Novell will Zertifizierung ankurbeln

Trainingspartner müssen in die Hände spucken

27.09.1996

Wie schön, wenn man Mr. Bean heißt. Bei seiner Präsentation der Schulungsneuigkeiten zog der Vice-President of Sales and Market Development Novell Education, Martin Bean, alle Register seines Verkaufstalents. Zuerst zeigte er vor etwa 400 Teilnehmern Ausschnitte aus der berühmten englischen Satireserie "Mr. Bean", dann folgten - multimedial aufbereitet - die wichtigsten Ankündigungen, zwischendurch warf er Kopien von 1-Dollar-Scheinen unter die Zuhörer. Dem "Novell-Mitarbeiter des Jahres 1995", wie aus Beans Lebenslauf zu entnehmen ist, war es zweifellos gelungen, so konnte man von Zuschauern dieses Spektakels nachher erfahren, das doch oft als langweilig geltende Thema Schulung abwechslungsreich zu vermitteln.

Bean kündigte unter anderem an, Novell werde künftig auch Internet-Experten zertifizieren. Die Entwicklung eines neuen Programms war auch dringend notwendig, denn die Teilnehmerzahlen in den Certified-Novell-Engineer-(CNE-) Kursen stagnieren. Der Manager versuchte die NAEC-Chefs zum Mitmachen zu bewegen, und erinnerte dabei an den Beginn der CNE-Zertifizierung im Jahre 1989. Damals wollten nur zwölf Partner beim Trainingsprogramm mitwirken - mittlerweile arbeiten weltweit über 100 000 CNEs, davon 5000 in Deutschland. Novell hat hier 65 Häuser autorisiert, entsprechende Kurse zu unterrichten.

Um das Zertifizierungsgeschäft anzukurbeln, hat Bean den NAECs ein ganzes Bündel an Vertriebs- und Marketing-Ideen unterbreitet. Als "weltweit erstes Programm" für IT-Trainingsverkäufer präsentierte er sein "Money Maker", das den NAECs helfen soll, mehr Kurse zu verkaufen. Eine Empfehlung lautet dabei beispielsweise, den Telefonverkauf zu intensivieren, das Vertriebspersonal in Präsentationstechnik zu schulen ("Wer die beste Präsentation abgibt, hat den Auftrag in der Tasche") oder das Empfangsumfeld freundlich zu gestalten ("Neulich mußte ich bei einem NAEC 20 Minuten warten, bis sich jemand um mich gekümmert hat").

Diese und weitere Tips sind auf einer CD-ROM erhältlich und sollen ständig durch neue Ideen der Schulungsinstitute erweitert werden. Ein deutscher Teilnehmer meinte dazu nur: "Für uns sind das schon längst Selbstverständlichkeiten." Er glaubt, daß dieses Programm eher für die amerikanischen Kollegen gedacht sei, bei denen es sehr viele Quereinsteiger gebe.

Lutz Ziob, zuständig für das Zertifizierungsgeschäft in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA), ist sich nicht so sicher, ob alle ihre Hausaufgaben auch gründlich erledigen.

In diesem Jahr wurde ein niederländisches Unternehmen als bestes NAEC ausgezeichnet. Für ihn ein Zeichen dafür, daß es nicht auf einen großen Markt ankommt, wie es Großbritannien oder Deutschland sind, sondern auf die professionelle Abwicklung des Geschäfts, sprich auf Kundenorientierung.

Mr. Bean will seine NAECs nicht nur mit "Money Maker" zu mehr Leistung anspornen, sondern auch über die Zahl der verkauften Schulungsunterlagen.

Wer beispielsweise in Deutschland 60 Unterlagen pro Monat verkauft, erhält den Status eines C-Trainingshauses, bei 40 ist man in der B-Kategorie, und mit 20 verkauften Unterlagen landet man in Gruppe A. Dementsprechend sieht auch die Behandlung aus: Wer "oben" ist, darf mit mehr Novell-Unterstützung rechnen und bekommt zum Beispiel die Schulungssoftware kostenlos in der A-Liga dagegen muß dafür gezahlt werden.

Einige deutsche NAECs befürchten nun, daß sich Mitbewerber verstärkt auf den Verkauf von Unterlagen spezialisieren, um in der höchsten Kategorie mitzumischen. Bisher haben die meisten NAECs Unterlagen nur an CNE-Kursteilnehmer verkauft. Jetzt werde vielleicht ein Grau- und Schwarzmarkt mit Novell-Schulungsunterlagen entstehen, der sich nicht mehr kontrollieren lasse. Tatsache ist, daß nichtautorisierte Novell-Schulungsunternehmen zum CNE ausbilden, an die nun solche sogenannte Student-Kits verkaufen werden könnten. Die Ausbildungsunterlagen sollen nämlich nicht schlecht sein.

Die Frage, warum Novell nicht die Anzahl der Kursteilnehmer honoriert, ist ganz einfach zu beantworten: Daran verdient das Netzwerkunternehmen selbst nichts.

Etwas unglücklich sind die deutschen NEACs auch darüber, daß sie künftig bei den Prüfungsgebühren leer ausgehen. Bislang mußten die CNE-Teilnehmer zum Schluß einer jeden Ausbildung einen Test absolvieren, der von einem neutralen amerikanischen Prüfungsinstitut, von Drake Prometric, (jetzt von Sylvan aufgekauft), abgenommen wurde. Der Test kostete jeweils rund 200 Mark, von denen 25 Mark an das Schulungsinstitut flossen.

Schon bisher akzeptierten die Trainingshäuser diese Regelung nur zähneknirschend. Denn zum einen mußten sie eine aufwendige technische Infrastruktur bereithalten, zum anderen kam es nicht selten zu technischen Problemen bei der elektronischen Übertragung der Fragen aus den USA nach Deutschland. Die Schulungsfirmen wissen aber auch, daß die Teilnehmer nicht gern bei ihnen bleiben wollen, wenn sie erfahren, daß sie nicht auch die Prüfungen im gleichen Haus absolvieren können.

Nun will Sylvan für nächstes Jahr neue Richtlinien herausgeben, wie der europäische Verkaufschef Jan de Bruijn versichert. Genaueres sollen die NAECs in den nächsten Wochen erfahren. Als Möglichkeit wurde angedeutet, daß es den Seminarhäusern künftig freistehen soll, wieviel Geld sie dem Teilnehmer für das Examen abnehmen. Mit anderen Worten: Die Prüfungskosten werden künftig auf den Endkunden abgewälzt.