IT im Tourismus/Die neue Rolle des Intermediärs

Tourismusbranche für Innovationen prädestiniert

02.03.2001
Wenn einer eine Reise tut, dann hat er es mit der Auswahl des richtigen Angebots nicht leicht: Hier ein Reisebüro, dort eine Vielzahl exotischer und reizender Destinationen - im Hintergrund eine Maschinerie, die Urlaubsgenuss pur suggeriert. Doch noch kann keine Institution den Urlaubsprozess im Sinne eines virtuellen Produkts gänzlich abdecken. Der Intermediär ist gefragt. Von Andy Schweiger*

Gerade Deutschland stellt mit einem sehr großen Reiseaufkommen die größte reisefreudige Community im so genannten Outgoing-Tourismus. Aber auch der Incoming-Tourismus ist für Deutschland ein wichtiger Wirtschafts- und Imagefaktor. Global gesehen sind sowohl Outgoing- als auch Incoming-Tourismus ein nahezu optimaler Markt zur Förderung neuer Technologien, die es möglich machen, Reiseangebote bestmöglich aus kundenorientierter Sicht zu gestalten. In einer globalen Branche, wie es wohl neben dem Tourismus keine zweite gibt, ist daher auch das Zusammenspiel verschiedenster Institutionen von besonderer Bedeutung. Das Netz der Netze und die mittlerweile fortgeschrittenen Technologien machen es möglich, weit über die Unternehmensgrenzen hinaus Informationen integrativ und authentisch zu verwenden. Informationen wiederum sind der entscheidende Produktionsfaktor für touristische Leistungen beziehungsweise die Grundlage für professionelles Marketing in dieser Branche, da die Produkte vor ihrer Konsumation nicht sichtbar oder vorzeigbar sind. Die Giganten der Branche, vor allem im Outgoing-Bereich, beherrschen dies auch recht gut, und so stellt es kein Problem dar, sich über Leistungen wie Flüge und Pauschalreisen via Web zu informieren und mit nur wenigen Mausklicks diese Leistungen jeweils getrennt voneinander oder als Pauschalreise zu konsumieren. Geht es jedoch um eine individuelle Abdeckung von Bedürfnissen und Spezialwünschen, so sind in der Regel auch bei jungen und innovativen Anbietern schnell Grenzen erreicht. Entweder stößt man auf nicht vorhandene Kontingente, nicht authentische Informationen oder findet nur Angebote, die gänzlich am Bedarf vorbeigehen. Eine Angebotslücke klafft hier vor allem in Spezialsegmenten mit Sonderwünschen oder auch terminlichen Extras. Diese Wünsche können meist nur mit zusätzlichem Aufwand wie Telefonaten oder einem Gang ins Reisebüro abgedeckt werden.

Auf der Suche nach den Ursachen für diese derzeit noch ungenügende Bedarfsdeckung seitens der Angebote stößt man zum Teil auf unausgegorene Geschäftsmodelle oder Technologien, die weit unter ihren Möglichkeiten eingesetzt werden. Ein weiterer Grund sind verkrustete Strukturen, die ein so viel gepriesenes Innovationspotenzial gerade in der Tourismusbranche schnell im Sande verlaufen lassen, wenn es um die Umsetzung neuer Technologien und einen dringend notwendigen Strukturwandel geht. Dabei sollte eigentlich klar sein, wie und wo auch in Zukunft in dieser Branche Geld zu verdienen ist: an der konsequenten Ausrichtung der Anbieter an einem Kundenprozess. Dieser Prozess umfasst allerdings weit mehr als die Buchung eines Fluges in Kombination mit einem Pauschalangebot von der Stange. Gefragt sind vor allem für die immer individuelleren Wünsche der Kunden authentische Vorabinformationen über das Zielgebiet, der Aufbau der Produkte in flexiblen Modulen und gegebenenfalls auch eine Nachbereitung sowie die Leistung aus einer kompetenten Hand bei Buchung, Durchführung und Nachbereitung einer Reise.

Es wird also jemanden geben müssen, der die Rolle eines Intermediärs übernimmt, es also geschickt versteht, mit mehreren Institutionen jeweils Informationen auszutauschen, diese zu bündeln und gleichzeitig als kompetenter Berater gegenüber dem Kunden aufzutreten. Die klassische Funktion des Reisebüros scheitert dabei heutzutage schon an dem schlichten Anspruch der Authentizität des Contents. Welcher Reisebüroagent ist schon in der Lage, über alle Zielgebiete profund zu informieren? Die Einbindung der Netzwerktechnologien in Kombination mit einer cleveren Plattformlösung und dem richtigen Geschäftsmodell wird dabei für die Zukunft entscheidend sein.

Das Kernproblem in der aktuellen touristischen Wertschöpfung liegt vor allem in den Strukturen. Diese gliedern sich im Incoming-Bereich von den Leistungsträgern als Produktivinstanz über lokale und regionale Interessensverbände bis hin zur nationalen Repräsentanz, die sich wiederum von unten nach oben durch Umlagen aus den tiefer liegenden Instanzen finanzieren. Einheitliche Plattformen oder technologische Informationsstrategien gibt es dort nicht. Ebensowenig Standards, die im internationalen Wettbewerb als Vergleich herangezogen werden könnten.

Die Branchenstruktur kritisch hinterfragenIm Outgoing-Bereich findet man Reisebüros, große Veranstalter oder Spezialveranstalter, die sich wiederum diverser Incoming-Agenturen in der jeweiligen Destination bedienen, um touristische Leistungen anbieten und die Reisen vor Ort auch durchführen zu können. Das Reisebüro dient hier als Mittlerinstanz, der Veranstalter ist für die Leistungserbringung zuständig und ist auch die Instanz, die im Regressfall haftet.

Es wird also notwendig sein, einmal mehr die Strukturen der Branche kritisch zu hinterfragen und nach geeigneten Modellen für deren Neuordnung zu suchen. Dabei reicht die bloße Integration von Technologie schlicht nicht aus, denn gefragt ist eine Struktur, die es der Technologie ermöglicht, bestmöglich verwendet zu werden. Die Technologie ist und bleibt dabei lediglich Enabler und ist somit weder Allheilmittel noch erfüllt sie einen Selbstzweck. Als ein mögliches Modell zur Abbildung einer Neuordnung kann der so genannte Business-Bus gelten, wie er am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen entwickelt wurde, um diverse Strukturplanungsmaßnahmen zu unterstützen.

Jeder verfolgt sein eigenes GeschäftsmodellDas Modell zeigt aus einer integrativen Sicht das Zusammenspiel von Strategie, Prozessen, Systemen und Basistechnologien auf und bezieht sich auf eine ganzheitliche Sicht von Management, operativen Prozessen und Technologie beziehungsweise Systemen.

Als neue Rolle innerhalb des Business- Bus-Modells steht dabei der Intermediär, der auf mannigfaltige Weise verschiedenste Services integriert und als Service-Center mit dem Endkunden in direkter Verbindung steht.

Die Geschäftsebene für den Intermediär sieht jeweils Umsätze basierend auf erfolgreichen Transaktionen vor, die durch den Service-Provider zustande kommen. Dieses Modell der Provisionierung ist in der Touristik eigentlich längst vorhanden und hat sich dort auch bewährt. Weitere Teilnehmer an diesem durch den Business-Bus auf unterschiedlichen Ebenen zustande kommenden Netzwerkverbundes sind auch die Leistungsersteller. Bezogen auf die Touristik wären dies beispielsweise Hoteliers, Reiseleiter, Fluglinien, Spezialveranstalter sowie lokal oder regional tätige Serviceanbieter, die ebenso touristische Leistungen vermitteln. Jeder der Partizipierenden verfolgt sein eigenes Geschäftsmodell und wird entsprechend seiner Leistungen vom Kunden dem Touristen, direkt oder indirekt durch Provisionierung entlohnt.

Auf der Prozessebene stehen jene Prozesse im Vordergrund, die durch den Intermediär mit voller Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Kunden durch die Implementierung auf der Plattform unterstützt werden. Der Intermediär ist dabei jener Unternehmer, der seine Kunden kennt, deren Vorlieben und Absichten identifiziert und durch die geschickte Verbindung der ihm zur Verfügung stehenden Services zu Produkten bündelt.

Hin zum global agierenden IntermediärDie Applikationsebene spiegelt den Aufbau der zu diesem Netzwerkverbund notwendigen Hilfsmittel in Form von plattformunabhängigen Software-Tools wider. Da sich dieses Netzwerk weltweit erstreckt, spielen hier vor allem Applikationen, die auf Internet-Standards basieren, eine große Rolle.

Auf der Softwaremodulebene werden alle den oberen Schichten zugrunde liegenden Beziehungen und Rollen in konsistenten und individuellen Datenmodellen abgebildet. Diese Datenmodelle wiederum bilden eine wichtige Grundlage für die Generierung von rollenorientierten Leistungen, Transaktionen und Supportfunktionen für die einzelnen Teilnehmer am Netzwerkverbund.

Das World Wide Web und die zugrunde liegenden Technologien sind durchaus in der Lage, das Erscheinungsbild der Touristikbranche zu verändern. Dies sollte vor allem zum unmittelbaren Nutzen der Kunden auch geschehen. Damit wäre die Basis für das Überleben einer modifizierten Form des bisher als lokalesTouristik-Informationszentrum, Reisebüro oder Reiseveranstalter tätigen Institution hin zum global agierenden Intermediär hergestellt. Diesem Wandel allerdings stehen derzeit einige Hindernisse vor allem in Form von etablierten und wenig innovationsfreudigen Strukturen gegenüber. So zum Beispiel wäre es anstelle einer Konzentration von Kunden undLeistungsträgern auf übermächtige Veranstalter von Pauschalreisen durchaus angebracht, über eine weit reichende Integration von lokalen und regionalen Agenturen nachzudenken. Dies hätte auch den Nebeneffekt der Verlagerung der Wertschöpfung unmittelbar in die "Produktionsumgebung" touristischer Leistungen. Somit könnte zumindest in Teilen auch ein Ausgleich für die dort entstehenden Lasten stattfinden. Die Pfründe, die dabei für den Intermediär übrig bleiben, sind durchaus nicht weniger wert. Dem Kunden, sprich Reisewilligen, wäre durch eine weitaus qualitativere Wertschöpfung gedient, undvermutlich würde sich dies auch positiv auf die Kundenbindung auswirken. In den einzelnen Tourismusregionen müsste man sich ernsthaft dem globalen Wettbewerb stellen und könnte auf diesem Weg auch dort zu professionelleren Methoden übergehen, was sich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auf dasArbeitsplatzangebot in solchen Regionen auswirkt.

Fazit: Die verfügbaren Technologien bieten als Enabler ein breites Spektrum an Lösungen, die bei richtiger Anwendung dem Wettbewerb kaum mehr Grenzen setzen und so indirekt zugunsten der Konsumenten qualitativ bessere Angebote hervorbringen würden. Voraussetzung hierfür sind allerdings die Bereitschaft zum Wandel in der Vermittlungs- und Informationsstruktur sowie eine absolute Ausrichtung an den Kundenbedürfnissen.

Gewinnen werden entweder diejenigen, die als Erste in der Lage sind, die Möglichkeiten der neuen Technologien aus einer bestehenden Marktposition heraus bestmöglich umzusetzen, oder mögliche Newcomer mit entsprechend überzeugenden Dienstleistungsportfolios. In der Informatik tut es - schon aus Gründen der Zeit - mehr als not, den ernsthaften Willen zum konsequenten Wandel zu zeigen. Die Technologie ist längst verfügbar, allein an der Antizipation und der konsequenten Umsetzung der Möglichkeiten fehlt es immer noch.

*Andy Schweiger ist Dozent an der Berufsakademie Ravensburg und freier Consultant in München.

Abb.1: Touristische Wertschöpfungskette

Das Kernproblem: Einheitliche Plattformenund technologische Informationsstrategienfehlen. Quelle: Schweiger

Abb.2: Die neue Rolle des Intermediärs

Der Intermediär tauscht mit mehreren Institutionen Informationen aus, bündelt sie und tritt als Berater des Kunden auf. Quelle: Schweiger