Tom Tailor schneidert sich eine neue IT

01.07.2003
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Geringe IT-Kosten sind gut, eine IT, die das Geschäft zu bewältigen hilft, besser. Deshalb führt Burkhard Stuhlemmer, Chief Financial Officer (CFO) des Hamburger Textilunternehmens Tom Tailor AG , derzeit ein neues Warenwirtschaftssystem und eine softwaregestützte Bedarfsplanung ein.
Fotos: Tom Tailor
Fotos: Tom Tailor

In der deutschen Industrielandschaft ist Tom Tailor eine Ausnahme: Die nicht börsennotierte Aktiengesellschaft meldet ein jährliches Umsatzwachstum im zweistelligen Prozentbereich. So verströmt die im Norden Hamburgs angesiedelte Firmenzentrale Arbeitseifer und gute Laune, die sich zu einem Teil möglicherweise auch auf den 76-prozentigen Frauenanteil an der Belegschaft zurückführen lässt.

Nähmaschinen sucht man bei Tom Tailor vergebens. Wie so viele Textilunternehmen lässt auch der Inhaber diverser Fashion-Labels dort fertigen, wo die Stundenlöhne geringer sind als in Deutschland. In Hamburg werden nur die Kollektionen entworfen und die Schnitte geschaffen; zudem sorgt die Unternehmenszentrale für die Logistik, das Marketing und den Vertrieb sowie die Informationstechnik.

Vom Herren zum Dienstleister

Letztere soll in den nächsten zwei Jahren radikal umgebaut werden. Geplant sind unter anderem ein modernes Warenwirtschaftssystem und die elektronische Vernetzung mit den Vertriebskunden. Das ehrgeizige Projekt hat Stuhlemmer in die Hand genommen. Der Chief Financial Officer kam im Sommer vergangenen Jahres an Bord und verantwortet als Vorstandsmitglied neben dem Personalwesen und dem Controlling auch den IT-Bereich. „Der wurde in der Vergangenheit eher herrschaftlich geführt“, erläutert er, „aber jetzt ist die IT dabei, sich zu einem internen Dienstleister zu wandeln.“ Als Change-Agent soll ein neuer IT-Chef fungieren, der im Laufe dieses Jahres die Arbeit aufnehmen wird.

Bis dahin berichten die acht IT-Experten in der Tom-Tailor-Zentrale direkt an Stuhlemmer. In den Vorstand des Textilunternehmens wechselte der CFO aus der Hamburger Organisations- und IT-Beratung Contesto GmbH. Deren Motto lautet: „Wir haben uns darauf spezialisiert, komplexe Veränderungsprozesse in den Unternehmen beherrschbar zu machen und damit die Chancen der Erneuerung zu nutzen.“ Dass Tom Tailor einen Bedarf für derartige Dienste hatte, hing mit der wachsenden Diversifizierung des Angebots und vor allem mit dem 1999 erfolgten Einstieg in das Geschäft mit der Damenoberbekleidung zusammen.

Wettbewerbsvorteil durch Hochrechnung

Wohl nirgends ist die sprichwörtliche Schnelllebigkeit des Marktes evidenter als in der Damenmode: Zwölf Kollektionen im Jahr und außerplanmäßige „Flashes“ führen die herkömmlichen Begriffe von Bedarfs- und Absatzplanung ad absurdum. Jeden Monat aufs Neue präsentieren die Tom-Tailor-Repräsentanten den Abnehmern - Boutiquen und Kaufhäusern - die aktuellen Ideen der Kreativabteilungen, woraufhin jeweils rund 800 Bestellungen von insgesamt 1350 deutschen und 1300 ausländischen Kunden eingehen. Während die ersten Orders einlaufen, müssen die Einkäufer bereits die Lieferanten beauftragen, womit sie ein mehr oder weniger gut kalkulierbares Risiko eingehen: „Wir können den Monat nicht erst abwarten“, schildert Stuhlemmer die Brisanz der Lage.

Den voraussichtlichen Bedarf möglichst schnell hochrechnen zu können ist laut Stuhlemmer nicht nur im Hinblick auf die Time-to-Market, sondern auch wegen der Einkaufsvorteile ein entscheidender Wettbewerbsvorteil: „Wer zuerst ordert, bekommt die Ware zum besten Preis, in der benötigten Menge und der gewünschten Qualität.“ Nachbestellungen und Stornos seien im begrenzten Rahmen möglich, verbesserten aber nicht gerade das Vertrauensverhältnis zu den insgesamt 70, hauptsächlich in Asien ansässigen Lieferanten.

Bis vor wenigen Wochen erledigte das 1962 als Importeur für Herrenhemden gegründete Unternehmen seine Bedarfsplanung mehr oder weniger intuitiv. Doch allmählich überstieg die Komplexität dieses Vorgangs auch die Fähigkeiten der Spezialisten und ihres „Bauchgefühls“. Deshalb sah sich Tom Tailor nach einer Software um, mit der sich die Besonderheiten seines Geschäfts abbilden ließen.

Beispielsweise sollte der designierte Softwarepartner in der Lage sein, ein „Flächenkonzept“ zu unterstützen. Unter diesem Fachbegriff versteht die Textilbranche die selbständige Bewirtschaftung eines „Shop in Shop“, wie Tom Tailor ihn unter anderem in knapp 100 Häusern der Karstadt-Kette betreibt. Dazu gehört auch die Zusammenstellung einer jeweils eigenen Kollektion, die sich nach dem Standort des Kaufhauses und der Verkaufsfläche ausrichtet. Zudem sollten sich mit der Software auch Kollektionsbereinigungen während des Monats abbilden lassen. Last, but not least hätte das Produkt der Wahl die Nachfragespitzen zu berücksichtigen, die durch die Orders der größten Abnehmer entstehen.