Die Lösung liegt im universellen Verkabelungssystem

Token Ring kontra Ethernet: Zukunftsorientierung muß sein

16.02.1990

Dr. Jürgen Suppan, Aachen.

Neue Produktankündigungen und erklärte Produktstrategien von IBM (16 Mbit/s Token Ring, SAA, Office Vision, LAN Manager, OS/2) haben die Frage nach dem zukünftig dominierenden LAN (Local Area Network) erneut aufgeworfen. Geht der Anwender, der sich für Ethernet (als Gattungsbegriff für alle CSMA/CD-Netze) oder den Token Ring entscheidet, ein Investitionsrisiko ein?

Wird es zukünftig eine dominierende Netzwerktechnik geben oder werden die bisher genormten Netze (Token Ring, CSMA/CD, Token Bus) in geordneter Koexistenz bestehen bleiben? Betrachtet man die mit Vernetzungen verbundenen Investitionen, die nicht selten in Millionenhöhe gehen, dann ist die damit verbundene Frage nach der Sicherheit der Investitionen verständlich. Die Entwicklung der Vernetzungsstrategie eines Unternehmens und die Umsetzung in betriebssichere Netze ist in den meisten Unternehmen inzwischen ein Thema der oberen Führungsebene geworden. Hintergrund ist hier auch die zunehmende Abhängigkeit der Unternehmen von funktions- und leistungsfähigen Netzen.

Wie hoch die Risiken von Fehlentscheidungen liegen, zeigt eine erste Untersuchung der Firma Infonetics über den US-Markt: Bei den größten amerikanischen Unternehmen treten Netzwerk-Ausfallzeiten bis zu 6 Prozent jährlich mit damit verbundenen Kosten von 600 Millionen Dollar pro Unternehmen auf. Auch in der Bundesrepublik häufen sich die Fälle, in denen durch Fehlplanungen Netzausfälle über jeweils mehrere Stunden aufgetreten sind.

Situation: eine homogene und eine heterogene Welt

Zur Abgrenzung des Einsatzes von Ethernet und Token Ring ist eine Unterteilung des Kommunikationsbedarfs der verschiedenen Unternehmensbereiche sinnvoll. Dabei gehen wir im folgenden von der Grobstrukturierung in Kaufmännische DV (KDV), Technische DV (TDV) und Produktion aus. Die Ausgangslage in diesen Bereichen ist sehr unterschiedlich. In der KDV dominiert immer noch IBM. Historisch sind hier riesige Terminalsysteme mit eigener Verkabelung und Integration in den SNA-Verbund gewachsen. Das in diesem Installationen gebundene Kapital ist so groß, daß es bei keiner Planung außer acht gelassen werden kann. Stark zunehmende Bedeutung hat der PC-Einsatz mit dem Trend zum vernetzten Einsatz in Server Systemen (Novell, Banyan, Lan Manager, Lan Server). Mittelfristig werden Neuinvestitionen im PC Endgerätebereich die Bedeutung der Terminal-Systeme reduzieren. PC-Host-Anbindung ist hier ein zentrales Thema. In der TDV ist die DV-Welt stark heterogen. Digital, HP, Sun, Compaq, Apple und viele andere mehr bestimmen das Bild.

Der Trend heißt hier Power Workstation, dezentrale Datenbank (Oracle, Informix, lngres,...), Unix, optische Archivsysteme.

In der Produktion bestimmt Siemens die Entwicklung. Die zentralen Themen sind die Vernetzung und Integration von Steuerungen mit Leitrechnern, Diagnosesystemen und der TDV (CAX).

Pro Token Ring: D e r Standard von Big Blue

Der Token Ring ist das unumstrittene Vernetzungs-System für IBM-Endgeräte zur Anbindung an IBM-Host-Systeme.

Die IBM-Strategie, soweit sie erkennbar ist, geht eindeutig in die Richtung, alle Steuereinheiten und Endgeräte in den Token Ring als einheitliches Netzwerksystem zu integrieren. Unter Berücksichtigung der bisher in der IBM-Welt gegebenen Verkabelungsvielfalt (nach dem Motto: jedem Gerät sein Kabel) ist diese Entwicklung eindeutig zu begrüßen. Verstärkt wird die Bedeutung des Token Rings durch die IBM-Strategie im Bereich Bürokommunikation: Office Vision, SAA, LAN Server werden die Bedeutung des Token Rings verstärken. Zwar öffnet sich IBM zunehmend dem

Ethernet-Markt, eine IBM-Lösung für den Host Zugang für PC-DOS-Systeme auf der SNA-Schiene ist nicht in Sicht. Die Bedeutung des Token Rings ist in dieser Form aber beschränkt auf die kaufmännische DV. In anderen Bereichen wird er nur kleine Marktanteile erringen. Als Entwicklungshemmer wirkt zur Zeit die schlechte Verfügbarkeit von 16-Mbit-Komponenten.

Ethernet dominiert die heterogene Welt

Ethernet ist die Netzwerk-Technologie für die heterogene DV. In der Technischen DV und in der Produktion ist Kommunikation ohne Ethernet nicht mehr vorstellbar. Der Token Ring hat hier wenig Chancen diese Situation zu ändern. Allerdings erfordert Ethernet unter Berücksichtigung der Entwicklung von Hochleistungsarbeitsplätzen mit enormen Kommunikationsraten eine sorgfältige Planung. Das CSMA/CD-Verfahren ist ebenso realzeit- wie auch hochlastgeeignet, wenn die leistungsbestimmenden Faktoren in die Planung einfließen.

Zwei offene Substitutionsbereiche

Neben der klaren Abgrenzbarkeit von Token Ring und Ethernet in der Kaufmännischen DV und der Technischen DV existieren mindestens zwei offene Substitutionsbereiche, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf. PC-Netze lassen sich ebenso mit Token Ring wie mit Ethernet-Netzen realisieren.

Zum Teil sind daran auch grundsätzliche Produktentscheidungen gebunden (OS/2, LAN Manager). Für die Lösung von Interconnectivity Fragen (Zugang zum IBM-Host aus jedem Unternehmensbereich) bieten sich ebenfalls Produkte in beiden Welten an.

Koexistenz von Ethernet und Token Ring

Sowohl Ethernet- als auch Token-Ring-Netzwerke werden zukünftig das Bild bestimmen. Ihre Bedeutung in den einzelnen Unternehmensbereichen wird allerdings verschieden sein. Die Gefahr von Fehlentscheidungen und Fehlinvestitionen liegt damit nicht in der generellen Technologieentscheidung. Vielmehr beinhaltet die Umsetzung der einzelnen Entscheidungen ein Gefahrenpotential.

Unterschiedliche Strategien und Risiken

Man stelle sich vor: Bei Einrichtung eines neuen Arbeitsplatzes (egal, ob in der KDV oder der TDV) kann frei entschieden werden, ob dieser Arbeitsplatz im Ethernet oder im Token Ring arbeitet. Die bestehende Infrastruktur ist so geartet, daß sie die wahlfreie Einbindung in jede Normtechnologie erlaubt. In diesem Moment ist eine Grundsatzentscheidung pro oder kontra Ethernet/Token Ring nicht erforderlich.

Anwendungsorientiert wird die Entscheidung getroffen. Diese Sichtweise ist keine Utopie mehr.

Die Lösung liegt in der Realisierung universeller Kabelsysteme, die sowohl Ethernet als auch Token Ring unterstützen. Allerdings ist diese Lösung, so wie sie häufig praktiziert wird, neben vielen Vorteilen auch mit erheblichen Risiken verbunden. Allgemein beinhaltet diese Lösung den Einsatz von Glasfasertechnik zur Verbindung der Gelände- und Gebäudeverteiler sowie den Einsatz von Twisted Pair-Netzwerken auf den Etagen. Die beeindruckenden Hochglanzbroschüren diverser Hersteller dienen häufig mehr dem Verkauf herstellerspezifischer Produkte als der risikofreien und zukunftsorientierten Lösung der Kommunikationsaufgabe. Folgende Problemfelder bestehen:

- Je nach Technologieentwicklung müssen zukünftig hohe Übertragungsraten an den Arbeitsplatz gebracht werden. Die Glasfasertechnik in der heutigen Form ist hierfür auf der Etage nicht die geeignete Lösung, die Twisted Pair-Technik ist kapazitiv ungeeignet. Die Lösung wird voraussichtlich Kunstfasertechnik heißen. Diese ist aber noch in der Entwicklung. Eine Produkt- und Normverfügbarkeit zeitlich offen.

- Der zukünftige Standard für Gelände- und Steigbereichskabelung heißt FDDI. FDDI ist technisch weiterentwickelter als die meisten Anwender glauben. Betrachtet man die bestehenden Glasfaserinstallationen ist längst nicht jede Installation FDDI-fähig. Die zentrale Frage ist hier: Was tun Sie, wenn FDDI-Knoten 20 000 Mark kostet und im Kostenbereich einer normalen Ethernet- oder Token-Ring-Brücke liegt?

- Viele angeblich universelle Lösungen sind häufig zu sehr auf die bestehenden Kommunikationsaufgaben und Herstellerprodukte und zu wenig auf die Zukunft ausgelegt. Strukturierte, erweiterbare und hochleistungsfähige Glasfasernetze erfordern ein darauf abgestimmtes Design (Dämpfung der Faser, Querschnitt, Faserzahl, Rangiertechnik, Kopplungstechnik, Steckertechnik, Budgetierung). Dies ist kurzfristig gesehen kostenintensiver, langfristig aber kostengünstiger und betriebssicherer.

- Der Einsatz kosten- und platzsparender Twisted Pair-Kabel (als Ersatz für das IBM Typ-1-Kabel) setzt die Angabe von Planungstabellen für die Token Ring-lnstallation voraus. Dazu zählt neben Entfernungsangaben mit und ohne Verstärker/Umsetzer auch die Angabe der Jitterbeeinflussung, das heißt, die Nennung der maximalen Zahl anschließbarer Token-Ring-Stationen. Einige Anbieter orientieren sich bei der Suche nach Typ-1-Ersatz-Kabeln zu sehr am Ehternet, planungsbestimmend (Worst Case) ist der Token Ring (vor allem 16 Mbit/s, aber auch 4 Mbit/s). Entscheidungskriterium ist hier nicht die Betreibbarkeit weniger Stationen im Twisted Pair Ring, sonden der angestrebte Vollausbau .

- Der Einsatz ungeschirmter Kabel auf den Etagen wird speziell von einigen amerikanischen Unternehmen unterstützt. Die damit verbundenen Risiken sind häufig noch nicht einmal annähernd untersucht. Die Beeinflussung durch Übersprechen und Empfindlichkeit gegen elektrische Einstreuungen (jede Form von Analogtechnik) erfordern weitestgehende Untersuchungen. Das Kriterium kann hier nicht das Verhalten eines einzelnen Kabels sein, im schlimmsten Fall werden zukünftig bis zu hundert Kabel dicht gepackt betrieben werden.

- Der sichere Betrieb eines Netzes setzt die gute Überwachbarkeit und schnelle Lokalisierung von Fehlern voraus. Dem steht nicht nur die häufig fehlende Dokumentation und die in der Regel unzureichende Bauaufsicht und Abnahme gegenüber. Überwachbarkeit und Fehlerlokalisierbarkeit setzen geordnete und zentralkonfigurierbare Koppelstrukturen für Ethernet und Token Ring voraus.

Die zu empfehlende Vorgehensweise

Unter Berücksichtigung aller Einflußfaktoren wird folgende Vorgehensweise empfohlen:

- Stufenweiser Aufbau eines universellen Kabelsystems für alle IEEE-Netze und FDDI. Berücksichtigung der Migration zu neuen Techniken im Stufenplan.

- Gestaltung einer physikalischen lnterconnectivity, die die wahlfreie Kommunikation jeder Station mit jeder anderen ermöglicht, unabhängig davon, ob die Stationen im Ethernet, im Token Ring oder in beiden Netzen hängen.

- Realisierung funktionaler Interconnectivity nicht für Einzelbereiche, sondern für das gesamte Unternehmen, so daß der Zugang zu zentralen Host-Systemen von jeder Stelle aus möglich ist (Terminal Emulation, File Transfer, Programm-zu-Programm-Kommunikation).

- Planung der Nutzung und Einbindung neuer Technologien: von der Gerätetechnik bis zu den Kommunikationsdiensten (OSI).

- Entwicklung eines Betriebs- und Managementkonzepts, das den sicheren und bezahlbaren Betrieb ermöglicht.

Gesamt-Fazit: Erweiterter Planungshorizont

Die Frage Token Ring oder Ethernet ist in der Form kein Thema mehr. Allerdings erfordert die bestehende Technologiesituation in den einzelnen Unternehmensbereichen und die sich abzeichnende Technologieentwicklung eine sorgfältige und zukunftsorientierte Planung, will man erhebliche Fehlinvestitionen und Ausfallrisiken vermeiden. Die Lage des Planers ist mit den gewachsenen technischen Möglichkeiten nicht besser geworden. Die Dimension der entstehenden Netze und die Abhängigkeit der Unternehmen vom fehlerfreien Betrieb erfordern einen erheblich erweiterten Planungshorizont.

Literatur:

Dr. Jürgen Suppan: Stand der Technik und Trends bei Netzen, Workshop Industrielle Kommunikation. Nürnberg, November 1989, ComConsult Kommunikationstechnik Aachen;

Dr. Jürgen Suppan: FDDI-Bedarf und Anforderungen an zukunftsorientierte Planung, FDDI-Forum 1990, Bonn Februar 1990 ComConsult Kommunikationstechnik