Transaktionsverarbeitung ist jetzt auch unter Unix machbar

02.10.1992

Wenn es um Transaktionsverarbeitung geht, ist Unix nicht allzu hoch angesehen. Gleichwohl läßt sich das Verfahren unter Unix realisieren, vorausgesetzt, der Anwender stellt keine übertriebenen Ansprüche an die Geschwindigkeit. Diesem Manko stehen als Stärken die offene Architektur, dezentrale Einsatzmöglichkeiten und eine grafische Benutzeroberfläche gegenüber.

Ursprünglich kam das Betriebssystem Unix für transaktionsorientierte Anwendungen nicht in Betracht. Das lag in der Betriebsart des Time-sharing begründet, das allen Benutzern den gleichen Zugang zum System ermöglicht, das heißt, Prioritäten in der Reihenfolge der Verarbeitung können nicht aufgestellt werden.

Traditionelle Mainframe-Betriebssysteme bieten Transaktionsmonitore (TMs) in der Regel als Subsystem parallel zum Time-sharing-Betrieb an. Dadurch wird ein hocheffizienter Transaktionsbetrieb ermöglicht. Unix gestattet eine solche Aufgabenteilung aufgrund seiner Architektur nicht. Dennoch gibt es seit einigen Jahren Implementierungen von TMs für Unix, die zwar unter dem Time-sharing-Modus laufen, aber dennoch Transaktionsanwendungen wirkungsvoll unterstützen.

Zwar darf man an die Leistung solcher Monitore nicht die gleichen Erwartungen richten wie bei traditionellen Mainframe-Betriebssystemen. Sie sind erheblich langsamer. Dafür genießt man andererseits die Vorzüge offener Systeme. Auf Grund ihres Designs werden dezentrale Systeme durch Unix-Transaktionsmonitore sehr gut unterstützt (vgl. die Abbildung 1). Hinzu kommt ein weiterer

Vorteil: Auf den dezentral arbeitenden Unix-Systemen kann eine grafische Benutzeroberfläche implementiert werden. Das ist zum Beispiel bei CICS, dem klassischen TM für IBM-Mainframes, nicht möglich.

Die Vorteile der Unix-TMs

Von der Funktionalität her liegen die Unix-TMs zwischen den traditionellen Mainframe-Produkten und den Datenbanksystemen. Die Transaktionsfunktionen werden nämlich zum Teil auch von Datenbankmanagement-Systemen (DBMS) angeboten. Dort ist das Funktionsangebot allerdings begrenzt und entspricht zudem auch nicht der Zielsetzung.

Der grundlegende Vorteil der Unix-TMs ist, daß sie über standardisierte Schnittstellen verfügen, die die X/Open-Organisation als offen definiert hat, und zwar sowohl zum Anwendungsprogramm als auch zur Datenbank (Ressource Manager). An Schnittstellen zu den Kommunikationsfunktionen wird gearbeitet.

Infolge der Standard-Schnittstellen zum Anwendungsprogramm können Anwendungen portabel geschrieben werden. Die Unix-Transaktionsmonitore werden dadurch zum Bestandteil eines offenen Systems. Durch die Schnittstelle zur Datenbank sind sie auch in heterogenen Umgebungen einsetzbar, das heißt, Transaktionen können Datenbanken unterschiedlicher Hersteller einbeziehen und dennoch gesichert ablaufen.

Aufgrund der Kommunikations-Schnittstelle besitzen die Anwender zudem die Freiheit, verschiedene Kommunikationsverfahren zu nutzen, das heißt, sie können sowohl Remote Procedure Calls (Abrufe von Unterprogrammen aus anderen Rechnern) als auch LU 6.2- oder OSI-Protokolle nutzen.

Für die Online-Transaktionsverarbeitung (OLTP) auf Unix-Basis werden, inzwischen mehrere Architekturen angeboten (vergleiche Abbildung 2). Die größte installierte Basis besitzt gegenwärtig Tuxedo vom AT&T-Tochterunternehmen Unix Systems, Laboratories (USL). Diese Lösung existiert bereits seit zehn Jahren und wird von mehreren Mainframe. Herstellern unterstützt. Zu ihnen gehören Amdahl, Bull, ICL und Unisys. Unisys war Bisher mit diesem Produkt am erfolgreichsten. Tuxedo gilt technisch als ausgereift, soll aber komplexere Transaktionsumgebungen nicht unterstützen.

Branchenkenner erwarten, daß Tuxedo sehr bald Konkurrenz durch Encina erhält, für die sich IBM, HP und Stratus engagiert haben. Digital Equipment, so heißt es, prüft den Einsatz von Encina noch. Die Architektur stammt aus der Carnegie Mellon University, die mit dem Mach-Betriebssystem sowie Andrew File Systems der Unix. Welt weitere wichtige Impulse gegeben hat.

Das OLTP-Produkt selbst wird als besonders robust in verteilten Umgebungen eingeschätzt und ist in das Distributed Computing Environment (DCE) der OSF (Open Software Foundation) eingebunden. Encina bietet wichtige Leistungsmerkmale wie Remote Procedure Calls, Structured Filesystems (transaktionsorientierter Daten-Manager) sowie Punkt-zu-Punkt-Kommunikation.

Nicht zu hohe Ansprüche an die Geschwindigkeit

Die CICS-Ergänzungssysteme geben dem Anwender die Möglichkeit, den vorhandenen IBM-Transaktionsmonitor als Grundlage zu benutzen. Eine Migration zu Unix-Rechnern gestaltet sich dadurch wesentlich kostengünstiger. Bekannt geworden sind neben dem Erweiterungspaket von IBM bisher Produkte von der Bull-HN-Division Integris, von Unicorn, Infosoft und von VI-Systems.

Direkt von Mainframe-Anbietern stammen die Produkte UTM/Sinix von Siemens-Nixdorf und Top End von NCR. UTM/Sinix war die erste Implementierung eines Unix-Transaktionsmonitors auf dem Markt. Das Produkt entstand durch Cross-Compilierung und Portierung von UTM auf Sinix. Bislang ist UTM/Sinix noch sehr stark der proprietären UTM-Welt verhaftet. Wenn es gelingt, das Produkt vollständig an die relevanten Standards anzupassen - und SNI arbeitet mit Hochdruck daran - , steht damit ein weiterer ernstzunehmender Kandidat für beliebige Unix-Umgebungen zur Verfügung.

Top End von NCR ist hinsichtlich seiner Orientierung an Standards das fortschrittlichste Produkt. Durch Nutzung der Sicherheitsfunktionen des Authentifikationssystems Kerberos wird ein hohes Maß an Netzsicherheit gewährleistet. Das Produkt wird von mehreren Datenbanksystem-Anbietern unterstützt.

Fragt man nun, für wen Transaktionsverarbeitung auf Unix-Basis in Betracht kommt, so muß deutlich geantwortet werden, daß transaktionsintensive Anwendungen wie etwa Flugbuchungssysteme oder die Kontenführung bei Banken auf die schnelleren proprietären Systeme nicht verzichten können. Hier sind die Unix-TMs gegenwärtig ganz einfach überfordert. Interessant werden sie jedoch, wenn die Transaktionsintensität geringer ist. Das ist meistens der Fall, wenn die Zahl der angeschlossenen Benutzer 500 nicht überschreitet oder die Transaktionslast auf mehrere Rechner verteilt ist - nicht zu vergessen die grafische Benutzeroberfläche, die zum Beispiel über OSF/Motif verfügbar ist.

Das Fazit: Transaktionsverarbeitung ist für Unix keine Hürde mehr. Nur darf man an die Geschwindigkeit der Verarbeitung noch nicht zu hohe Ansprüche stellten. Dafür sind aber die Kosten pro Transaktion auch niedriger.

*Matthias Leclerc ist Mitarbeiter des Marktforschungunternehmens Diebold. Sein Beitrag wurde in leicht gekürzter Fassung dem Diebold Management Report vom Mai 1992 entnommen.