Nach dem Worldcom-Skandal macht sich Ratlosigkeit breit

TK-Branche: Talfahrt ohne Ende

05.07.2002
MÜNCHEN (CW) - Bilanzmanipulationen bei Worldcom, weitere Massenentlassungen bei Alcatel, teilweise der Sturz ins Bodenlose an den Börsen. Für die weltweite TK-Branche waren die Geschehnisse der vergangenen Woche ein weiteres Menetekel.

Besser hätte, wie Experten ironisch kommentierten, das Timing nicht sein können: Nur zwölf Stunden, nachdem der US-Carrier Worldcom am Dienstag vergangener Woche unmittelbar nach Börsenschluss Falschbuchungen in Höhe von 3,8 Milliarden Dollar eingeräumt hatte, ging der französische Telco-Ausrüster Alcatel mit der Ankündigung an die Öffentlichkeit, weitere 10000 Mitarbeiter zu entlassen. Die Meldung an sich war jedoch keine Überraschung mehr, denn Branchenkenner hatten seit Wochen an der noch im April abgegebenen Prognose des Alcatel-Managements gezweifelt, wonach das Geschäftsjahr 2002 - dank einer bereits eingeleiteten Restrukturierung, der schon 30000 Stellen zum Opfer fielen - mit einem Gewinn abgeschlossen werde. Frühestens im ersten Quartal 2003 werde man wieder einen operativen Profit erzielen, hieß es jetzt - und mit dem nun beschlossenen Abbau der Belegschaft um insgesamt mehr als ein Drittel reihte sich der weltweit drittgrößte Telco-Ausrüster als Letzter in die Reihe seiner krisengeschüttelten Wettbewerber ein: Auch Lucent, Nortel, Ericsson und Siemens ICN hatten in den vergangenen Monaten mit Massenentlassungen Schlagzeilen gemacht.

Man werde die Ziele für das laufende Jahr der allgemeinen Marktlage anpassen, kommentierte Alcatels Finanzchef Jean-Pascal Beaufret die Misere seiner Company lakonisch, während die Finanzanalysten umgehend ihre Prognosen nach unten korrigierten. Merrill Lynch beispielsweise erwartet, dass Alcatel im Geschäftsjahr 2002 nur noch auf einen Umsatz von 17,4 Milliarden Euro kommt und dabei einen operativen Verlust von knapp 750 Millionen Euro verbuchen muss. Gegenüber 2001 würde dies einen Rückgang der Einnahmen um 31 Prozent bedeuten - auch damit würden die Franzosen voll im Trend liegen.

Weitere Entlassungen bei Lucent?

Angesichts solcher "Perspektiven" wurde schon kaum mehr zur Kenntnis genommen, dass bei Lucent Technologies und Siemens ebenfalls weitere Entlassungen bevorstehen. So wollen die Münchner zusätzliche 700 Stellen in ihren deutschen Produktionsstätten Greifswald und Bruchsal streichen; Lucent stimmte nach einem Bericht der "Financial Times Deutschland" speziell seine Mitarbeiter in Deutschland via E-Mail auf eine "weitere Restrukturierung" ein. Das Unternehmen rechne damit, dass die weltweit großen Betreiber von Sprach- und Datennetzen in diesem Jahr ihre Investitionen in Vermittlungstechnik gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent reduzieren.

Genau hier liegt seit Monaten schon das Problem - eine Art Teufelskreis, aus dem es für die gesamte Telco-Szene bis auf weiteres kein Entrinnen zu geben scheint. Der Grund: Angesichts rückläufiger Umsätze im Festnetz, ungenutzter Internet- beziehungsweise Breitband-Kapazitäten (Stichwort: Dark Fibre) sowie - in Europa - den Ausgaben für die teuren UMTS-Lizenzen dreht sich bei den Carriern so gut wie alles um den Schuldenabbau; mit Investitionen hält man sich vornehm zurück. Für die Ausrüster wiederum heißt das: Warten auf den Sankt Nimmerleinstag. Die großen Wachstumsschübe wie noch vor drei Jahren sind jedenfalls bis auf weiteres vorbei. Schon seit zwei Jahren sind, wie Theo Kitz, Analyst der Investmentbank Merck Fink & Co., feststellt, die Ausgaben der großen Telefonkonzerne für Netzequipment rückläufig. Das gesamte Augenmerk sei, so der TK-Experte, auf den "großen Modernisierungsschub" gerichtet.

Wann der jedoch kommt, ist mehr als fraglich. Denn neben der derzeitigen Kaufzurückhaltung der Netzbetreiber machen den Ausrüstern noch zwei andere Dinge zu schaffen. Einmal ist dies die längst begonnene Konsolidierung unter den Carriern, zumindest in den USA, wo nach den Insolvenzen von Global Crossing und Williams Communication mit Qwest und Worldcom zwei weitere Kandidaten für eine drohende Zahlungsunfähigkeit gehandelt werden. Das strukturell gravierendere Problem der weltweit eng vermaschten Carrier-Ausrüster-Szene dürfte jedoch ein anderes sein: die schon erwähnte hohe Verschuldung vieler Telefongesellschaften, die zum Teil auch noch mit umfangreichen Lieferantenkrediten bei ihren Ausrüstern in der Kreide stehen.

Angesichts der momentan wenig erfreulichen Marktaussichten wird man auf Seiten der Investoren allmählich nervös und zieht die Reißleine. Schon Anfang April stufte die Rating-Agentur Standard & Poors (S&P) ihre Bewertung für die langfristigen Schulden der Deutschen Telekom von "A-" auf "BBB+". Vergangene Woche traf es France Télécom, deren Langfrist- und Kurzfrist-Verbindlichkeiten von S&P und Moodys ebenfalls ein deutliches Downgrading hinnehmen mussten. Für die betroffenen Carrier sind die Folgen fatal: Die Banken geben sich bei der Vergabe neuer Kredite reservierter, und die Zinskosten für die Bedienung laufender Verbindlichkeiten nehmen dramatisch zu. Mit anderen Worten: Der Spielraum für Investitionen wird weiter eingeengt. Allein bei France Télécom, wo der Fiskus in Paris nun offenbar angesichts der Finanzkrise sogar über eine Wiederverstaatlichung des Unternehmens nachdenkt, dürfte nach Einschätzung von Moodys der Schuldenberg nach der zu erwartenden Übernahme des deutschen UMTS-Lizenznehmers Mobilcom auf rund 75 Milliarden Euro anwachsen.

Aufschwung wird auf Ende 2003 vertagt

Kein Wunder also, dass positive Einschätzungen der weiteren Entwicklung des TK-Betreiber- und TK-Ausrüstermarktes derzeit Mangelware sind. Der Bilanzskandal bei Worldcom tat dazu sein Übriges und schickte die Aktien der meisten Telefongesellschaften vergangene Woche vorübergehend auf ein neues Rekordtief. Vieles, wenn nicht alles spricht derzeit dafür, dass die gesamte Telco-Branche Jahre benötigen wird, um auf das Wachstums- und Ertragsniveau vom Ende der 90er Jahre zurückzukehren, heißt es in Kreisen von Fachleuten. Auch Siemens-Chef Heinrich von Pierer, der seiner Netz- und Telco-Ausrüstersparte einen strikten Sparkurs verordnet hat, vertagte den Aufschwung zumindest auf Ende kommenden Jahres. "Ich bin zuversichtlich, dass die großen Telefongesellschaften in absehbarer Zeit wieder nennenswert in Netzinfrastruktur investieren werden. Aber bis wir eine deutliche Marktbelebung erleben können, dürften noch 18 Monate oder mehr vergehen", erklärte der Siemens-Chef gegenüber dem "Wall Street Journal". (gh)

Abb: Absturz an der Börse

Bis auf wenige Ausnahmen wie beispielsweise British Telecom lässt sich die Krise im TK- und TK-Ausrüster-Markt auch am Kursverlauf der Aktien der wichtigsten Telefongesellschaften und Systemlieferanten ablesen. Quelle: Consors