Lizenzen, Wartung und Services

Tipps für die richtige ERP-Auswahl

18.09.2018
Von  und Steffen Heetfeld
Als Beratungsvorstand des ERP-Herstellers e.bootis aus Essen wird Tim Langenstein täglich mit den Problemen und Herausforderungen des Mittelstands konfrontiert. Mit über 15-jähriger Erfahrung in der ERP-System-Branche kennt er nicht nur die Anforderungen an moderne ERP-Software, sondern entwickelt praxisnahe Lösungen, die messbare Mehrwerte im Zeitalter der Digitalisierung liefern. Sein Fokus liegt auf der digitalen Unternehmensorganisation und der softwareseitigen Optimierung von Prozessen.
Undurchsichtige ERP-Angebote erschweren es den Anwendern oft, die richtige Entscheidung bei der Auswahl eines passenden Systems zu finden. Folgende Aspekte sollten Anwender bei den verschiedenen Angeboten hinterfragen, um zu einem realistischen Vergleich zu kommen.

Wer schon einmal ein ERP-Auswahlverfahren aktiv miterlebt hat weiß, mit welchen Herausforderungen die Entscheider in den unterschiedlichen Prozessphasen konfrontiert werden. Vom ersten Marktscreening möglicher ERP-Lösungen über die Bewertung der funktionalen Eignung bis hin zum letztendlichen Angebotsvergleich zeichnen sich die einzelnen Stufen vor allem durch eine erhöhte Intransparenz aus. Allein die Masse an unterschiedlich aufbereiteten Informationen lässt schnell das Gefühl aufkommen, dass man in Wirklichkeit versucht, Äpfeln mit Birnen zu vergleichen. Und davon gleich eine ganze Wagenladung.

Allein die vielen Informationen, mit denen Anwender im Zuge der ERP-Auswahl konfrontiert werden, lassen schnell das Gefühl aufkommen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Allein die vielen Informationen, mit denen Anwender im Zuge der ERP-Auswahl konfrontiert werden, lassen schnell das Gefühl aufkommen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Foto: Martin Dworschak - shutterstock.com

In ihrer Not lassen sich manche Entscheider bei einer gefühlten funktionalen Gleichwertigkeit der ERP-Systeme dazu hinreißen, den angebotenen Preis als maßgeblichen Entscheidungsfaktor zu wählen. Gerade hier sollten Sie sich jedoch nicht vorschnell von vertrieblich geschönten Werten blenden lassen, sondern eine Ecke weiterdenken.

Nutzen Sie die folgenden Aspekte, um sich und Ihren ERP-Anbietern gezielte Fragen zum Angebot zu stellen, damit Sie letztendlich auf Basis einer möglichst realistischen (monetären) Bewertung eine Entscheidung treffen.

Die Krux der Lizenzmodelle bei ERP-Angeboten: Was ist enthalten und was nicht?

Wenn nicht gerade ein transaktionsbezogenes Bezahlmodell angeboten wurde, findet sich meistens weit oben im Angebot eine Auflistung und Bepreisung von Lizenzen. Hier lohnt sich ein genauer Blick auf die Modulpolitik des Anbieters. Im Klartext: Wird eine lange, extrem kleinteilige Preisliste zu spezialisierten Modulen angeboten oder erwirbt man mit einer Lizenz den gesamten Funktionsumfang einer ERP-Software?

Beide Formen haben ihre Vor- und Nachteile: Während für ersteres Modell meist damit argumentiert wird, nur das zu bezahlen, was Kunden im Moment des Angebots benötigen beziehungsweise denken zu benötigen, unterstützt letzteres die Philosophie einer auf kommende Anforderungen anpassbaren Komplettlösung.

Es ist wichtig, sich den Unterschied zu verdeutlichen, da sich während einer agilen Projekteinführung häufig Anforderungen oder Optimierungswünsche entwickeln, die zur Zeit der Angebotserstellung noch nicht absehbar waren. Bei einer modulfokussierten Lösung entsteht hier die Gefahr, während der Einführung kostspielige Module inklusive Wartungsgebühren hinzukaufen zu müssen, um den gewünschten Optimierungsgrad zu erhalten.

Übertragen ins reale Leben wäre diese Situation damit zu vergleichen, dass Sie ein Auto kaufen möchten, mit dem Sie ganzjährig fahren können, im Angebot jedoch die Winterreifen fehlen. Wirklich geholfen ist Ihnen damit nicht.

Service-Dschungel vs. Service-Wüste: Wie setzen sich die Kosten für Dienstleistungen zusammen?

Gerade mit der Qualität der beratenden Dienstleistung während der Einführung entscheidet sich oft der spätere Optimierungsgrad des eingeführten ERP-Systems. Hier liegt aber auch ein häufiger Grund, warum Einführungs- und Betriebskosten unkontrolliert in die Höhe schnellen und Budgettreue nur zu einer Marketing-Floskel verkommt.

Im ersten Schritt zu einer realistischen Einschätzung der Dienstleistungskosten sollten Sie die angebotenen Summen grob miteinander vergleichen. Gibt es starke Ausreißer nach unten oder oben? Werden zum Beispiel einerseits zwei Tage andererseits 200 Tage für die gleiche Leistung veranschlagt?

Bei derartigen Abweichungen sollte man sich immer die Frage stellen, was realistisch berechnet und was mit der rosaroten Vertriebsbrille kalkuliert wurde. Auch wenn wenig Dienstleistungstage zu einem geringen Preis verlockend klingen, hören Sie auf Ihr Bauchgefühl, ob die Größe Ihres Projektes in dieser Zeit realistisch umzusetzen ist.

Dabei sollten Anwender nicht die Frage außer Acht lassen, wieviel Zeit und Ressourcen sie selbst in den ERP-Wechsel stecken müssen. Wird die Aufgabenteilung zwischen Ihnen und Ihrem Anbieter vertraglich geregelt, das heißt sind Detailarbeiten eventuell ausschließlich durch das Anwenderunternehmen zu erledigen? Ist man beispielsweise selbst für die Datenübernahme aus dem alten System verantwortlich oder ist dies in der veranschlagten Dienstleistungssumme enthalten? Sind Import-Möglichkeiten im Preis enthalten, muss man zusätzlich Importer beauftragen oder gar die Daten manuell übernehmen? Anwender sollten daran denken, dass die ERP-Einführung meist parallel zum Tagesgeschäft läuft! Je nach Dienstleistungsmodell entsteht so ein erheblicher interner Aufwand, den es in der Gesamtrechnung mit zu berücksichtigen gilt.

Darüber hinaus sollte man immer die Frage nach der Beratungsqualität stellen: Ist der Berater nur eine Implementierungsunterstützung oder sollen mit seiner Hilfe ganzheitliche Optimierungskonzepte erschaffen und umgesetzt werden? Wieviel Beratererfahrung erhalte ich für den angegebenen Preis? Böse gesagt, schickt der Anbieter einen Azubi oder einen Senior-Berater? Hier empfiehlt es sich, die Beratererfahrung und den Beratungsumfang vertraglich festzuhalten und vor Vertragsunterzeichnung den jeweiligen Berater persönlich kennenzulernen.