Thema der Woche

Thema der Woche "Das Thema Partnerschaft wird zu hoch gehängt"

02.04.1999
Die Gerüchte um die Computersparte der Siemens AG reißen nicht ab. Die erneute Umstrukturierung und der geplante Personalabbau im Bereich Computer Systems (CS) haben im Markt für Verunsicherung gesorgt. Rudi Lamprecht, Chef des Geschäftsbereichs Information and Communication Products (ICP), verteidigt im Gespräch mit den CW-Redakteuren Wolfgang Herrmann und Christoph Witte die Pläne des Konzerns, schließt aber ein Zusammengehen mit einem Partner nicht aus.

CW: Nach dem angekündigten Personalabbau und der Umstrukturierung des Bereichs Computer Systems CS (CS gehört zu ICP, Anm. d. Redaktion) stellt sich die Frage, ob sich Siemens allmählich aus der Hardwareproduktion verabschiedet. Welche Perspektiven sehen Sie für die Computersparte?

Lamprecht: Ich wundere mich schon, warum wir mit solchen Meldungen immer wieder in die Presse geraten. In diesem Zusammenhang muß doch auch erwähnt werden, daß Siemens mit dem Computerbereich durchaus erfolgreich agiert.

CW: Nun sorgt Siemens aber auch selbst dafür, in die Schlagzeilen zu geraten. Durch die geplanten Personalanpassungen, wie Sie es nennen, sind solche Fragen ja erst aufgekommen.

Lamprecht: Wir beantworten diese Fragen ja auch. Innerhalb des Computerbereichs haben wir zwei große Organisationen gebildet. Im sogenannten Volumenbereich fassen wir alle Intel-basierten Systeme zusammen, das heißt vom Consumer-PC bis zum großen PC-Server. Hier sehen wir große Synergien. Zum zweiten bündeln wir unsere gesamten Unix-Aktivitäten und die BS/2000-Produkte in einer Enterprise-Gruppe. Auch in diesem Bereich sind die Probleme und Technologien ähnlich.

CW: Was bedeutet das konkret für den Volumenbereich?

Lamprecht: In diesem Bereich werden viele Komponenten zugekauft. Die eigene Wertschöpfung liegt weniger in der Technologie, sondern in Leistungen wie Logistik, Kundenbetreuung, Implementierung und so weiter. Im Rahmen dieser Betrachtung haben wir festgestellt, daß wir einige Dinge nicht mehr selbst tun müssen. Es gibt auch außerhalb des Siemens-Konzerns kompetente Firmen, die gute Leistungen anbieten. Darauf können wir zurückgreifen.

CW: Alle genannten Bereiche könnten Sie aber auch ohne eine eigene Produktion abdecken.

Lamprecht: Das ist ohne Zweifel richtig. Und deshalb werden wir uns immer wieder diese Frage stellen, genauso wie das alle anderen Hersteller tun. Unsere großen Mitbewerber produzieren auch nicht alles selbst. In diesem Zusammenhang haben wir ein paar notwendige Maßnahmen getroffen. Wir werden zwar nicht unbedingt Stellen abbauen, aber in verschiedenen Bereichen, wo wir Dinge nicht mehr selbst tun möchten, Mitarbeiter mit anderen Aufgaben betrauen.

CW: Was heißt das konkret? Können Sie Entlassungen ausschließen?

Lamprecht: Ich kann keine Entlassungen ausschließen. Aber wir wollen, wie schon mehrfach gesagt, diese Maßnahmen sozialverträglich gestalten. Wir suchen zunächst immer im eigenen Hause nach Versetzungsmöglichkeiten. Auch Ausgründungen sind geplant, das heißt, Mitarbeiter werden in Teilbereichen in die Selbständigkeit geführt. Das sind ganz normale Maßnahmen, die bei unseren Wettbewerbern gang und gäbe sind. Im Vergleich zu anderen Unternehmen sind wir Waisenknaben. Trotzdem kriegen wir jetzt solche Schlagzeilen.

CW: Die COMPUTERWOCHE hat auch über die Maßnahmen Compaqs ausführlich berichtet...

Lamprecht: Zum Thema Fertigung gibt es aber auch noch eine andere Betrachtung: Siemens kann beispielsweise auch selbst als OEM-Lieferant auftreten. Im Intel-Umfeld läuft dazu eine Reihe von Gesprächen, die wahrscheinlich schon bald zu Ergebnissen führen werden.

CW: Um für potentielle Kunden auch preislich interessant zu sein, müßte das OEM-Geschäft aber auch ein gewisses Volumen haben. Siemens ist nicht gerade als sehr billiger Produzent bekannt.

Lamprecht: Hier möchte ich gegenhalten: In den Diskussionen mit Acer (Frühjahr 1998, Anm. d. Redaktion) ist uns beispielsweise sehr transparent geworden, wie die Kostenbasis in anderen Regionen, insbesondere in Asien, aussieht. Wenn man die gesamte Wertschöpfungskette im Fertigungsbereich betrachtet, sind wir mit unserem Automatisierungs- und Qualitätsgrad außerordentlich wettbewerbsfähig.

CW: Davon sind wir überzeugt. Aber wer bezahlt Ihnen das?

Lamprecht: Diese Faktoren schlagen immer auch auf die Preise durch. Und darauf kommt es im OEM-Geschäft an.

CW: Das PC-Werk in Augsburg gilt in der Branche als sehr teuer, eben weil es so hochautomatisiert ist.

Lamprecht: Das stimmt nicht.

CW: Wir reden nicht von den Produkten, die dieses Werk verlassen, sondern von den Anschaffungs- und Betriebskosten des Werks.

Lamprecht: Auch da trifft es nicht zu. Wir hatten ja den Vergleich mit einem anderen Partner und haben genau das Gegenteil festgestellt.

CW: Aber warum ist es dann so schwer, einen Partner für die Fertigung zu finden?

Lamprecht: Wozu müssen wir denn überhaupt einen Partner haben?

CW: Siemens hat selbst erklärt, nach einem Partner für die PC-Fertigung Ausschau zu halten.

Lamprecht: Wir brauchen nicht unbedingt einen Fertigungspartner. Das würde uns nur dann etwas bringen, wenn dieser sich in die gesamte Organisation einpassen ließe. Mit unserer bestehenden Struktur holen wir Marktanteile ab und sind profitabel - vielleicht nicht so profitabel, wie wir das wünschen, aber immerhin machen wir Gewinne. Ich kenne viele Unternehmen in unserer Branche, die das nicht tun. Aus unserer Sicht wird diese mögliche Partnerschaft viel zu hoch gehängt.

CW: Trotzdem gibt es dafür ein zentrales Argument, nämlich die Größenvorteile beim Komponenteneinkauf. An diesem Punkt hat Siemens selbst eingeräumt, noch Nachholbedarf zu haben. Deshalb würde ein Abkommen mit Acer oder einem anderen Volumenhersteller auch Sinn geben, hieß es damals.

Lamprecht: Wir wollen das auch gar nicht negieren. Aber die Marktsituation hat sich geändert. Es gibt eine konvergierende Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Geräte wachsen zusammen. Das heißt, immer mehr Teile aus beiden Bereichen werden in einem Produkt verwendet. Wir können hier mittel- und langfristig unsere internen Volumenvorteile ins Spiel bringen. Unser Bemühen geht dahin, Synergien auch im eigenen Hause stärker zu nutzen.

CW: Das hilft Ihnen für die PC-Produktion aber zunächst wenig. Sie haben damit das Größenproblem noch nicht gelöst.

Lamprecht: In bezug auf die Volumina stimmt das im Moment. Das Problem, das wir mit den derzeitigen Stückzahlen haben, ist aber, da wir ja profitabel sind, auch nicht so gravierend. Die Zukunftsperspektive ist das Zusammenwachsen von Technologien. Das Skalenproblem relativiert sich dann, weil wir ähnliche Komponenten in vielen Geräten verwenden können.

CW: Das ist verstanden. Aber Siemens darf sich doch über das Presseecho nicht wundern, wenn man einen Deal mit Acer ankündigt, dieses Geschäft wegen der finanziellen Situation des Partners platzt und man dann weiter nach einem anderen Partner sucht.

Lamprecht: Das ist eine Unterstellung von Ihnen. In der Industrie redet doch jeder mit jedem über alles. Das bedeutet nicht unbedingt, daß man sucht. Man ist natürlich immer offen für Bewegungen und stellt die Frage: Was ist sinnvoll? Nicht nur für einen Partner, sondern für beide.

CW: Auch das ist klar.

Lamprecht: Siemens hat ein exzellentes Netzwerk von Verbindungen, und zwar nicht nur in Europa, sondern global. Wir sind gefragte Ansprechpartner für alle.

CW: Mit Sun Microsystems besteht ja beispielsweise schon eine Partnerschaft. Wäre es nicht sinnvoll, wenn Sun künftig etwa auch Server-Hardware an Siemens liefern würde?

Lamprecht: Das sehe ich nicht so. Wir haben heute in den verschiedenen Bereichen eine ganze Reihe von Partnerschaften, beispielsweise auch mit Intel und mit Microsoft, mit Fujitsu und NCR. (Zur möglichen Kooperation mit Fujitsu siehe Seite 33.)

CW: Die Aussage, daß sich Siemens von der Hardwareproduktion im klassischen Sinn trennt, werden wir wohl nicht von Ihnen hören. Aber eine Frage muß trotzdem erlaubt sein: In der Öffentlichkeit kommen Irritationen auf, wenn Siemens verkündet, man rede mit möglichen Partnern für den Volumenmarkt, andererseits aber kein klares Bild von der künftigen Ausrichtung der Computerprodukte zeichnet. Was sind Ihre Ziele in diesem Bereich?

Lamprecht: Wir sehen die Konversion von Kommunikations- und Informationstechnik und nehmen für uns in Anspruch, beide Disziplinen zu beherrschen. Wir gehen davon aus, daß sich im Bereich der typischen Endgeräte - also Computer oder Telefone - in Zukunft am meisten verändern wird. Dadurch ergeben sich für uns weltweit neue Chancen. Dazu brauchen wir die PC-Technologie, auch in Zukunft. Das heißt, wir werden uns weder aus dem einen noch aus dem anderen Gebiet zurückziehen.

CW: Im klassischen PC-Markt zeichnen sich immer stärkere Sättigungstendenzen ab. Neue Geräte wie etwa Internet Appliances oder Handies als Integrationsplattform könnten im Massenmarkt mehr Anklang finden. Die Geräte sind billiger und einfacher bedienbar. Was bedeutet dieses neu entstehende Bild für die Produkte von Siemens?

Lamprecht: Diese Geräte müssen jetzt grundlegend weiterentwickelt werden. Die Produkte werden sich signifikant ändern. Der PC wird nicht mehr so aussehen, wie er heute aussieht, auch das Telefon nicht. Aus diesen Systemen wird sich eine dritte Kategorie entwickeln.