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Web-Erfinder

Tim Berners-Lee plädiert für offene Standards und Neutralität

22.11.2010
Von 
Thomas Cloer war Redakteur der Computerwoche.
Der britische Physiker und für seine Erfindung des World Wide Web geadelte Sir Tim Berners-Lee macht sich in einem spannenden Aufsatz für den "Scientific American" für ein weiterhin offenes Web stark.

Das vor 20 Jahren ersonnene Web habe sich unter anderem deswegen so schnell ausgebreitet und durchgesetzt, schreibt Sir Tim, weil es ein überzeugendes Konzept verfolgte: Jeder Mensch sollte egal wo mit jedem anderen Informationen austauschen können. Basierend auf egalitären Prinzipen hätten tausende Einzelpersonen, Universitäten und Firmen die Fähigkeiten des weltumspannenden Netzes sowohl unabhängig als auch im Rahmen des Standardisierungsgremiums World Wide Web Consortium (W3C, Berners-Lee ist dort Director) zu dem weiterentwickelt, was es heute ist: ein integraler Bestandteil unseres täglichen Lebens, der wie Wasser oder Strom einfach vorhanden ist.

Dieses "Web as we know it" sieht sein Erfinder Berners-Lee allerdings in unterschiedlicher Weise bedroht - und zwar durch einige seiner bis dato erfolgreichsten "Bewohner". Zum Beispiel Social Networks wie Facebook, die Daten in Silos vorhalten und nicht über URI verlinkbar und austauschbar machen; Apple, das proprietäre "itunes:"-Links verwendet und Menschen damit an einen zwar wunderschönen, aber auf einen Anbieter (eben Apple) limitiertes Angebot zwingt, oder Verlage, die neuerdings ihre Inhalte gern in "Apps" für Smartphones und Tablets packen und damit aus dem Web herausnehmen ("ZEIT ONLINE" ist schon einen Schritt weiter und hat jetzt auch eine iPad-optimierte Webseite).

Sir Tim erläutert in dem ausgesprochen lesens- und bedenkenswerten Aufsatz "Long Live the Web: A Call for Continued Open Standards and Neutrality" darum auch erneut die zentralen Prinzipien des Web, zu denen unter anderem Universalität, Dezentralität, offene und Royalty-freie Standards sowie die Abtrennung als Anwendungsschicht, die auf der technischen Infrastruktur des Internetnets aufsetzt, gehören. Ferner macht sich der Web-Erfinder für das Prinzip der Netzneutralität stark (und zwar auch auf mobilen Endgeräten, die Google und Verizon am liebsten ausnehmen würden) und fordert "elektronische Menschenrechte", darunter das Verbot jegliche Schnüffelei, sei es durch Unternehmen oder durch Behörden.

Und natürlich wünscht sich Tim Berners-Lee (Stichwort "Semantic Web") auch weiterhin, dass das Web künftig auch die in Dokumenten steckenden Daten erschließen kann. Damit werde es für Forscher und Wissenschaftler hoffentlich zukünftig auch möglich, mit Hilfe des Web zum Beispiel ein Mittel gegen Alzheimer zu entwickeln. Dabei räumt der Vordenker sehr wohl ein, dass die Verlinkung von Daten auch neue Probleme im Bereich Privatsphäre heraufbeschwören könnte, die heutige Gesetze kaum abdeckten. Es gelte, rechtliche, kulturelle und technische Möglichkeiten prüfen, die den Datenschutz sicherstellten, ohne die Vorteile des Data-Sharing zu ersticken, schreibt er.

Und weiter: "Es ist eine spannende Zeit. Web-Entwickler, Unternehmen, Regierungen und Bürger sollten offen und kooperativ wie in der Vergangenheit daran arbeiten, die fundamentalen Prinzipien des Webs wie auch die des Internets zu erhalten und dabei sicherzustellen, dass die technischen Protokolle und sozialen Konventionen, die wir aufstellen, grundlegende menschliche Werte respektieren." Ziel des Web sei es, der Menschheit zu dienen, schließt Sir Tim Berners-Lee. "Wir bauen es jetzt so, dass jene, die nach uns kommen, damit Dinge schaffen können, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können."