Branchengurus blicken in die Zukunft:

Tendenz zu 32 Bit klar auszumachen

17.01.1986

BOCA RATON (CWN) - Wenn auch nur wenige sichere Aussagen getroffen werden können, wie professionelles Personal Computing in der zweiten Hälfte der laufenden Dekade aussehen wird, so scheinen einige Dinge doch gewiß: Netzwerke werden in größerem Umfang eingesetzt werden, es wird ausgefeiltere Grafik- und KI-Programme geben und, vor allem, Mikrocomputer mit 32-Bit-Chips wie dem 80386 von Intel. COMPUTERWORLD-Mitarbeiter Eric Bender hörte sich in Fachkreisen um.

Der 80386 wird eine Dauerleistung von drei bis vier Mips erbringen und einen virtuellen Speicher von 64 Billionen Bytes adressieren - 32mal den Umfang der US-Brutto-Staatsverschuldung in Dollar, wie David House anmerkte, Vizepräsident und Geschäftsführer der Intel Microcomputer Group. Der 80386 sei eine "Schlüsselingredienz", da er eine "absolut dem Stand der Technik entsprechende Architektur" biete und dazu Kompatibilität mit den existierenden IBM-Mikros, erklärte der Microsoft-Chef Bill Gates. Mit dem Erscheinen einer derart leistungsfähigen Allzweck-CPU werde die Vorstellung verschwinden, es gäbe so etwas wie Spezialrechner, sagte Gates voraus.

Mit der Massenverfügbarkeit des Chips ist im zweiten Quartal 1986 zu rechnen; Maschinen auf 80386-Basis sind somit ab 1987 zu erwarten. Die ersten Typen werden wahrscheinlich Multiuser-Systeme und File-Server sein, und mit diesem Chip ausgestattete Maschinen werden mit der Zeit in den Bereich der High-End-Single-User-Maschinen vordringen. Dennoch scheint die Feststellung angebracht, daß trotz Intels dominierender Marktposition bei Personal Computern seit der Einführung des 8088 keiner der Prozessoren dieses Unternehmens seinen Platz an der Sonne so schnell wie erwartet gefunden hat.

Klar auf dem Weg dahin ist unter anderen gewichtigen Bewerbern die Kompaktversion von DECs Microvax II. DEC hat über 5000 Stück des gegenwärtigen Microvax-Standmodells ausgeliefert. W. D. Strecker, stellvertretender Chef der "Engineering Product Strategy" bei DEC, kündigte für die nächste Zukunft eine Ausführung als Tischmodell an.

Einige Experten sagen der RISC-Philosophie eine signifikante Rolle voraus. Analog dazu werden symbolische Prozessorarchitekturen den Sprung zur Großintegration schaffen, und entsprechende Tischsysteme sind in den nächsten zwei Jahren zu erwarten. Dies wird Hand in Hand gehen mit "einer Tendenz bei General-Purpose-Computern, effizienter zu werden hinsichtlich symbolischer Datenverarbeitung", weissagte der Präsident der Symbolics Inc., Russell Noftsker, der auch die Ansicht vertrat, die Unterschiede zwischen symbolischen und Allzweck- Architekturen würden bereits in naher Zukunft verschwinden.

In einem anderen Gebiet der Hardware werden spezielle Grafikprozessoren die Bearbeitung hochauflösender Bildschirme übernehmen. In zunehmenden Maß werden neue Entwürfe eine zusätzliche normale CPU für I/O-Handling aufweisen, 1-Megabit-RAM-Chips werden Verbreitung finden und die Speicherkosten werden weiter fallen.

Die Nachfrage auf dem beträchtlichen Niedrigpreismarkt erfordert umfassende Verbesserungen bei Betriebssystemen. MS-DOS wurde ein weiteres Mal überarbeitet, um die Unterstützung von Multitasking, Netzwerkfähigkeiten, vergrößerten Arbeitsspeichern und Grafik zu bewerkstelligen, aber IBM und der MS-DOS-Autor Microsoft bewahren diskretes Stillschweigen darüber, was genau vor uns liegt. Selbst gelegentliche vieldeutige Enthüllungen, wie die Aussagen von William Lowe, Kopf der IBM Entry Systems, über ein Multiuser-MS-DOS liefern widersprüchliche Signale.

Nach Ansicht von Microsoft heißt "Multiuser" hier nicht gemeinsam benutzte CPU, sondern Multitasking mit Netzwerkanschluß. Auf die Frage, was diese Netzwerkmöglichkeiten beinhalten, antwortete Gates daß die überarbeitete Software sich nicht dramatisch von der gegenwärtigen unterscheide. Sie stütze sich lediglich stärker auf den Server und betrachte ihn als integralen Systembestandteil. Natürlich muß die neue Software auch ihren Frieden schließen mit den entstehenden IBM-Kommunikationsstandards wie zum Beispiel LU6.2.

Jeder wartet auf Microsoft und MS-DOS 4

Auf der Speicherseite warten die Programmentwickler immer noch auf ein offizielles Wort, wie die 640-Kilobyte-Adreßbeschränkung umgangen werden kann, denn ohne dieses können sie die Vorteile des 80286-Chips nicht ausnutzen. "Jeder wartet hier auf Microsoft und MS-DOS 4, es ist schlimm" sagte Maureen Fleming, Chefin des Marktforschungsunternehmens Digital Information. Während die Meinung stark verbreitet ist, daß einige grundsätzliche Inkompatibilitäten zwischen MS-DOS und dem 80286 existierten, bestritt Microsoft dies. Laut Gates sehe man sowohl bei IBM wie bei Microsoft die Antwort weiterhin in der Schaffung eines erweiterten Speicheradreßbereiches im Protected mode des 286. Der 80286 arbeitet sowohl im "Real" als auch im "Protected" mode; im ersten Fall bildet er dabei frühere Prozessoren nach, im letzteren bedient er viele Systemfunktionen in Hardware. Die beiden Betriebsarten sind nicht kompatibel, und Microsoft hatte mit dem Problem existierender Programmpakete im Extended mode zu kämpfen.

Es gibt einen Joker im Spiel

Aber es gibt einen Joker im Spiel für Software-Entwickler - die im letzten Frühling veröffentlichte Erweiterte Lotus/Intel/Microsoft-Speicherspezifikation (EMS). Sie bietet einen Weg, zusätzlichen Speicher zu adressieren, ohne gigantische Anstrengungen in die Überarbeitung der Programme stecken zu müssen. Viele glauben, EMS werde einen neuen Standard für die Speicherverwaltung sowohl in 8088- als auch in 80286-Maschinen etablieren. "Es ist ein bißchen eine Holzhammerlösung", meinte Compaq-Präsident Rod Canion, "aber es tut seinen Job." Andere teilen diese Ansicht nicht. Der Ashton-Tate-Chef Edward Esber sagte, EMS werde zuviel zugetraut. "Ich kann es mir nicht leisten, eine Speicherkonfiguration von mehr als 640 KB zu entwickeln. IBM könnte über Nacht die Spezifikationen ändern."

Wenn es auch große Kontroversen bezüglich eines Grafik-Environments gibt - ob IBM sein Topview zu einer Grafikversion ausbaut, ob Microsoft sein Windows als Standard etablieren kann oder ob ein bis jetzt Unbekannter das Rennen macht - es herrscht Übereinstimmung darüber, daß die Vorteile für den Anwender immens sein werden.

Ein Standard-Grafik-Environment bietet nach Ansicht von Gates drei Vorteile. Erstens ließe sich für verschiedene Applikationen ein gemeinsames Benutzer-Interface schaffen. Zweitens könne man vielfältige Dokumente erzeugen, und der dritte Vorteil sei die Bildschirm-Bandbreite - die erhöhte Fähigkeit, Informationen schnell und aktuell an den Mann zu bringen.

"Die Software der nächsten Generation wird für den 80386 mit Grafik-Environment entwickelt werden, sie wird intelligente Lösungen für Front- und Back-End besitzen und Mainframe- und Mini-kompatibel sein," sagte Esber.

KI sei bei vielen frühen Produkten überfrachtet worden, dennoch verspräche diese Technik viele Fortschritte in der Softwaretechnologie. Einer ist nach Ansicht von Esber die Fähigkeit des Computers, "zu tun, was ich meine, nicht was ich sage", Wissen zu übertragen und die Fähigkeiten des Computers neu zu definieren.

Viele in der KI-Szene sind der Ansicht, um die Versprechungen der Künstlichen Intelligenz wahr werden zu lassen, sei eine Hardware notwendig, die auf Jahre hinaus die Entwicklung von Tischgeräten ausschließe. Jedoch sieht John Spencer, Vizepräsident für Marketing und Verkauf bei Teknowledge, Bedürfnisse von Benutzern auf sehr verschiedenen Ebenen. Zum Beispiel könnten seiner Meinung nach kleine und relativ einfache Systeme bestimmte Anwenderbedürfnisse durchaus befriedigen.

Software kommuniziert mit dem Anwender

Eine andere Tendenz bei KI zeigt Microsofts "Softer Software" und ähnliche Programme führender Softwarehäuser wie Lotus. Diese Pakete arbeiten mit Hilfe einer ständig erweiterten "Wissensbank", die sich an den Bedürfnissen des Anwenders orientiert. "Die Software beginnt mit dem Anwender zu kommunizieren, sie verhält sich, als ob sie seine Absichten verstünde, sie ist nicht statisch", schwärmte Gates. Zusätzlich zu neuen Anwendungen werden die wichtigsten heutigen Programmpakete in eine zeitgemäße Form gebracht. Auszumachen sind Trends zu Benutzeroberflächen in natürlicher Sprache, Makros und ein umfassendes Angebot an Kommunikationsverbindungen. Mit verstärkter Hardware wird eine dramatische Erweiterung der Software einhergehen. Ein Beispiel zeigt die Textverarbeitung: "Mit dem 80386 könnte ich einen ordentlichen Grammatik-Check einbauen", erklärte Camilo Wilson Gründer der Lifetree Software Inc. Dies wiederum könnte Features unterstützen wie zum Beispiel ein "Software-Wörterbuch", das nicht nur Synonyme liefert, sondern auch Satzbau-Alternativen.