Change-Management/Wie der österreichische Energieversorger sein Projekt-Management verbesserte

Tiwag: Abschied vom Monopol

23.01.2004
Die Liberalisierung des österreichischen Energiemarkts vor vier Jahren musste innerhalb kürzester Zeit umgesetzt werden. Die daraus resultierende Neuorganisation der Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag) verlangte der IT-Abteilung höchstes Engagement ab. Mit Change-Management konnte sie einen Effizienzsprung beim Projekt-Management erzielen, der über die eigentlichen IT-Vorhaben hinausging.Von Hiltrud Osterried*

Das Monopolistendasein der Tiroler Wasserkraft AG fand vor vier Jahren ein jähes Ende. Nicht nur, dass der Gesetzgeber massive Umstrukturierungen forderte wie die organisatorische Trennung in wettbewerbsrelevante und regulierte Firmenteile, das Energieunternehmen musste sich auch auf den heimischen und europäischen Wettbewerb einstellen. "Diese rasche Umstrukturierung wäre ohne eine flexibel reagierende IT definitiv nicht möglich gewesen", hebt Tiroler-Wasserkraft-Vorstand Herbert Hönlinger die Rolle seiner IT-Abteilung hervor.

Das IT-Team war in dieser Zeit stark gefordert. "Kurzfristig Zaubern", nennt dies schmunzelnd Franz Jenewein, Abteilungsleiter der Informationstechnik, und erinnert sich an ein Projekt, bei dem der Gasbereich der Innsbrucker Kommunalbetriebe innerhalb eines Monats in die Tiroler Wasserkraft-Tochter Tigas integriert werden musste. Andere Mammutvorhaben waren die Entwicklung von IT-Systemen für den Aufbau des Vertriebs, des Stromhandels und der Regelzone.

Aber auch das Alltagsgeschäft hat es in sich, da die Tiroler Wasserkraft über die gesamte Wertschöpfungskette, also Stromerzeugung, Übertragung, Verteilung, Stromhandel sowie das Betreiben einer Regelzone und der Verrechnungsstelle (Clearing und Settlement) verfügt und deshalb eine breite Palette von IT-Systemen mit über 1000 PC-Arbeitsplätzen und 70 Servern betreibt: unter anderem betriebswirtschaftliche Standardsoftware (R/3 Core), energiewirtschaftliche Branchenlösung (R/3 ISU, CIC, Energiedaten-Management), Business Intelligence/Data Warehouse, Regelzone-Markt-Management-System, Netzinformationssystem, Instandhaltungs-Management-System sowie CAD/CAE-Konstruktion.

Welche Konsequenzen sich aus den weitreichenden Veränderungen für die IT ergeben haben, fasst Jenewein mit den Stichpunkten Time-to-Market und Time-to-Implementation zusammen - rasche Handlungsfähigkeit und kurze Implementierungsdauer. Nachdem er zusammen mit seinem IT-Team festgestellt hatte, dass die Kraftakte zu Beginn der Liberalisierung als Reaktion auf die schnellen Marktänderungen keine Einzelvorhaben wie die Einführung des Euro waren, sondern ein Dauerzustand, beschlossen sie, das Projekt-Management systematisch unter die Lupe zu nehmen und zu professionalisieren - der Anfang des Change-Management-Prozesses in der IT.

Key-User aus anderen Fachbereichen

Als Erstes organisierte die IT-Abteilung einen Workshop, auf dem die Projektleiter eine Bestandsaufnahme samt Analyse vornahmen. Daraus resultierte ein Programm für die Professionalisierung des Projekt-Managements. Ziel war, einen durchgängigen, standardisierten Prozess von der Idee bis zum Auftrag, zur Ausführung und Dokumentation der Projekte zu schaffen sowie in wichtige und weniger wichtige Vorhaben zu differenzieren.

Die Bestandsaufnahme ergab, dass die Projektmitarbeiter ihre methodischen, sozialen und kommunikativen Kompetenzen ausbauen sollten. An Weiterbildungsmaßnahmen in Form von Seminaren, Coachings und Einführungsveranstaltungen nahmen auch so genannte Key-User aus anderen Fachbereichen teil - für den IT-Chef eine sehr wichtige Maßnahme, da die Projekte ja nicht nur die IT-Abteilung selbst, sondern auch seine "internen Kunden" betreffen. Von Anfang an arbeiteten sie deshalb mit der für die Gesamtplanung- und -steuerung zuständigen Stabsstelle sowie mit dem Personal-Management zusammen.

Eine zentrale Rolle kam dem externen Berater 5Consult, Wien/Wiesbaden, zu, der unter anderem Weiterbildung im Bereich Projekt-Management-Methoden und soziale Kompetenz veranstaltete, Projekte coachte übernahm, Schlüssel-Workshops moderierte und teilweise die Projektmitarbeiter bei ihren Projekten begleitete. Feedback-Gespräche sorgten für den Transfer des Gelernten in die Praxis. Für den IT-Chef war entscheidend, dass der Berater sowohl technische als auch methodische und vor allem soziale Kompetenz mitbrachte. "Projekte, in denen es um Kommunikation und Zwischenmenschliches geht, sind sehr heikel. Da sollte ein Externer hohe Akzeptanz genießen." Das sei glücklicherweise der Fall gewesen.

Verantwortung beim Topmanagement

Udo Müller wiederum, Geschäftsführer von 5Consult, hebt die Funktion der Führungsebene bei den Veränderungsprozessen hervor: "Das Management sollte die Verantwortung in einem Veränderungsvorhaben selbst übernehmen und nicht an externe oder interne Berater delegieren." Er empfiehlt, neue Organisationeinheiten beispielsweise ein Kompetenzzentrum für das Projekt-Management, aus dem Unternehmen heraus entstehen zu lassen und nicht so sehr auf fertige Lösungen von außen zu vertrauen. So entstehe eine tragfähige Lösung auf breiter Basis. Sind konkrete Veränderungen geplant, sollten sie sofort mitgeteilt werden, um Gerüchten und einer daraus resultierenden Unsicherheit entgegenzuwirken, meint auch Geschäftsführerin Brigitte Lube. Müller und Lube raten, auch den "Bewahrern" in den Teams Raum und Zeit zu geben und die Veränderungen samt ihren Konsequenzen zu thematisieren.

Seit den Anfängen des Change-Managements in der IT sind eineinhalb Jahre vergangen. Vor allem die Rolle des Projekt-Managers hat sich verändert, sind sich Jenewein und sein Mitarbeiter Andreas Profunser einig. Die Verbesserung der Planungsmethoden und Kommunikation, aber auch der bewusste Einsatz von Moderationstechniken machten sich in Effizienzsteigerungen bemerkbar. Nicht nur Profunser fiel auf, dass ineffiziente Meetings inzwischen eine Ausnahme geworden sind. Durch die wirksamere Vorbereitung und Strukturierung sind für alle Fortschritte erzielt worden.

Die beiden IT-Mitarbeiter der Tiroler Wasserkraft stimmen darin überein, dass die Projekte insgesamt professioneller und zielgerichteter abgewickelt werden. Die bessere Planung zahle sich bei der Implementierung aus, die Teambildung, die früher eher en passant stattfand, geschehe jetzt bewusst. Unter den vielen Projekten der letzten vier Jahre konnten zwei Großvorhaben besonders erfolgreich abgeschlossen werden: die Einführung der Branchenlösung SAP IS-U und des SAP-Moduls E-Procurement.

Und was war entscheidend? "Man sollte versuchen, alle relevanten Abteilungen mit an Bord zu nehmen, rät Jenewein. "Bei uns waren das im ersten Schritt die für die Unternehmensplanung zuständige Stabstelle und das Personal-Management." Bewährt habe sich auch das schrittweise Vorgehen, also zunächst die Konzentration auf das Management der einzelnen Projekte, bevor das Multi-Projekt- und das das Ressourcen-Management in Abgriff genommen wurden. Herausgestellt habe sich auch, dass der Bedarf an Weiterbildung bei den weichen Faktoren anfänglich unterschätzt worden sei. Die Investition habe sich aber ausgezahlt, inzwischen werden IT-Mitarbeiter sogar von anderen Abteilungen angefordert, um Moderationen zu übernehmen.

"Doch nicht alle Projekte sind Erfolgsgeschichten", gibt Jenewein unumwunden zu. Deshalb findet nach Projektende in der Regel ein Lesson-learned-Workshop statt, in dem die Beteiligten reflektieren, was noch verbessert werden könnte. Da diese Informationen für jeden Mitarbeiter zugänglich sind, lasse sich der Transfer in das nächste Vorhaben gut realisieren.

Von Anfang an war klar, dass die IT-Abteilung bei der Professionalisierung des Projekt-Managements eine Vorreiterrolle übernimmt. "Ziel ist eine abteilungsübergreifende Projekt-Management-Kultur mit einheitlicher standardisierter Vorgehensweise", präzisiert der IT-Leiter, wobei er sich der Schwierigkeit in einem so heterogenen Unternehmen wie der Tiroler Wasserkraft bewusst ist.

Inzwischen entwickelt eine Arbeitsgruppe, an der sich die Abteilungen IT, Erzeugung und Personal-Management beteiligen, unternehmensweite Projekt-Management-Standards, demnächst wird der erste Entwurf vorgestellt. Was sich Jenewein noch erhofft, ist die eindeutige Zuordnung des Projekt-Managements auf Unternehmensebene. Realisiert werden könnte dies durch ein zentrales Project Office, das unternehmensweit für alle Abteilungen zuständig ist. Dass die Tiroler Wasserkraft durch ständig verbessertes Projekt-Management weiterhin flexibel agieren und reagieren kann, wird auch künftig notwendig sein. Tiroler Wasserkraft-Chef Hönlinger prognostiziert, dass auch in den nächsten fünf Jahren keine stabilen Marktverhältnisse herrschen werden, und hebt dabei die Rolle der Informationstechnik hervor: "Die schnelle Anpassung der IT an die sich rasch ändernden Geschäftsprozesse ist das Entscheidende." (bi)

*Hiltrud Osterried ist freie Journalistin in Dachau bei München.

Angeklickt

- Umstrukturierung unter Zeitdruck war notwendig.

- Stichpunkte: Time to Market und Time to Implementation.

- Kraftakte waren ein Dauerzustand.

- Das Projekt-Management wurde professionalisiert.

- Externe Berater hatten eine zentrale Rolle.

- Das Management übernahm die Verantwortung.

- Die IT-Abteilung hatte die Vorreiterrolle.

Tipps aus der Praxis

- Die Unternehmensführung sollte beim Change-Management Verantwortung übernehmen, Visionen vorleben und Entscheidungen nicht nach außen delegieren.

- Die Gründe für den Veränderungsprozess offen darlegen.

- Neue Organisationseinheiten sollten möglichst nicht extern, sondern aus dem Unternehmen heraus entstehen, um breite Akzeptanz zu schaffen.

- Offene Kommunikation verhindert Gerüchte und Ängste.

- Auch denjenigen Raum geben, die dem Neuen weniger aufgeschlossen sind.

- Zu Beginn des Veränderungsvorhaben eine adäquate Projektorganisation aufbauen.