IT in der Touristik/Ertragsdruck zwingt zur Kundenkenntnis

Tourismus: CRM bringt Gewinne zurück

05.03.2004
In Zeiten von Sars, Terror und Wirtschaftsflaute kämpfen die ehemals verwöhnten Player in der Tourismusbranche um ihre Gewinnspanne. Der Verdrängungswettbewerb sorgt für Innovationsdruck und verlangt integrierte, IT-gestützte Geschäftsprozesse.Von Dirk Hettler*

Vor einigen Jahren war die Welt der Reiseveranstalter noch in Ordnung. Die Reiselust der Bürger schien ungebrochen, die Mitarbeiter in den Reisebüros waren vollauf damit beschäftigt, Flüge und Hotelbuchungen in die Reservierungssysteme einzugeben. Gleichzeitig liefen Reiseportale zur Höchstform auf und versprachen den Betreibern satte Gewinne. Die weitere Entwicklung ist hinlänglich bekannt: Mit schmälerem Geldbeutel wurden die Kunden wählerischer, die betuchte Klientel verlangte eine immer bessere Betreuung. Um Kunden zufrieden zu stellen, müssen die Vertriebssysteme heute ungleich mehr leisten als noch vor wenigen Jahren. Und hinter den Kulissen sind immer bessere Systeme für Vertriebssteuerung und Marketing sowie Decision-Support und Prognose als Entscheidungsgrundlage für Einkauf und Produktplanung nötig. Sind die IT-Systeme entlang der Wertschöpfungskette vom Kunden bis zum Einkauf gut verzahnt, wachsen Umsatz und Einsparungen.

Als größter Hemmschuh auf dem Weg dahin erweisen sich die nicht miteinander verbundenen Informationen über die Kunden. Beispielsweise liegen auf zentralen Back-Office-Systemen und Reservierungssystemen wie Amadeus, Sabre/Merlin oder Galileo zum Buchungszeitpunkt jeweils umfassende Kundendaten. Heute gehen Teile davon jedoch nach der üblichen Löschfrist verloren. Auch die Datenbestände von Veranstaltern, Airlines oder Autoverleihern fristen oft ein Inseldasein. Daten, die nicht mit der Buchung verknüpft sind - ursprüngliche Angebote, ausgebuchte Anfragen, beiläufig geäußerte Hobbys, Zusatzleistungen vor Ort - werden heute meist gelöscht oder liegen nicht strukturiert für zukünftige Aktivitäten vor. Für eine wirksame Kundenbetreuung und das Marketing sollte der Vertrieb jedoch die wichtigen Erkenntnisse über den Kunden auch mittelfristig zur Verfügung haben. Eine echte Multichannel-Strategie, die Internet, Call-Center und Reisebüro integriert, fehlt der Branche derzeit ebenso. Als Königsweg aus diesem Dilemma sehen viele Marktteilnehmer nur den vollständig am Kunden ausgerichteten Vertriebsprozess, aus dem die Kundendaten in Richtung der zahlreichen Touristikleistungsträger und wieder zurück fließen.

Kundenzentrische Prozesse

Die massiv gestiegenen Anforderungen führen in den Touristikunternehmen zu erheblichen Kosten. Schon die Kundenberatung bindet viel Arbeitszeit. Spätestens, wenn ein Reisebüromitarbeiter für einen simplen Wochenendtrip zum zwölften Mal zwischen den unterschiedlichen Buchungsterminals und Reservierungssystemen wechselt, ist seine Marge möglicherweise bereits aufgebraucht. Die Kundenansprüche steigen jedoch weiter.

Angesichts stagnierender, aber heiß umkämpfter Märkte lässt sich der nötige Ertrag nur durch Kostensenkungen und verbesserten Vertrieb erzielen. Der Vertriebskanal und die Kundenansprache werden somit zum primären Ziel von IT-Maßnahmen: Hier lassen sich Prozesskosten reduzieren und die einzelnen Verkaufskanäle optimieren. Außerdem können dadurch Cross- und Up-Selling-Potenziale ausgeschöpft werden.

Das tägliche Problem des Reisebüromitarbeiters ist bekannt: zu viele Kataloge, unzählige Veranstalter und ein Meer von Zusatzleistungen überfordern Mitarbeiter und Kunden. Aus einer schier unüberschaubaren Anzahl von Produkten soll der Kunde das für ihn - und den Anbieter - optimale Angebot erhalten. Dabei ist die Aufgabe aus Sicht des Reiselustigen ganz einfach: Er möchte gerne zwei Wochen ausspannen, bitte mit Sonne, nicht zu heiß, Disco für die Jugendlichen, einen Golfplatz in der Nähe und ein Kulturereignis. Bei der Umsetzung dieser Wünsche in konkrete Angebote und Verkaufsabschlüsse sind heute jede Menge manuelles Informations-Management, Talent, Intuition, technisches Know-how und auch ein Quäntchen Glück nötig. Wie hieß doch gleich wieder das Kürzel für die Sonderaktion des Veranstalters X auf Teneriffa?

CRM als Informationsdrehscheibe

Wer Reisen verkaufen will, muss sich vom Produktanbieter zum Dienstleister wandeln. Wegen dieser konsequenten Ausrichtung am Kunden wird Customer-Relationship-Management (CRM) zur zentralen Drehscheibe des gesamten Touristikvertriebs. CRM kann man jedoch nicht einfach über eine bestehende Systemlandschaft stülpen. Vielmehr müssen sämtliche Einzelprozesse rund um die Abwicklung der Kundenwünsche zu einem End-to-End-Prozess zusammengefügt werden. Was gibt der Kunde preis? Wie können Reservierungs- und Back-Office-Systeme integriert werden? Was ist ein Kunde "wert"? Wie kann man Kunden bestmöglich durch One-to-one-Marketing ansprechen? Lassen sich die Kundenpräferenzen direkt in die Beratungs- und Buchungssysteme übernehmen? Der Fragenkatalog wächst nahezu täglich.

Ein einheitlich zu bedienendes, kundenzentriertes System muss die bestehenden leistungsfähigen Beratungs-, Reisevertriebs- und Back Office-Systeme ohne Medien- oder Systembrüche in die Vertriebsplattform integrieren - eine klassische EAI-Aufgabe. Auch die Anforderungen an die CRM-Plattform sind vielfältig: Neben den vertrieblichen Basisfunktionen und einer Workflow-Engine soll sie Systemintegration zur SAP- und Microsoft-Welt bieten, mandantenfähig sein und über ein fein abgestimmtes Sicherheitssystem mit Rollen und Berechtigungen verfügen. Damit die Performance auch in großen Organisationen rund um die Uhr sichergestellt ist, sind zudem eine exzellente Skalierbarkeit und Wartbarkeit nötig. Als Plattform für eine möglichst dynamische Umsetzung kommt daher nur Standardsoftware in Frage - proprietäre Eigenentwicklungen würden die Gefahr bergen, dem Markt stets hinterherzulaufen. Will eine derartige Touristik-CRM-Plattform einen breiten Erfolg haben, muss sie natürlich weitgehend an die individuellen Anforderungen anpassbar sein.

Integration tut Not

Derzeit konkurrieren mehrere Vertriebskanäle um die Gunst des Kunden: Internet, Call-Center, TV-Shopping und Reisebüro. Viele Betreiber von Internet-Portalen konstatieren trotz hoher Besucherzahlen enttäuschende Buchungsumsätze - ein Paradox? Sicher nicht, denn eine große Zahl der Internet-Nutzer holt sich die Informationen aus dem Netz, kauft aber doch über das Telefon oder beim Reisebüro. Derzeit gehen jedoch sämtliche Kundendaten verloren, wenn ein Interessent den Kanal wechselt. Stellt er beispielsweise mitten im Internet-Bestellprozess fest, dass er gerne zusätzlich zum Pauschalangebot auch noch einen Ausflug buchen will, dann verlässt er die Maske und ruft möglicherweise im Call-Center an. Dort werden die gleichen Daten dann aufs Neue erfasst, inklusive der Vorlieben des Kunden, die er bei früheren Buchungen schon oft durchgeben musste - eine immense Zeit- und Ressourcenverschwendung.

Bessere Regelungen von Provisionen

Wenn dagegen sämtliche Vertriebskanäle in einer gemeinsamen Multichannel-Strategie integriert sind, erhalten Veranstalter und Vertriebsorganisationen außerdem verbesserte Möglichkeiten, den sensiblen Bereich der Provisionen zu regeln. Welches Reisebüro berät schon gerne stundenlang, wenn die Kunden hinterher die gleiche Reise im Internet buchen?

Auf der Angebotsseite müssen die CRS (Computer-Reservierungs-Systeme), Kundeninformationen und Direktangebote von Hotels, Veranstaltern sowie Autovermietern integriert werden. Die Integration sollte jedoch nicht mit Angebot und Buchung aufhören, denn auch die Betreuung während und nach der Reise ist wichtig. Beispielsweise hilft es den Agenturen, wenn sie registrieren, was andere Anbieter am Zielort verkaufen. Brancheninsider berichten, dass für die Vor-Ort-Leistungen bis zu 50 Prozent des gesamten Reisebudgets an den Veranstaltern vorbei ausgegeben werden - hier winken also noch attraktive Vertriebschancen. Warum sollte der Gast die Tauchschule oder den Konzertbesuch nicht gleich bei seinem Veranstalter buchen, der diese Leistungen möglicherweise sogar preisgünstiger anbieten kann?

Mit mobilen Clients und Remote-Services lassen sich auch im Zielgebiets ansässige Agenturen kosteneffizient in den Vertrieb einbinden. Auf diese Weise erhält der Kunde eine Rundum-Betreuung und kann auch vor Ort beim Veranstalter seines Vertrauens spontan neue Leistungen buchen oder wichtige Feedbacks zu Verbesserungspotenzial oder Zufriedenheit geben. Die Datenintegration stellt sicher, dass diese Informationen dann in die statistische Auswertung einfließen, die wiederum für die Einkaufs- und Marketing-Planung wichtig ist.

Für die Reiseveranstalter bedeutet der verstärkte Kundenfokus eine einheitliche Sicht auf die Kundendaten und eine wesentlich bessere Datenqualität für Business-Intelligence-Prozesse. Auch die B-to-B-Beziehung zwischen Veranstaltern und Expedienten können die elektronisch gesteuerten Prozesse verbessern, etwa bei der Kommunikation verschiedener Agenten oder bei Sales-Push-Aktionen, die den Reisebüros attraktive Incentives bescheren.

Die Reisebüro-PCs sollten über eine einheitliche Bedieneroberfläche verfügen, die sämtliche Front-Office-Aktivitäten einschließt, inklusive Vertrieb, Service und Kundenbindung. Dazu gilt es, die Verwaltung und Steuerung von Reisevorgängen im Mid- und Back-Office-Bereich zu integrieren und nötigenfalls Altsysteme zu ersetzen. Zusätzlich sollte das System Zahlungs- und Buchungsinformationen verwalten, etwa die Übertragung an das Backoffice oder die Überwachung von Zahlungseingängen. Am wichtigsten ist jedoch die Bereitstellung der Vertriebsdaten in Echtzeit, damit die Verfügbarkeit von Angeboten, Änderungen oder Neuigkeiten zuverlässig in die Kundenberatung einfließen können.

Viele Vorteile für die Kunden

Und was hat der Kunde davon? Durch die schnellere und umfassendere Betreuung wird das stark emotional geprägte Erlebnis Urlaub durch einen guten Service auch subjektiv verbessert. Vielleicht kann der Kunde mit seiner Kundenkarte sogar anbieterübergreifende Rabattvorteile nutzen, oder er spart sich auch im Zielgebiet umständliche Erklärungen seiner Vorlieben und Handicaps. Die Integration verschiedener Kanäle wie Internet, Telefon und Reisebüro lässt neue Szenarien zu. Beispielsweise könnte Herr Müller eine bestellfertig gebuchte Reise auf einer nur für ihn zugänglichen persönlichen Web-Seite reserviert bekommen. Abends kann er diese seiner Partnerin zusammen mit den Bildern und 3D-Ansichten des Reiseziels am heimischen PC oder am mobilen Terminal vorschlagen und bei Gefallen auch bestellen - oder die letzten Änderungen noch mit dem Call-Center vereinbaren. Mittelfristig bietet die verbesserte Einkaufssteuerung möglicherweise auch ein echtes "Reisen on Demand", also weitestgehend kundenindividuelle Angebote, die sich aus Bausteinen zusammenstellen lassen. (rg)

*Dirk Hettler ist Account Manager Transportation & Logistics für große europäische Handels- und Touristikunternehmen bei Siemens Business Services.

Abb: Von der Marketing-Analyse zum Feedback

Die Koordination aller Kontakte mit dem Kunden erfordert eine umfassende Integration vom Backend über die Arbeitsumgebung im Reisebüro bis hin zu den Geschäftsprozessen im Zielgebiet. Quelle: SBS