Erwiderung auf die Ansätze eines neuen Taylorismus (Teil II):

Text- und Datenverarbeitung nicht isoliert betrachten!

12.04.1979

Daß es bei der Textverarbeitung nicht um das "Ob", sondern allein ob das "Wie" geht, steht nach Meinung von Professor Lutz J. Heinrich heute nicht mehr zur Diskussion. Als Herausforderung betrachtet der Informatik-Wissenschaftler indessen, daß die Frage nach dem "Wie" gelegentlich so beantwortet wird, als gäbe es - im tayloristischen Sinne - nur "the one best way to do the job".

Im Arbeitsbericht Nr. 11 des Instituts für Fertigungswirtschaft und Betriebsinformatik der Universität Linz setzt Heinrich sich mit diesem Konzept auseinander, "ohne unbedingt methodische Hinweise erarbeiten" zu wollen.

Auszug:

Das eigentliche Problem bei der Bessergestaltung der Büroarbeit sind nicht Sekretariate und Schreibarbeitsplätze und deren Leistungssteigerung durch den Einsatz von Technologien, sondern die oft unproduktiv arbeitenden Sachbearbeiter. Analysiert man die Aufgaben von Sacharbeiterplätzen, so stellt man fest, daß in den meisten Fällen Kommunikation mit anderen (inner- und außerbetrieblichen Stellen) wichtigste Sachbearbeiteraufgabe ist. Er kommuniziert mit Kunden, Lieferanten, Behörden und Verbänden, um beim Kommunikationspartner einen bestimmten Zweck zu erreichen; seine Aufgabe hat er erfüllt, wenn er beim Kommunikationspartner die gewünschte Wirkung erzielt hat, wenn ihm zum Beispiel ein Auftrag erteilt wurde.

Aufgabe des Sachbearbeiters ist es, das zur Kommunikation zweckmäßige Kommunikationsmittel (auch unter dem, Wirtschaftlichkeitsaspekt) zu wählen, in Abhängigkeit von der jeweiligen Arbeitssituation. Jede Verwendung eines a schriftlichen Kommunikationsmittels ist Textverarbeitung; damit ist Textverarbeitung Teil der Sachbearbeiteraufgabe.

Textverarbeitung, Datenverarbeitung, Nachrichtenübermittlung

Das Bessergestalten des Sachbearbeiterplatzes setzt eine zunächst ganzheitliche Betrachtung seiner Arbeitsaufgaben voraus. So wie Textverarbeitung sind auch Datenverarbeitung und Nachrichtenübermittlung Teile von Sachbearbeiteraufgaben. Eine isolierte Betrachtung von Text- und Datenverarbeitung ist aus der Sicht der Sachbearbeiteraufgabe nicht möglich.

Szyperski fordert ein "zentrales Management für Datenverarbeitung, Textverarbeitung und Kommunikation", da nicht verschiedene Instanzen unkoordiniert die Infrastruktur einer Organisation planen und implementieren können. Als Grundsätze zur Gestaltung eines "koordinierten Informations- und Kommunikationssystems" werden genannt:

- Wirksamkeit: Die Lösungen müssen in der Lage sein, die gestellten Aufgaben vollständig und effektiv zu erfüllen.

- Wirtschaftlichkeit: Die Lösungen sollten hinsichtlich des Aufwandes optimal sein.

- Flexibilität: Die Lösungen dürfen nicht zu restriktiv gegenüber alternativen Entwicklungen sein, sie sind im Sinne robust strategischer Schritte zu gestalten.

- Sicherheit: Die Lösungen erfordern Sicherheit im technischen Sinne und gegenüber Manipulationen.

- Transparenz: Die Lösungen müssen durchschaubar sein, damit sie auf allen Ebenen akzeptiert und Änderungserfordernisse erkannt werden können.

Aus diesen Grundsätzen werden "allgemeine Forderungen" zur Gestaltung des Informations- und Kommunikationssystems abgeleitet.

Neben anderen, in der Literatur immer wieder genannten Zielen, muß ein "wohlverstandenes Humanisierungsstreben" bei der Systemgestaltung explizit Berücksichtigung finden. Dies bedeutet eine Abkehr von Reparatur- und Kompensationsstrategien und eine Einbeziehung ergonomischer und arbeitsstrukturierender Maßnahmen in die Systemgestaltung. Dies bedeutet aber auch, daß bestimmte Organisationskonzepte und Technologien nicht realisiert werden sollten. Ich rechne dazu zentrale Schreib- und Verwaltungssekretariate.

Aufgabenteilung: System und Organisationsberatung

1. Systemberatung der Hardware-Anbieter

- Entwickeln der "Konzeption der Modellvorstellung Schreiben" auf der Grundlage folgender Fragestellungen:

- Welcher Sachbearbeiter-Vorgang löst welche Textarten mit welchen Informationsgehalten aus?

- Welche Textmengen fallen, bezogen auf den auslösenden Vorgang und die Textart, an?

- Wie sind die Texte am zweckmäßigsten zu schreiben und weiterzuverarbeiten, mit welcher Methode, mit welchen technischen Hilfsmitteln, von wem, an welcher Stelle?

þBeseitigen der bestehenden Diskrepanz zwischen theoretischer Nutzungsmöglichkeit der Hardware und tatsächlicher Nutzung unter Bürobedingungen.

þVerbesserung der schlechten Ausbildungsverhältnisse von Bedienungspersonal und Organisatoren.

þSchaffen von Realisierungshilfen, um die Modellvorstellung Schreiben in Funktionalität umzusetzen.

2. Organisationsberatung

Realisieren der Modellvorstellung Schreiben, das heißt "Aufbau einer lernenden Organisation" und nicht "die bekannte Organisation im Hauruck-Verfahren". Dabei soll die Dienstleistung im Büro (Schreiben, Sekretariatstätigkeiten, vorbereitende Sachbearbeitung) gesamtheitlich betrachtet werden.

Hardware-Anbieter werden in die Entwicklung von Methoden zu investieren haben. Organisationsberatung für Textverarbeitung wird dann mehr bedeuten, als Anschläge zu zählen und Texthandbücher zu schreiben, die doch nicht eingesetzt werden.

PTV-Prozeß-Analyse - ein Weg zu programmierten Texten

Zwei Methoden werden heute üblicherweise praktiziert, um programmierbare Texte zu ermitteln: Das "Sammeln von Durchschlägen" und das "PTV-Interview", wie es zum Beispiel von der IBM-Schule für Textverarbeitung entwickelt wurde.

1. Sammeln von Durchschlägen

Es handelt sich um eine statische, an den Ergebnissen der Sachbearbeitung (also am Schreiben) orientierte Methode; wird nicht danach gefragt, wie Sachbearbeitung organisiert und computerunterstützt werden kann, sondern danach, wie Schreiben automatisiert werden kann. Die dem Sachbearbeiter zur Verfügung gestellten Texthandbücher haben daher im allgemeinen folgende Mängel

þAuffinden der Textbausteine dauert länger als individuelles Diktieren.

þTextbausteine sind nicht aktuell, weil der Änderungsdienst nicht funktioniert.

þFehlende Systematik der Textbausteine führt zu überwiegend neutralisierten, allgemeinen Formulierungen mit eingeschränkter Sachaussage.

2. PTV-Interview

Diese Methode orientiert sich an den Aufgaben der Sachbearbeitung, nicht an ihren Ergebnissen. Ausgehend von der Gesamtaufgabe des Unternehmens wird sukzessiv hierarchisch in Teilaufgaben gegliedert, zunächst bis zur Sachbearbeiterebene ("Sachgebiet"). Ab hier wird "nach der PTV-Logik" in "Sachvorgang = schriftliche Aktion", "Sachgegenstand = Hauptgrund" und "Sachverhalt = Detailgrund" gegliedert. Die nächstfolgende Gliederung führt zum Aufbrechen der einzelnen Sachverhalte in die Briefkomponenten A = Einleitung, B = Darstellung des Sachverhalts, C = Folgerung, Entscheidung, Erläuterung, D = Aktion und E = Schlußsatz.

Ein so entstehendes Texthandbuch orientiert sich an den Aufgaben der Sachbearbeitung; es entstehen sachverhaltsbezogene Texte. Trotzdem verbleiben wesentliche Mängel:

þDie Gliederung ist unvollständig, so daß sachverhaltsbezogene Differenzierungen nicht sichtbar werden oder

þdie Gliederung ist vollständig, überschneidet sich mit ähnlichen Sachverhalten, so daß die Texthandbücher unübersichtlich werden; lange Zugriffszeiten sind die Folge.

Bezieht man in die Zergliederung den Arbeitsablauf beim Sachbearbeiter ein kommt man zum Prinzip der PTV-Prozeß-Analyse, das verkürzt, wie folgt, beschrieben werden kann:

In jeder Arbeitssituation sind bestimmte Aktionen notwendig; möglicherweise ist zwischen alternativen Aktionen zu wählen. Aktionen sind unter anderem in Texten zu dokumentieren. Lassen sich Texte standardisieren, kommt man zu programmierten Texten, deren Inhalt sachverhaltsbezogen definiert werden kann. Organisatorische Änderungen am Sachbearbeiterplatz können einbezogen werden.

Die PTV-Prozeß-Analyse ist damit zweifellos eine Methode der Istzustandserfassung und -analyse sowie der Entwicklung von Sollkonzeptionen für computerunterstützte Textverarbeitung, die

þeinerseits den entscheidenden Mangel der bei anderen Methoden fehlenden Orientierung an der Sachbearbeiteraufgabe vermeidet und zu einer arbeitsablaufbezogenen, dynamischen Analyse führt, die aber

þandererseits den Mangel hat, Textverarbeitung, ja sogar nur den Teil der "programmierten Textverarbeitung" isoliert anzugehen und die, was allerdings nicht methodenspezifisch ist,

þschließlich eingebettet ist in die Konzeption einer sachbearbeiterfernen, zentralisierten Schreib- und Verwaltungstätigkeit.

Sie vermeidet daher nur die zweite der von uns genannten Schwachstellen.