Medkom: Staatliche Gelder und VBN-Anschluss haben ein Ende

Telemedizin muss sich auf den grauen ISDN-Alltag einstellen

12.08.1994

BERLIN - In der Telemedizin geht ein ehedem futuristisch anmutendes Kapitel zu Ende. Das 1986 gestartete Projekt "Medkom", ein bundesweit angelegter Grossversuch in Sachen Vernetzung von Krankenhaeusern via Videokonferenz, muss zukuenftig ohne Foerdermittel auskommen. Gleichwohl soll dies nach dem Willen der meisten Beteiligten nicht das Ende der Videokommunikation in der Medizin bedeuten: Man will weitermachen, nicht in Form des volldigitalisierten Krankenhauses, aber mit der bewaehrten Bewegtbildkommunikation von Arzt zu Arzt auf Basis des herkoemmlichen ISDN.

Das waren noch Zeiten: 1986, als bei der Deutschen Bundespost noch alles beim alten war, galt Medkom als das erste groessere Projekt der Telemedizin in Deutschland. Immerhin gelang es bis 1989, alle Krankenhaeuser der niedersaechsischen Landeshauptstadt Hannover sowie einige Kreiskrankenhaeuser im Umland ueber das Vermittelnde Breitbandnetz (VBN), damals noch "Vorlaeufer-Breitbandnetz" genannt, zu verbinden. Ziel des von der Telekom, dem Bundesgesundheitsministerium, dem niedersaechsischen Wirtschaftsministerium sowie der Stadt Hannover gefoerderten Klinikverbundes: Die praxisnahe Anwendung von Bewegtbildkommunikation in moeglichst vielen medizinischen Fachbereichen - ein Unterfangen, das allerdings so richtig erst ab 1989 in die Tat umgesetzt werden konnte, als es im Rahmen von "Medkom 2" darum ging, das Videokonferenznetz ueber den Grossraum Hannover hinaus bundesweit auf weitere Krankenhaeuser, Arztpraxen sowie Laboreinrichtungen auszudehnen.

Ein damals fast noch jugendlich wirkender Helmut Ricke praesentierte sich im frisch gedruckten Telekom-Prospekt mit Foto und Grusswort, in dem unter anderem von besonderen "Vorteilen fuer den Patienten" beim Einsatz von Glasfasertechnik die Rede war. Diese Technik beziehungsweise die Anwendungen an den Mann - sprich: Patienten - zu bringen, liess sich das Bonner Postunternehmen auch einiges kosten. So kamen die potentiellen VBN-Videokonferenzteilnehmer in den Genuss, fuer den Anschluss an das damalige Paradestueck der Telekom mindestens zwei Jahre lang keine Verkehrsentgelte sowie eine deutlich verringerte Grundgebuehr entrichten zu muessen. Trotzdem blieb, rueckwirkend betrachtet, vom urspruenglichen Medkom-2-Ansatz nicht mehr viel uebrig - zumindest gelang es bis auf eine Ausnahme nicht, auch Arztpraxen und externe Laboreinrichtungen in den Kommunikationsverbund zu integrieren.

Fuer Rolf Kreibich, Leiter des das Medkom-Projekt von Beginn an wissenschaftlich begleitendenden Berliner Institutes fuer Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT), ist dies dennoch kein Beinbruch. "Medkom konnte ganz erhebliche neue Potentiale in der medizinischen Betreuung erschliessen.

Ferner trug es dazu bei, betriebs- und volkswirtschaftlich relevante Kosten zu reduzieren", lautete die Bilanz des Wissenschaftlers zum Abschluss von Medkom 2 - will heissen: dem Ende des Zuflusses staatlicher Foerdermittel bei der Einrichtung entsprechender Videokonferenzarbeitsplaetze.

Fuer das IZT, das die Ergebnisse seiner begleitenden Forschung in Sachen Medkom in einer Studie veroeffentlicht hat, sind die Ergebnisse jedenfalls eindeutig. Mit rund 1200 Videokonferenzen pro Jahr zwischen mehr als 50 Endstellen in bundesweit ueber 30 Krankenhaeusern war Medkom, wie es in dem IZT-Abschlussbericht heisst, "eines der groessten Anwendungsprojekte in der Videokommunikation ueberhaupt". Die Moeglichkeiten vielfaeltiger "Telekonsile" zwischen Aerzten, vor allem in den Bereichen Onkologie und Neurochirurgie, haetten sich in der Praxis bewaehrt.

Am ehesten quantifizierbare Vorteile von Medkom waren dabei, wie Robert Gassner, verantwortlicher Projektleiter beim IZT, erlaeuterte, sich rein betriebswirtschaftlich auswirkende Faktoren. So konnten alleine im Pilotprojekt Hannover knapp zwei Drittel aller Patienten-Transportkosten eingespart werden, von der medizinischen Bedeutung einer geringeren Patientenbelastung ganz zu schweigen. Ferner gelang es, die Videokonferenz als Moeglichkeit zur Optimierung von Behandlungsmethoden zu etablieren. Gassners Fazit: "Waehrend das volldigitalisierte Krankenhaus noch in weiter Ferne liegt, ist die reine Bewegtbildkommunikation mit Personen- und Dokumentenkameras heute weitgehend standardisiert, ueberall sofort zu installieren und einfach zu bedienen".

Letzteres sagt sich offensichtlich auch die Telekom, die, waehrend die Behoerden nun den Geldhahn zudrehten, mit Medkom wohl eine der letzten VBN-Anwendungen zu Grabe tragen moechte. Die Mannen um Helmut Ricke betrachteten Medkom jedenfalls, wie Guenther Meier, fuer Medkom zustaendiger Projektleiter der Telekom-Direktion Hannover, verklausuliert einraeumte, hauptsaechlich als Prestigeobjekt fuer den Zukunftsmarkt Videokommunikation, das fuer die Beteiligten nicht finanzierbar gewesen waere, "wenn wir die tatsaechlichen Kosten auf sie uebertragen haetten". Aus und vorbei mit dem Abenteuer VBN heisst daher die Devise fuer die Medkom- Teilnehmer, oder im Klartext: Die Migration von 140 Mbit/s zu 2 Mbit/s beziehungsweise 384 Kbit/s im Schmalband-ISDN.

Nach Angaben von Meier rechnet man mittlerweile "mit der Anschaltung der meisten Medkom-Endstellen an das ISDN-Netz". Fuer die Umstellung der jeweiligen Endgeraete auf die besagten sechs ISDN-B-Kanaele (Decoder fuer die Umwandlung von Videosignalen in digitale Zeichen sowie deren Rueckentschluesselung) muessen die Medkom-Teilnehmer Meier zufolge im Einzelfall bis zu 50 000 Mark berappen. Dies zu foerdern, haben die Bonner allerdings wohl kein Interesse mehr, wollen die Videokonferenztechnik vielmehr, wie IZT-Projektleiter Gassner beklagt, "den Regularien des Marktes ueberlassen".

Wie man ueberhaupt beim IZT Probleme mit der Zukunft von Medkom hat - weniger mit der Migration ins herkoemmliche Schmalband-ISDN als mit dem Versanden jeglicher Koordination weiterer Aktivitaeten sowie einer Auswertung des bisher Erreichten. So wuerde es nach Ansicht von IZT-Chef Kreibich mehr denn je darum gehen, zu pruefen, wie doch noch im Sinne von mehr Effektivitaet fuer die Patienten auch der Bereich der niedergelassenen Aerzte in den Medkom- Kommunikationsverbund integriert und damit als riesiger Markt fuer die Videokommunikation erschlossen werden koennte.

Ganz aus den Augen verloren hat man dies in Bonn - allen Unkenrufen zum Trotz - wohl doch noch nicht. Telekom-Manager Meier konnte jedenfalls als Mitglied des von der Telekom-Tochter DeTeBerkom initiierten Arbeitskreises "Telemedizin" aus dem Naehkaestchen plaudern. Neben der digitalen Patientenakte beschaeftigte sich die Gruppe auch mit den Zielgruppen eines kuenftigen Telemedizin-Massenmarktes und damit zwangslaeufig mit den niedergelassenen Aerzten. Nur muesse man da in den meisten Faellen ganz von vorne beginnen. Viele von denen haben, so Meier, "nicht einmal ein Faxgeraet in ihrer Praxis stehen".