDC hat sich der aktuellen Frage "Software-Auswahl" angenommen und gibt in seinem Report 19/20 (Band 3) vom 31. Oktober 1977 dem Anwender Hinweise, welche Punkte bei der Software-Auswahl zu berücksichtigen sind:

Bevor sich ein Unternehmen dazu entschließt, fremd erstellte Software einzusetzen, sollte die Kostenseite dieses Unterfangens geprüft werden:

- Was kostet das Programm?

- Welche Programmverzweigungen müssen berücksichtigt werden?

- Welche Anpassungsarbeiten sind erforderlich?

- Welche Durchlaufzeiten benötigt das Programm?

- Ist eine Schulung, Umschulung oder eine Neueinstellung von Mitarbeitern notwendig?

Zusätzlich muß die Wartungsfrage sowie der Entschluß zum Kauf oder zur Miete des Programmes geklärt sein.

Sollte sich der Anwender zum Kauf oder zur Miete von fremder Software entschlossen haben, dann ist folgende Vorgehensweise empfehlenswert:

- Eine qualifizierte Person oder eine Fachabteilung sollte die Angebote der Hersteller oder Softwarehäuser an Hand eines Anforderungskatalogs durchforsten, und zwar im Hinblick auf

- Wartung,

- Preis,

- Unterstützung beim Einsatz,

- Referenzen (Einsatzhäufigkeit),

- Lieferzeit,

- Dokumentation,

- Kernspeicherbedarf,

- Handling.

Insbesondere die Softwarehäuser konnten in den vergangenen Jahren ihre

Marktposition festigen und sich immer mehr in den Vordergrund schieben. Gegenüber den EDV-Herstellern haben sie den Vorteil, daß sie "nur" Softwarepakete vermarkten müssen. Unterstützend wirkt sich hierbei die Existenz des Isis-Katalogs aus, in dem alle namhaften Softwareunternehmen mit ihren Produkten aufgeführt sind. Es ist einleuchtend, daß in diesem Katalog keine ausführlichen Programmbeschreibungen enthalten sein können - damit würde der Umfang eines Nachschlagewerks gesprengt. Sollte für ein spezielles Programm Interesse bestehen, so setzt man sich zweckmäßigerweise direkt mit dem entsprechenden Unternehmen in Verbindung.

Berechtigtes Mißtrauen

Grundsätzlich stehen die Anwender auch heute noch neuentwickelten Programmpaketen von Softwarehäusern meist kritisch gegenüber. Dieses Mißtrauen ist zum Teil berechtigt, da bei der Vermarktung vor allem kommerzielle Gesichtspunkte im Vordergrund stehen. Das Programmpaket muß verkauft werden, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Hierbei gilt als Faustregel: Erst nach einem fünfmaligen Einsatz hat sich ein Paket amortisiert. Vielleicht sollten die Softwarehäuser zusätzliche Anstrengungen auf dem Gebiet der Public Relations unternehmen?

Trotzdem: Die Zahl der Anwender, die standardisierte Programme von Softwarehäusern einsetzt, vergrößert sich ständig. Dies zeigt eine Auswertung des neuen Isis-Katalogs 1/78, deren Ergebnisse in CW Nr. 3 vom 13.1.1978 veröffentlicht wurden. Demnach sind 25,1 Prozent der registrierten 827 kommerziellen Programme öfter als 10mal installiert - zwölf Monate zuvor waren es 16,4 Prozent von 646 Programmen. Gemessen an der Zahl der Installationen, liegen "fertige" System- und Dienstprogramme naturgemäß an der Spitze: 116 Programme (28,4 Prozent von 407 Programmen) sind mehr als 50mal im Einsatz.

Wie hoch die Qualität der Programme von Softwarehäusern einzuschätzen ist, zeigt die Tatsache, daß sogar EDV-Hersteller diese Programme kaufen und unter eigenem Namen am Markt anbieten.

Geteiltes Leid ist halbes Leid

Neben ihrer eigentlichen Funktion gehen immer mehr Unternehmensberater dazu über, gemeinschaftlich mit Kunden Anwendungssoftware zu erstellen. Es handelt sich hierbei meist um Programme, die sehr branchenbezogen sind und somit auch an Konkurrenzfirmen verkauft werden. Vom Erlös profitieren sowohl das Unternehmen als auch der Unternehmensberater.

Unternehmen der gleichen Branche bilden Arbeitskreise mit dem Ziel, spezielle Softwarepakete in gemeinsamer Arbeit zu entwickeln. Neben beträchtlichen wirtschaftlichen Einsparungen hat die Zusammenarbeit den Vorteil, daß zwischen den Know-how-Trägern ein Gedankenaustausch stattfindet, dessen Ergebnis sich in der Qualität des Programmes niederschlägt. Ein Konkurrenzkampf findet durch regionale Marktabgrenzung nicht statt.

In den sechziger Jahren spielte bei der Akquisition der Hersteller die Hardware die entscheidende Rolle als Umsatzträger. Bedingt durch den technologischen Fortschritt unterliegen aber die heutigen Systeme in zunehmendem Maße einem deutlich sichtbaren Preisverfall, der durch den Verkauf von Anwendersoftware aufgefangen werden soll. Umsatzmäßig dominiert zwar auch heute noch die Hardware, die Computer-Hersteller greifen aber verstärkt auf das Akquisitionsmittel Anwendungssoftware zurück. Dies gilt vor allem für den kommerziellen Sektor, technisch-wissenschaftliche Programme sind selten modifizierbar. Computer-Hersteller zielen darauf ab, Programme zu erstellen, die auf Branchenebene als "Standard"-Programme eingesetzt werden können.

Im Gegensatz zu den Universalrechner-Herstellern haben die MDT-Produzenten das Ziel, ihren Kunden ein allumfassendes Softwarepaket zur Verfügung zu stellen. Es werden neben Standardprogrammen (Lohn- und Gehaltsabrechnung, Finanzbuchhaltung etc.) Lösungsvorschläge zur Produktionssteuerung, Lagerhaltung und für andere innerbetriebliche Aufgaben angeboten. Aber nicht alle MDT-Hersteller verfügen über das entsprechende Know-how, Anwendungssoftware-Programme zu erstellen. Hier eröffnet sich ein neues Aufgabengebiet für Softwarehäuser.

Zu jedem Programm gehört eine ausführliche Dokumentation, die als Bindeglied zwischen Ersteller und Anwender anzusehen ist. Dies gilt insbesondere für fremderstellte Softwarepakete, die meist den Gegebenheiten des einzelnen Anwenders angepaßt werden müssen. Ebenso muß eine Liste vorhanden sein, die Aussagen über Unterprogramme, Funktionen, Makros sowie die zu verwendenden Betriebssysteme usw. enthält. Zusätzlich sollte auf folgende Angaben geachtet werden:

- Kernspeicherbedarf,

- Ablaufdiagramm,

- Laufzeiten auf einer bestimmten Hardware-Konfiguration,

- Beschreibung der Datensätze und Dateien sowie der Listenbilder,

- Protokoll eines tatsächlichen Ist-Laufes,

- Beschreibung der Parameterkarten,

- Anweisungen für den Operator,

- Anweisungen bei Fehlermeldungen.