Tendenz zum "Vor- und Nachdenken" als weiblich identifiziert

12.12.1986

"Computerfrauen" ist der Titel einer Dissertation, die genau zu dem Zeitpunkt geschrieben wurde, zu dem gerade Frauen mehr denn je im High-Tech-Bereich gefragt sind. Wo liegen die Motive dafür? Sind diese vordergründig nur in einer signifikanten Bedarfssituation, also - im Klartext - einem Mangel an qualifizierten Männern, zu finden, oder welche Ursachen hat die relative Chancenerhöhung, die zu konstatieren ist? Und wodurch könnte diese Entwicklung noch verstärkt oder auch gebremst werden? Der folgende Teil 2 der "Zusammenfassung" der Autorin des Buches gibt einige Antworten. Teil 1 ist in CW 49/86, Seite 44, erschienen.

Die zahlenmäßige Unterrepräsentanz von Frauen in einem männerdominierten Bereich ist ein an sich folgenreicher Umstand, der in Anlehnung an die amerikanische Soziologin Rosabeth Kanter das "Token-Syndrom" genannt wurde.

Allein die Tatsache, als Frau eine "vereinzelte Andere" in ansonsten nahezu ausschließlich männlich dominierten Bereichen zu sein, setzt eine charakteristische Dynamik der Wahrnehmung und Überbetonung der Besonderheiten dieser "vereinzelten Anderen" in Gang, und schränkt ihren Verhaltensspielraum ein. Soweit Frauen, die sich in der Lage des "token" befinden, nicht der Versuchung erliegen, bestimmte stereotype Rollenzuschreibungen zu übernehmen, besteht die Gefahr, daß sie die Situation der "vereinzelten Anderen" dadurch bewältigen, indem sie möglichst "unauffällig" bleiben wollen und unter diesem Anpassungsdruck in ihrer Besonderheit als Frau und als Individuum verschwinden. Jenseits der individuellen Problematik, die das Token-Syndrom im beruflichen Alltag von Frauen aufwirft, muß die Annahme der Existenz und Wirksamkeit dieses Syndroms zu größter Vorsicht anleiten gegenüber Aussagen, die spezifisch "weibliche" Beiträge hervorheben. Eine Reihe von Beispielen läßt sich dazu in der Computer-Literatur finden, die meist in die charakteristische Form gekleidet sind: "Von xy, der einzigen Frau im Team, gingen besondere Beiträge in diese oder jene Richtung aus."

Eine Vermutung, worauf sich der rückläufige Anteil von Studienanfängerinnen in der Informatik zurückführen läßt, lautet, daß - auf den ersten Blick paradoxerweise - gerade der zunehmende Einsatz von Computern und die Einführung spezieller Informatikkurse in Schulen die Ausbildung informatikbezogener Interessen von Mädchen eher behindert als fördert.

Untersuchungen zeigen, daß gerade bei dem durch die Schule vermittelten Computerkontakt deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen bestehen (Hecker/Jansen 1986). Es wird vermutet, daß Mädchen bislang in der Schule überwiegend über ein Interesse an angewandter Mathematik den Zugang zur Informatik fanden. Werden Computer und Informatik-Unterricht an Schulen eingeführt, werden die nun verfügbaren Terminals anscheinend umstandslos von den männlichen Jugendlichen "besetzt" und die Mädchen ziehen sich zurück (vergleiche Roloff 1986). Dies mag zum einen aus einer größeren Durchsetzungsfähigkeit und -willigkeit von Jungen resultieren, kann aber auch als Indiz dafür gewertet werden, daß sich die Herausbildung und Abstützung der Geschlechtsidentität von Mädchen und Jungen mittels Technik und der Aneignung und Verfügung über technische Fertigkeiten und Fähigkeiten vollzieht. Wenn nun die Notwendigkeit der Abgrenzung von Geschlechtsidentität mittels Technik nicht besteht oder die Möglichkeit dazu nicht gegeben ist, können sich mathematisch-naturwissenschaftlich-technikbezogene Interessen von Mädchen anscheinend eher entfalten. Darauf deuten die Befunde des oben bereits zitierten Forschungsprojekts über Informatikerinnen hin: Absolventinnen von reinen Mädchenschulen sind unter den dort untersuchten Informatik-Studentinnen auffallend überrepräsentiert (vergleiche auch Untersuchungen über die Biographie von Universitätsdozentinnen in naturwissenschaftlichen Fächern, die in die gleiche Richtung deuten, Burrage 1983).

Wenn wir davon ausgehen, daß es ganz wesentlich an diesen Mechanismen der Herausbildung von Geschlechtsidentität liegt, daß beim Einsatz von Computern in Schulen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen die Aneignung von Technik bei Mädchen eher behindert als gefördert wird, kann eine Strategie, die den Mädchen den Zugang zu Computern dadurch sichern will, daß Zeitquoten des Zugangs zu Computern gesetzt werden und auf die rein zeitliche Gleichverteilung von Jungen und Mädchen in der Arbeit an Terminals geachtet wird, nicht mehr als eine oberflächliche Randbedingung erfassen (siehe dazu entsprechende Forderungen im Rahmen des amerikanischen EQUALS-Projekts, vergleiche Kreinberg/Stage 1983). Eine andere naheliegende ist die Durchführung von Computerkursen, die sich ausschließlich an Mädchen/Frauen richten, wie beispielsweise die in der Bundesrepublik mit großem Echo begleiteten "Computerkurse für Mädchen" im Jahr 1985. Ihr durchschlagender Erfolg wider alle Erwartungen und Vorurteile über die Technikdistanz von Mädchen bekräftigt einerseits die Vermutung, daß in Mann-freien Zonen Mädchen/Frauen in der Tat leichter den Zugang zu Computern finden. Dies ist jedoch gleichzeitig eine nachdrückliche Herausforderung an ein koedukatives Bildungssystem, das offenbar bislang nicht vermag, beiden Geschlechtern angemessene Bedingungen für die Entwicklung und Entfaltung mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Interessen zu gewährleisten.

Aus den Erfahrungen und Beobachtungen im Rahmen von Computerbildungsmaßnahmen, die nur für Frauen ausgerichtet wurden, schloß man nicht nur auf charakteristische Barrieren für Mädchen/Frauen in gemischtgeschlechtlichen Gruppen, sondern auch auf einen inhaltlich verschiedenen Bezug der Geschlechter auf Computer.

Frauen interessiert an Technik demnach nicht die Technik als solche, sondern ihre Eigenschaft als mögliches Mittel zur Lösung erkennbar anwendungsbezogener Probleme. Während dieser Sinnbezug bei der Aneignung computerbezogener Kenntnisse für Mädchen/Frauen offenbar eine große Rolle spielt, läßt sich demgegenüber die beobachtete "typisch männliche" Umgangsweise mit Computern durch den angelsächsischen Begriff des "Hacking" nach wie vor am besten auf den Begriff bringen: Dieser Begriff spielt nicht auf eine männliche Vorliebe an, in fremde Datennetze einzudringen - in diesem Zusammenhang erhielten "Hacker" auch in der Bundesrepublik eine nicht unbeträchtliche Medienaufmerksamkeit -, sondern umschreibt einen spezifischen Zugang zu Computern, der durch eine ausgeprägte Technikfaszination und das Bedürfnis, den Computer zu "beherrschen" geprägt ist und der, wenn er sich von entfalten kann, zum Ziel nicht die Lösung von nicht-technischen Problemen hat, sondern die Ausdifferenzierung von Computertechnik selbst (vergleiche Levy 1984, der diese Orientierung auf Computer mit "tools to make tools" umschrieben hat). Auf verschiedenen Niveaus der Aneignung von Computertechnik entfalten sich diese unterschiedlichen Zugangsweisen je spezifisch. Auf professioneller Ebene führt die als weiblich identifizierte Tendenz zum "Vor- und Nachdenken" zu einem eher an Algorithmen - an Aspekten mathematischer Problemformulierung und -lösung - ausgerichteten Interesse, während Männer anscheinend eher am Computer selbst nach der Strategie von Versuch und Irrtum vorgehen. Außerhalb des Bereichs professioneller Computerarbeit bringen Frauen für den Computer als Spielzeug, das zum zweckfreien Experimentieren reizt, Gegensatz zu Männern offenbar wenig Interesse auf.

Auf dem Hintergrund dieser ausführlichen Anmerkungen zur (ermuteten) Herausbildung von Geschlechtsidentität mittels Technik und zu dem identifizierten Interesse von Mädchen an angewandter Mathematik soll hier wiederum - wie bereits im Zusammenhang mit dem "Token-Syndrom" - vor der Typisierung und Verallgemeinerung des "weiblichen Bezugs" zur (Computer-) Technik gewarnt werden, die in Schlüsselbegriffen wie "Anwendungs- oder Gebrauchswertorientierung" in der Literatur im Schwange sind. Der hohe Anteil von Mathematikstudentinnen und -absolventinnen die in Computerberufen tätig sind, verweist ebenso auf die Mathematik als "Eingangstor" für Frauen in die "Computerwelt".

Als eine Beschreibungsebene geschlechtsspezifischer Programmierstile sind dieser Arbeit Metaphern aus der "männlichen und weiblichen Kultur" herausgearbeitet worden - eine Beschreibungsebene, die in der "Psychologie der Computernutzung", zu deren Hauptaufgaben gerade die Identifizierung und Untersuchung unterschiedlicher Problemlösungsstrategien beim Programmieren gehört, nicht vorkommt. Es hat jedoch offenkundig historische Kontinuität, daß Frauen Aussagen über Computer und das Programmieren in den Zusammenhang weiblicher "Handarbeiten" wie Weben oder Stricken stellen, und auch Männer greifen auf diese Metaphern zurück, wenn sie auf weibliche Beiträge zur Software-Entwicklung zu sprechen kommen und diese beschreiben. Ich nehme dieses Ergebnis hier nicht zum Anlaß von Spekulationen, inwieweit sich darin "weibliches Arbeitsvermögen" spiegelt, sondern möchte darauf hinweisen, daß Metaphern der "weiblichen Kultur" eine Dimension erschließen, die didaktisch im Rahmen von Computerbildung für Frauen bislang kaum genutzt werden.

Lediglich bei einem englischen Frauentechnologieprojekt und im Rahmen von Arbeiten an der Universität Osnabrück, die einen "frauenspezifischen" Zugang zu Computern über Musterweberei für möglich halten, bin ich wieder auf diese Metaphern gestoßen.

Metaphern der "weiblichen Kultur" könnten eine nützliche Brücke bei der Herausbildung und Förderung des Verständnisses von Frauen für die Funktionsweise von Computern darstellen, denn - ein Strickzeug ist (auch) ein Algorithmus.

"Algorithmus: Eine vollständig festgelegte Folge von Einzelvorschriften zur Lösung einer Aufgabe... Der Begriff "Algorithmus" schließt folglich beispielsweise eine Strickanleitung wie auch eine komplizierte mathematische Lösungsvorschrift ein." (Brödner/Krüger/Senf 1981: 175. Hervorh. U.H.)

Wir haben uns mit "weiblichen Besonderheiten" bisher im Zusammenhang mit der "Technikdistanz" von Mädchen/Frauen und der Problematik von Computerbildung für Frauen befaßt. Spezifische Ausprägungen von "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" sind jedoch auch an anderer Stelle thematisiert worden. Ein bestimmter Strang der sozialwissenschaftlichen, insbesondere der feministischen Technikkritik hat eine "männliche Prägung" der Technik herausgearbeitet. Dabei erscheint einigen der Computer geradezu als eine Metapher des "Männlichen" schlechthin, mittels dem sich "Weiblichkeit" entweder gar nicht oder nur als Utopie im Rahmen der Vorstellung einer "anderen (Computer-) Technik entfalten kann. In solchen Arbeiten orientiert sich die Bestimmung von "Männlichem" und "Weiblichem" zumeist an Dichotomien - weiblich ist das, was nicht männlich ist und umgekehrt. Wenn Vorstellungen des "Weiblichen" - eine stärkere Kommunikatisorientierung, Ganzheitlichkeit und Ambivalenz des Denkens und ein an der Sorge um andere orientiertes Verhalten - am Gegenbild des "männlich" instrumentellen, binären Denkens und des kontrollierenden Verhaltens entwickelt werden, liegt die Gefahr nahe, daß die Geschlechter wie in den sozialen Geschlechterdefinitionen des 19. Jahrhunderts auf je unterschiedliche und einander ausschließende soziale Ausdrucksformen und "Handlungsräume" begrenzt werden. Der einzige "Fortschritt" besteht dann darin, daß Frauen nun nicht mehr als defizitär dem "Männlichen" gegenüber erscheinen. Die Grundstruktur solcher polar entgegengesetzter dichotomer Bestimmungen der Geschlechter ist die von Mythen (vergleiche Bühl 1984: 162ff.). Zu den Anstrengungen, die "schwierige" Beziehung von Frauen (und die der Männer) zur Technik zu erhellen, gehört auch, sich durch die eigenen (sozialwissenschaftlich-frauenforscherischen) Mythen hindurchzuarbeiten.

Dichotome, einander ausschließende Bestimmungen des "Männlichen" und des "Weiblichen" begegnen uns auch in der Computergeschichtsschreibung und in der "Soziologie der Computerarbeit", die wir auf die Spuren von Frauen in der Computergeschichte durchforstet haben, auf je spezifische Weise. Dabei zeigte sich, daß diese Spuren zuweilen in charakteristischer Weise verzerrt, verkleinert oder verschwiegen werden. Dieses Ergebnis bestätigt Überlegungen, die im Rahmen einer Programmatik sozialwissenschaftliche Frauenforschung angestellt werden. Es wird angenommen, daß (nicht nur, aber vor allem) in historischer Sicht eine unbefragte Übernahme von auf Frauen gemünzten Interpretationen nicht möglich ist. Die ausführliche Untersuchung sowohl des Porträts von Ada Gräfin von Lovelace in der computergeschichtlichen Literatur als auch der Aussagen über die frühen Computerprogrammiererinnen in der "Soziologie der Computerarbeit" geschahen nicht (nur) zu dem Zweck, deutlich zu machen, daß es auch Frauen in der Geschichte des Computers gegeben hat. Das "Sichtbarmachen" von Frauen allein genügt nicht, die ihnen durch eine androzentrische Geschichtsschreibung abhanden gekommene eigene Historizität einzuholen. Regine Becker-Schmidt hat die historische Problematik innerhalb der Frauenforschung dabei folgendermaßen umschrieben:

"Das Verhältnis (feministischer Wissenschaft, U. H.) zur Geschichte stellt sich als paradoxes dar: Was an historischem Material über Frauen vorhanden ist, muß nicht nur gegen den Strich gebürstet werden, es muß auch als eines von Weglassungen interpretiert werden. Frauenforschung ist, um ihre Wirklichkeit formulieren zu können, auf Geschichte verwiesen, aber in dieser Verwiesenheit ist sie auch verwaist: Sie kann sich nicht so ohne weiteres selbstbewußt auf bewährte Traditionen beziehen."(Becker-Schmidt 1985: 97)

Vor allem im Bereich von Naturwissenschaften und Technik ist sozialwissenschaftliche Frauenforschung in diesem Sinn "verwaist". Die Benennung von Lücken und Verkehrungen in der Überlieferung weiblicher Beiträge ist ein Anfang. Dem Ziel von Frauenförderung in der "Computerwelt" ist jedoch nicht gedient, wenn diese Lücken eilfertig mit - vorgeblich neuen - "bekannten Tatsachen" über Pionierinnen der Computerprogrammierung gefüllt werden (vergleiche einschlägig Seeland/Strauven 1984:203). Frauenforschung und Frauenförderung ist nicht gedient, wenn das Nebeneinander von Verkleinerung und Erhöhung, wie es im nach wie vor schillernden Porträt Adas zwischen der "Übersetzerin" und der "ersten Programmiererin" enthalten ist, ausgeblendet wird. Da die Computertechnik eine vergleichsweise neue Technologie ist, haben wir (noch) die Chance, einige der Frauen, die in den 40er und 50er Jahren bei der Entstehung der "Computerwelt" dabei waren, selbst zu befragen. Ich schlage deshalb ein "Oral-History"-Projekt über diese "Computerfrauen" vor.