Einstieg in die Textverarbeitung muß nicht komplizierter sein als die Bedienung einer Schreibmaschine:

Texteditoren sind das bessere Konzept

25.09.1987

Von alleskönnenden Textverarbeitungsprogrammen hält Bernd-Jürgen Stein, Leiter des Bonner Energie-Institutes. nur wenig. Sie sind zu kompliziert und bieten Funktionen, die in normalen Büroanwendungen nicht benötigt werden. Stattdessen plädiert der Autor des folgenden Beitrages für den Einsatz von Texteditoren - und steht damit im Gegensatz zu den üblichen Textverarbeitungsanbietern.

Texteditoren sind "abgespeckte" Textverarbeitungsprogramme. Mit ihnen kann man, wie mit üblichen Textverarbeitungsprogrammen, Texte in eine EDV-Anlage eingeben. Alle wichtigen Textverarbeitungsfunktionen, wie Zeilenlöschen/-Einfügen, Blöcke löschen/versetzen, Suchen/Ersetzen, Kalkulation etc., sind auch bei den einfachen Editoren Schon vorhanden.

Bestimmte Funktionen sind aber weggelassen, und zwar solche, die ohnehin in einem normalen Büro wenig gebraucht werden, wie Zeilenumbruch oder automatische Fußnotenverwaltung. Der Sinn solcher "Abmagerungen" wird schnell klar, wenn man bedenkt, daß gerade die genannten komplizierten Funktionell die Verarbeitungsgeschwindigkeit und Bedienerfreundlichkeit eine i Textverarbeitungsprogramms bestimmen.

Läßt man diese Funktionen aus einem Textverarbeitungsprogramm fort, erhält man vereinfachte Programme, die das Wesentliche bei der Textverarbeitung genauso gut leisten, jedoch schneller und leistungsfähiger sind und oftmals so gut wie keine Anlernzeit benötigen.

Wir wollen diese Behauptungen an einigen Beispielen konkretisieren.

In einem normalen Büro wird Zeilenumbruch eines Textes nicht benötigt.

Textverarbeitungsprogramme, die auf den Zeilenumbruch verzichten, also echte Texteditoren, lassen sich technisch ganz anders aufbauen. Wichtigstes Merkmal: sie sind "zeilenorientiert". Damit können sie in der Bedienung vollkommen der einer Schreibmaschine angenähert werden. Zahlreiche komplizierte Formatierungsfunktionen entfallen, Funktionstasten lassen sich logischer belegen. Das bedeutet für den Anwender:

Es können Texteditoren hergestellt werden, die von einer normalen Bürokraft nach zehn Minuten Einarbeitungszeit vollkommen beherrscht werden. Ein weiterer Vorteil ist die höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit. Man überlege einmal kurz, wie lange es bei einem üblichen Textverarbeitungsprogramm dauert, einen 80 Seiten langen Text von Anfang bis Ende "durchzublättern" - und zwar Seite für Seite. Es kommen einige Minuten zusammen. Texteditoren, bei denen der "Ballast" des Zeilenumbruchs fehlt, können da anders "rangehen": Das "Durchblättern" von 80 Seiten in fünf Sekunden ist kein Problem. Dabei wird jede Seite voll auf dem Bildschirm angezeigt - natürlich wegen der Geschwindigkeit nicht mehr lesbar, aber langsamer geht es auf Wunsch natürlich auch.

Fazit: Gute Editoren ohne Zeilenumbruch sind üblichen Textverarbeitungsprogrammen in der Editiergeschwindigkeit haushoch überlegen.

Höchstgeschwindigkeit beim Blättern oder Rollen des Textes ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Ebenso nützlich wäre es, wenn zusätzlich die Geschwindigkeit einer Bearbeitungsfunktion zunimmt, je häufiger sie benutzt wird.

Besonders häufige Funktionen sind:

- Bewegung des Cursors in der Zeile,

- Zeilen Einfügen/Ausfügen,

- Textrollen oder -blättern.

Andere Bearbeitungsschritte kommen demgegenüber weniger häufig vor:

- Textblockoperationen

- Kalkulationen

- Suchen und Ersetzen

- Sprünge im Text

Manche Schritte sind in der Regel sogar sehr selten, wie die Eigenprogrammierung bestimmter Befehlsabläufe.

Man sollte eigentlich meinen, daß sich bei guten Textverarbeitungsprogrammen häufige Funktionen sehr schnell auslösen lassen, möglichst durch einen einzigen Tastendruck, andere, weniger häufige, dürfen langsamer sein.

Tatsächlich ist dies nicht der Fall. Beispiel: Die Bewegung des Cursors nach rechts oder links über eine ganze Zeile, was häufig vorkommt, läßt sich oft langsamer bewerkstelligen als beispielsweise das Löschen eines Textblockes. Vor häufigen Funktionen erscheint oftmals sogar noch eine Abfrage auf dem Bildschirm - eine geradezu katastrophale Bremse für den eiligen Anwender (was aber bei der Vorführung Eindruck macht und den Verkauf fördert).

Eine konsequente Einhaltung der geforderten Regeln ist dem Autor bei keinem Textverarbeitungssystem bekannt. Wir behaupten, daß es wieder die genannten (eigentlich überflüssigen) komplizierten und unnötigen Funktionen sind, die das Haupthindernis dafür darstellen.

Texteditoren haben da wieder keine Probleme. Es gibt Editoren, bei denen die Verarbeitungsgeschwindigkeit sich exakt der Häufigkeit anpaßt, mit der diese vom Benutzer ausgelöst werden: Bei sehr häufigen Funktionen genügt ein einziger Tastendruck mit sofortiger Ausführung.

Texteditoren können daher hochleistungsfähige Texteingabesysteme sein, die hinsichtlich der Dateneingabegeschwindigkeit normale Textverarbeitungssysteme weit in den Schatten stellen.

Editoren vermeiden auch noch andere Nachteile der Textverarbeitungsprogramme. Die marktgängigen Textverarbeitungsprogramme sind nämlich "Alleskönner". Das ist nur für den Verkäufer ein Vorteil. Wer alles kann, kann oft keines richtig. Es ist oft wesentlich sinnvoller, wenn ein Programm nur die vom Benutzer am häufigsten benötigten Funktionen anbietet, diese aber mit höchster Leistungsfähigkeit.

Beispiel Einhandbedienung: Ein Benutzer zum Beispiel, der nur Zahlen-Kolonnen über Bildschirm und Tastatur einzugeben hat, muß dies mit einer Hand tun können.

Alle wesentlichen Funktionen (Cursor-Steuerung, Textrollen, Zeilen-Ein- und -Ausfügen, Textblockoperationen, Spaltensummation) müssen mit maximal zwei Tastenfunktionen von einer Hand durchführbar sein. Die andere Hand ruht nämlich auf dem Datenblatt. Dies ist für ihn wichtiger, als beispielsweise "Seitenumbruch mit automatischer Fußnotenverwaltung". Kein marktgängiges Textverarbeitungssystem aber hat konsequente Einhandbedienung!

Es lassen sich aber sehr leicht Editoren erstellen, bei denen alle die genannten Funktionen - und sogar noch mehr - mit einer Hand erreichbar sind - die aber auf die Fußnotenverarbeitung natürlich verzichten.

Ein anderes Beispiel ist das "Rechnen im Text". Wie schwer haben sich die Programmhersteller getan, bis nach und nach solche Funktionen in die marktgängigen Textverarbeitungsprogramme Eingang gefunden haben. Dabei weiß jede Sekretärin, die Honorarrechnungen oder andere individuelle Abrechnungen schreiben muß, wie vorteilhaft Berechnungen unmittelbar am Bildschirm wären - und zwar beliebige (nicht vorprogrammierte).

Es gibt Editoren, die auf "Rechnen im Texts" spezialisiert sind und mit denen auf geradezu virtuose Weise Berechnungen beliebiger Art mitten im Text auf dem Bildschirm möglich sind - allein mit dem Cursor und zwei nebeneinanderliegenden Tasten (und mit Einhandbedienung). Es gibt sogar Editoren, die über ein paar Steuerworte im Text eine komplette Tabellenkalkulation erlauben - wie gesagt: mitten im Text, ohne Umschalten in verschiedene Modi.

Ein drittes Beispiel: Editoren für Programmierer. Betrachten wir zum Beispiel Editoren, mit denen EDV-Programmtexte geschrieben werden. In solchen Texten ist das schnelle Suchen und Finden von bestimmten Symbolen und Befehlen für den Programmierer außerordentlich hilfreich. Entsprechend leistungsfähig können Suchfunktionen eines Editors sein. Der Autor kennt Editoren, bei denen mit mehr als zehn verschiedenen Jokern gesucht werden kann.

Man braucht aber gar nicht auf die Spezialanwendungen der Editoren Wert zu legen. Die Tatsache, daß Editoren bei den wichtigsten Textverarbeitungsoperationen wesentlich leistungsfähiger sein können als Textverarbeitungsprogramme, ist ein hinreichendes Argument, sie als Alternative auch bei der normalen Büroanwendung zu sehen.

Die Geschwindigkeit und Einfachheit der Bedienung sind dabei die stärksten Argumente. Wenn vor der Einführung von Textverarbeitung in einem Büro die Sekretärin auf einen Lehrgang geschickt werden muß, so mag dies dem Softwareanbieter nützen, für den Büroinhaber ist dies eigentlich unerträglich.

Editoren gibt es für alle Personal Computer. Sie kosten in der Regel weniger als die normalen Textverarbeitungsprogramme. Sie führen (noch) ein Schattendasein neben den im Markt etablierten Programmen. Vielleicht treten sie einmal einen Siegeszug an und überrunden die "Alleskönner".