Warnung vor zu früher Produktbindung

Trend zu Standardsoftware behindert CIM-Realisierung

02.11.1990

MÜNCHEN (gfh) - Wie vermeidet man CIM-Ruinen? Eine Antwort auf diese Frage erhofften sich am Rande der Münchner Systec-Messe Anwender von dem häufig als CIM-Papst apostrophierten Professor August-Wilhelm Scheer. Seiner Erfahrung nach scheitern viele Integrationsprojekte an einer zu frühen Produktorientierung.

Doch die Anwender, die trotz der abgeklungenen CIM-Euphorie auf diese Integrationstechniken setzen, stellten ein anderes Thema in den Mittelpunkt der Diskussion. Sie sorgen sich um die Rolle von Standardsoftware in derartigen Konzepten. Der Grund dafür liegt in den Folgerungen aus Scheers Analyse. Danach lassen sich CIM-Ruinen nur dann vermeiden, wenn die -Planung vom Fach- über das DV-Konzept zur Implementierung solange wie möglich produktneutral erfolgt. Nur so könne die optimale Lösung für den jeweiligen Betrieb gefunden werden.

Die Erfahrung der Anwender zeigt jedoch, daß die dann folgende Anpassung der vorhandenen Umgebung an diese Lösung gerade bei Standardsoftware immer wieder zu Problemen führt. "Sie behindert die CIM-Realisierung manifest", bringt Werner Reusser, Leiter des PPS-Projekts bei der Sulzer-Escher Wyss-AG, Zürich, die Sachlage auf den Punkt.

Obwohl Scheers Unternehmen IDS eng mit der SAP, dem deutschen Marktführer für Standardsoftware, kooperiert, kommt der CIM-Spezialist angesichts dieser Argumente nicht um eine maßvolle Kritik an Standardprodukten herum. Seiner Ansicht nach sind die Produkte mit Funktionen überfrachtet und ihre Struktur zu undurchsichtig. So sei selbst den SAP-Fachleuten die Funktionsweise ihrer CIM-Produkte nicht vollständig bekannt gewesen. Deshalb komme man derzeit noch kaum ohne Individualsoftware aus.

Jochen Wiehenbrauk, stellvertretender Geschäftsführer Finanzen und Verwaltung der Dachauer MD Papier GmbH will es jedoch genau wissen: "Läßt sich unter diesen Umständen der Einsatz von Standardprodukten Oberhaupt mit einem eng auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen CIM-Umgebung vereinbaren?"

Als Antwort klagt Scheer einen Bewußtseinswandel bei den Anbietern von Standardsoftware ein. Sie müßten begreifen, daß eher Werkzeuge als geschlossene Lösung gefragt seien. Dazu gehörten offene Standardschnittstellen und die Möglichkeit der individuellen Konfiguration.

In eine ähnliche Richtung zielt die Forderung eines Anwenders nach branchenspezifischer Standardsoftware. Sie würde immerhin den Grundcharakter eines Unternehmens berücksichtigen und damit die Anpassung an ein CIM-Konzept erleichtern. Hier, so weiß Scheer zu berichten, habe der Druck von Kundenseite die Software-Anbieter bereits gezwungen, ihr Angebot an Branchenpaketen zu erweitern.