Hypes in der IT/IT im Bildungsbereich: Auf Euphorie folgte Ernüchterung

Trainings sind effektiver als E-Learning

08.10.2004
Elektronische Lernangebote wie Computer- (CBT) oder Web-basierendes Training (WBT) können herkömmliche Bildungsangebote mit menschlichen Trainern und Lehrern ergänzen, nicht jedoch ersetzen. Von Johannes Kelch*

Warum hat sich E-Learning nicht in dem Maße durchgesetzt, wie sich die Produzenten von Lernsoftware dies vor Jahr und Tag erträumt hatten? Elektronische Bildungsangebote in Gestalt curricular aufgebauter Computer Based Trainings (CBTs) und Web Based Trainings (WBTs) stehen in Konkurrenz zu anderen herkömmlichen und elektronischen Medien, die ebenfalls lehrreich sind. Dazu Martin Wessner, E-Learning-Spezialist am Fraunhofer-Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme (iPSi) in Darmstadt, wörtlich: "Fakten über Produkte können Mitarbeiter auch über Produkt-Kataloge und CDs kennen lernen." Und: "Ehrlicherweise muss man sagen, dass eine Suchmaschine das optimale Instrument für das E-Learning ist, weil es selbstständigen Lernenden ermöglicht, gesuchtes Wissen aufzufinden", betont Wessner. "Ein Lernprogramm mit einem starren Curriculum", so der Fachmann fürs Lernen am Computer, "geht oft am Bedarf der Menschen vorbei."

Und so lassen sich denn auch zahlreiche Unternehmen vom E-Learning-Hype nicht blenden. Eine Untersuchung der privaten Fachhochschule Göttingen zum elektronischen Lernen in den deutschen Top-350-Unternehmen kam zu dem Ergebnis, dass deren Investitionen in E-Learning bisher nur "mit angezogener Handbremse" stattfinden konnten. Lernprogramme würden bei der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen für Software-Schulungen genutzt. Lediglich die Hälfte der befragten Unternehmen nutze elektronische Lernangebote bereits in der "Kommunikation von Vertriebs- und Produkt-Know-how". Nur 18 Prozent der Top-350 setzen laut Untersuchung elektronische Mittel ein, um Kenntnisse zu unternehmensspezifischen Themen zu vermitteln.

Kein Allheilmittel für jedermann

Die Akzeptanz elektronischer Angebote liegt keineswegs immer und überall bei 100 Prozent. So hat der Virologe Andreas Sziegoleit, Professor an der Universität Gießen, die Erfahrung gemacht, dass von den eingeschriebenen Medizin-Studenten trotz seiner "Anpreisungen in den Vorlesungen" nur 50 Prozent das Angebot nutzen, sich die Grundlagen der Medizin über die höchst aufwändig produzierte "Knowledge-Based Multimedia Medical Education" (K-med) anzueignen. Nur dann, wenn der K-med-Kurs als Teil der Ausbildung so zwingend vorgeschrieben ist wie bei einem Lehrangebot der Universität Marburg in Nuklearmedizin, erreichen Hochschullehrer die Studenten zu 100 Prozent mit elektronischen Kursangeboten.

Die mit Millionen-Aufwand produzierten K-med-Kurse werden die Präsenzveranstaltungen an der Universität nicht verdrängen und nicht einen Euro an Personalkosten einsparen, jedoch die Lehre stark verändern. Sziegoleit, Leiter des mit knapp fünf Millionen Euro vom Bund und dem Land Hessen alimentierten K-med-Projekts, verriet seine Prognose für die Zukunft des Medizinstudiums: "Künftig werden die Studenten sich erst mal mit E-Learning-Kursen gute Grundlagen verschaffen. Diese Kurse können den Frontalunterricht, das heißt, die Vorlesungen, ersetzen. Wir werden aber künftig in kleinen Gruppen am Tisch sitzen, das Gelernte wiederholen, patienten- und fallorientiert arbeiten und auf diese Weise den Studenten den größeren Überblick verschaffen."

Harry Hermanns, Soziologie-Professor an der Fachhochschule Potsdam, ist sich sicher, dass E-Learning auch und gerade von Pädagogen eher abgelehnt als gefeiert wird. Einer seiner Vorträge trägt den Titel "Vom E-Learning zur normalen Lehre". Ein Folie fasst das Denken der Pädagogen so zusammen: "Was Lehrende abschreckt: ,perfekte Lernsoftware', Autonomieverlust, 'digital divide' im Fachbereich". Hermanns wehrt sich auch gegen das "webbifying" des gesamten Lehrmaterials. Visualisierung sei nur dort von Nutzen, wo ein "Mehrwert" zu erzielen sei.

Dieter Kern, Managing Consultant im Bereich "People Practice" von Capgemini, bezweifelt, dass sich E-Learning für alle Zielgruppen gleichermaßen eignet. Er berichtet, erst kürzlich habe er ein Unternehmen beraten, das mit gut motivierten Vertriebsmitarbeitern in der Altersklasse von Mitte 40 bis Ende 50 arbeite. Diese Zielgruppe sei erst vor einem Jahr überhaupt mit dem PC in Berührung gekommen. "Eine Breitband-E-Learning-Lösung macht in diesem Fall überhaupt keinen Sinn", betont der Berater.

Es sei gefährlich, "heißgeliebte Trainings mit Hotel-Aufenthalt und Incentive-Charakter" abzuschaffen und durch E-Learning-Angebote zu ersetzen.

Nach Darstellung des Beraters macht es nur für relativ wenige größere Unternehmen Sinn, eigene E-Learning-Angebote programmieren zu lassen. Der "Vorteil der Skalierbarkeit" elektronischer Medien komme nur dann zum Tragen, wenn sich viele Menschen den gleichen Inhalt aneignen müssen.

"Blended Learning" - ein alter Hut

Doch welche elektronischen Lernangebote sollen Mittelständler oder kleine Firmen ihren Mitarbeitern offerieren und wer hilft bei der Auswahl aus dem unübersehbaren Angebot? Die Stiftung Warentest hat im Zeitraum 2003 bis Mitte 2004 Lernsoftware aus den Bereichen "Wirtschaftsenglisch", "Softskills" und "Microsoft Word, Excel, Powerpoint" unter die Lupe genommen. Keines der getesteten Produkte bekam eine bessere Beurteilung als "gut", viele Angebote "befriedigend" und "ausreichend".

Was ist die Alternative zum E-Learning? Welche Angebote eignen sich besser als CBTs und WBTs in Reinkultur? Der Nachfolge-Trend heißt "Blended Learning". Dieter Kern, durchaus ein Befürworter dieses Konzepts, erklärt dieses neue Schlagwort so: "Im Prinzip ist das ein alter Hut aus den 70er-Jahren. Damals hieß das Methoden-Mix."

Indessen kündigt sich schon die nächste Stufe des technikunterstützten Lernens an. Lern-Management-Systeme (LMS) sind im Kommen, neben kleineren Anbietern versuchen Software-Giganten wie SAP, diesen Markt zu erobern. Zusätzlich zu Content in aufbereiteter Form bieten LMS Nutzerverwaltung und Kommunikationsfunktionen (Foren, E-Mail, Chat). Schon beginnt die Euphorie angesichts dieser neuartigen technischen Lernunterstützung. Über die Phase der Ernüchterung wird möglicherweise schon in einigen Monaten zu berichten sein.(bi)

*Johannes Kelch ist Wissenschaftsjounalist in München.

Hier lesen Sie ...

- welche E-Learning-Methoden bereits in der Praxis erprobt wurden;

- wann E-Learning sinnvoll und erfolgreich ist;

- dass elektronisches Lernen den menschlichen Lehrer nicht ersetzen kann;

- warum Suchmaschinen gute Instrumente für E-Learning sind;

- weshalb sich die Unternehmen nicht vom E-Learning-Hype blenden lassen.

Interview

CW: Was halten Sie von E-Learning?

RENNINGER: Der Hype ist definitiv vorbei. Die Idee, dass billige Software teure Lehrer ersetzt, hat sich nicht durchgesetzt. Das E-Learning entwickelt sich mehr und mehr zum IT-gestützten Lernprozess.

CW: Was verstehen Sie darunter?

RENNINGER: Als Lehrer stelle ich mir am Anfang Lernprozesse vor und überlege, welche didaktischen Elemente ich nutze, um optimale Lerneffekte zu erzielen. Präsenzveranstaltungen sind weiter die Regel, sogar bei virtuellen Seminaren brauche ich am Anfang und Ende einen Präsenztermin. Elektronische Mittel wie Infocontainer mit Vorlesungsmaterialien, Foren, Chats oder elektronische Lernkontrollen wie Multiple-Choice-Sequenzen setze ich nur ein, wenn dies pädagogisch sinnvoll ist.

CW:Multiple Choice klingt nach abfragbarem Wissen und Paukschule ...

RENNINGER: Wenn Studenten über Multiple-Choice-Fragen im Internet ihr Wissen selbst kontrollieren können, ist das positiv.

CW:Eignet sich die Elektronik überhaupt, um Leistung zu messen?

RENNINGER: Ich sehe noch keine Alternative zu Klausuren in abgeschlossenen Räumen. Selbst wenn wir Studenten am heimischen PC biometrisch identifizieren können, ist nicht auszuschließen, dass ein Experte daneben sitzt und die Fragen beantwortet. Hier bietet die Elektronik noch kein tragfähiges Konzept.

CW:Für welche Unternehmen kommen IT-gestützte Lernangebote in Frage?

RENNINGER: Für Großunternehmen, aber auch für Mittelständler mit internationaler Struktur ist es interessant, den Informations- und Wissensaustausch zwischen den Mitarbeitern an verschiedenen Standorten über Foren, Chats und Videokonferenzen zu fördern.

CW:Was halten Sie von Lern-Management-Systemen (LMS)?

RENNINGER:Das ist ein dynamischer Markt. Möglicherweise kann man in Zukunft mit solchen Systemen aus einer Fülle kleiner Module ein passendes Bildungsprogramm zusammenstellen. Wenn künftig die Anmeldung zu einer Vorlesung über so eine Plattform läuft, kann ich bereits im Vorfeld erkennen, mit welcher Studentengruppe ich es zu tun habe, und auf deren Bedürfnisse eingehen.

CW: Macht es Sinn, eine Vorlesung oder ein Seminar als Video zu konservieren?

RENNINGER: Eine Aufzeichnung ist kein Ersatz, sondern dient hauptsächlich zur Nachbereitung und Wissensvertiefung. Solange es Fördermittel gab, wurde dieses Instrument wenig hinterfragt. Ich sehe aber die Wirtschaftlichkeit in vielen Fällen als noch sehr kritisch an.

Das Gespräch führte Johannes Kelch.*

Wolfgang Renninger

ist Professor für Organisation und Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Amberg-Weiden, außerdem Sprecher der Arbeitsgruppe "Virtuelle Lehre".