The Waves of Change

13.01.1978

Die Dezentralisierung der Computerleistung ist heute realisierbar geworden. Im folgenden Beitrag, der seinem neuen Buch "The Waves of Change" entnommen ist (Kapitel VI), untersucht Charles P. Lecht Probleme und Entwicklungs-Perspektiven des Distributed Processing (DP) aus der Sicht der Hersteller und Benutzer.

Meines Wissens nach ist der Sinn einer Dezentralisierung von Computerleistung und deren Integration in den betrieblichen Organisationsrahmen von keiner Seite jemals ernsthaft bezweifelt worden. Der technologische Entwicklungsstand der Vergangenheit bot jedoch nur sehr wenigen Unternehmen die Möglichkeit, ihre EDV auf dezentraler Basis zu organisieren.

Das ist inzwischen anders geworden. Der rasante Fortschritt bei der Hardware, Software und Datenkommunikation bietet heute die Grundlage für eine effiziente Dezentralisierung und Streuung der EDV-Leistung. Damit ist eine der Hauptforderungen an die Datenverarbeitung realisierbar geworden: Des Ende der EDV als selbständiges Subsystem und ihre Integration in sämtliche Unternehmensbereiche.

Einzelne Abteilungen, die früher von der zentralen EDV abhängig waren, sind heute um eigene Vor-Ort-Computerleistung in Form von Mikros, Minis und intelligenten Terminals bemüht. Dabei geraten sie oft in Konflikt mit der langfristigen EDV-Gesamtstrategie des Unternehmens. Der Trend zur Dezentralisierung wird dadurch verlangsamt. Im folgenden bezeichnen wir diese Abteilungen als Endbenutzer, im Gegensatz zum EDV-Zentrum im klassischen Sinn.

Diese Endbenutzer haben die Neigung, ihre Probleme allein lösen zu wollen. Manchmal gelingt ihnen das auch. In vielen Fällen jedoch führt dieser Alleingang zu unnötigem Energieverschleiß. Verschiedene Abteilungen und das EDV-Zentrum arbeiten aneinander vorbei, anstatt sich um ein gemeinsames Konzept zu bemühen.

Dann ist da immer noch das Problem, das von vielen "Zentralisten" als Hauptargument gegen eine weitere Dezentralisierung der EDV angeführt wird: daß nämlich im Zuge des Distributed Processing viele Unternehmens-Abteilungen plötzlich mit schwierigen und komplexen EDV-Problemen konfrontiert werden, die früher von der zentralen EDV erledigt wurden. Dazu gehören zum Beispiel Programmierung, Rechnerbetrieb, Software-Standards und Datenkommunikation. Allein schon die auftretenden Kompatibilitäts-Probleme lassen hier viele hoffnungsvolle Versuche scheitern.

Die EDV-Zentralen kennen die langfristigen Probleme, die sich aus der Dezentralisierung der EDV ergeben. Trotzdem beugen sich die meisten dem aktuellen Trend. Sie tun das aus verschiedenen Gründen: Entweder, weil sie die ständig wachsenden Applikationsaufgaben der Endbenutzer nicht mehr ausreichend bewältigen können, oder einfach aus Anpassung an vorherrschende Entwicklungstendenzen.

Was immer der Grund ist, Interessenkonflikte zwischen EDV-Zentralen und Endbenutzer-Abteilungen gibt es allemal. Dabei bleiben oft die Unschuldigen auf der Strecke.

Es kann heute durchaus passieren, daß sich der Endbenutzer für eine eigene Lösung auf Stand-Alone- oder Netzwerkbasis entscheidet - noch bevor sich die EDV-Zentrale des eigenen Unternehmens auf die steigenden Applikations-Anforderungen der Abteilung eingestellt hat. Die Lösung dieser innerbetrieblichen Konflikte wird zusätzlich erschwert durch die gegenwärtige Konzentration der Computerhersteller auf Datenbanken und Datenfernübertragung.

Größere Benutzer haben hier gewisse Vorteile: Größere Computer-Ressourcen und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern verringern die Risiken einer extrem dezentralisierten Lösung.

Kleinere und mittlere Benutzer ohne große Ressourcen und entsprechende Erfahrung laufen da gegen Gefahr, kurzfristige Lösungen zu akzeptieren, die sich dann langfristig als Illusion erweisen.

Konkurrenten neuen Stils

Noch vor kurzem hatte sich der Vertriebsbeauftragte eines großen Computerherstellers eigentlich nur um die EDV-Zentrale des Kunden zu kümmern. Von den Sorgen und Nöten dieser Abteilung wurde er dann so in Beschlag genommen, daß ein direkter Kontakt mit dem Endbenutzer im Unternehmen nur in den seltensten Fällen zustande kam.

Die Folge davon war, daß sich die Endbenutzer verstärkt kooperationswilligeren Herstellern von Minicomputern und unabhängigen Terminal-Produzenten zuwandten, die nicht mit der Erfahrung zentraler EDV-Lösungen "vorbelastet" waren. Die Hersteller von Großrechnern sahen sich plötzlich mit Konkurrenten neuen Stils konfrontiert. Diese hatten viel bessere Beziehungen zu den Endbenutzern, genauer zu den Leuten, denen bei Investitionsentscheidungen über die Implementierung neuer Anwendungen eine Schlüsselrolle zukommt. Diese Endbenutzer kontrollieren schon heute die Bereiche des EDV-Marktes, für die in Zukunft mit den höchsten Expansionraten gerechnet werden muß.

Wie auch schon in ähnlichen Situationen der Vergangenheit unternehmen IBM und andere große Hersteller alles, um dieser neuen Marktsituation gerecht zu werden. Zur derzeitigen IBM-Produkt-Palette im Bereich dezentraler Datenverarbeitung gehören unter anderem: das System 3790, die Systeme 3, 32 und 34 sowie die neueste Entwicklung, die Serie 1/-Minicomputer mit Synchronous Data Link Controll (SDLC). Wird fortgesetzt.

Charles P. Lecht ist Gründer und Vorsitzender der Advanced Computer Techniques Corporation (ACT).