Für die westlichen Industrieländer bald wichtiger als die Autoindustrie (Teil 1)

Telekommunikationsmarkt: Wettbewerb im Weltmaßstab

06.10.1989

Hans-Joachim Frank ist Leiter des Branchenreferats, Ekkehard Seifert Mitarbeiter der Konjunkturabteilung bei der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Deutschen Bank in Frankfurt. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus "Deutsche Bank Bulletin 3/89".

Unter den Industrienationen hat ein intensiver Wettstreit um die besten Ausgangspositionen auf den Märkten der Znkunftstechnologien eingesetzt. Zu ihnen gehört der Markt der Telekommunikation, der für die westlichen Industrieländer schon um die Jahrtausendwende wichtiger sein wird als die Autoindustrie heute.

Nach den USA, Großbritannien und Japan hat sich nun auch die Bundesrepublik Deutschland mit der Postreform in den globalen Wettlauf eingeschaltet. Auf dem Weltmarkt für Telekommunikationsgeräte und Telekommunikations-Dienstleistungen werden heute etwa 1200 Milliarden Mark pro Jahr umgesetzt. Mit trendmäßigen jährlichen Wachstumsraten zwischen fünf und zehn Prozent entwickelt sich dieser Markt deutlich dynamischer als die Gesamtwirtschaft und ist somit einer der wichtigsten Wachstumsmotoren der nächsten Jahrzehnte. Optimistischen Schätzungen zufolge ist sogar mit einer Verdreifachung des Marktvolumens in den nächsten zehn Jahren zu rechnen.

Die EG-Kommission prognostiziert in ihrem Grünbuch, daß sich der Anteil des Telekommunikationssektors am Sozialprodukt der Gemeinschaft bis zum Jahre 2000 mehr als verdoppeln wird (von drei auf sieben Prozent) und daß dann direkt oder indirekt rund 60 Prozent aller Arbeitsplätze von der Telekommunikation tangiert werden. Dies heißt, daß die Telekommunikations-Industrie in etwa zehn Jahren für unsere Volkswirtschaften bedeutsamer sein wird, als es gegenwärtig die Automobilindustrie ist.

Tatsächlich geht die Bedeutung der Telekommunikation jedoch weit über das Niveau hinaus, das sich mit bereichsunmittelbaren Wachstumsraten, Marktanteilen und Arbeitsplätzen messen läßt. Denn zum einen werden die Erzeugnisse und Komponenten der Telekommunikations-Industrie künftig die Wettbewerbsfähigkeit unserer Produktpalette und besonders unseres Exportsortiments entscheidend beeinflussen. Und zum anderen wird die Ausstattung mit modernster Telekommunikationsinfrastruktur zu einem der wichtigsten Standortfaktoren avancieren und folglich mitentscheiden, welche Länder und Regionen sich für besonders Know-how- und wertschöpfungsintensive Aktivitäten qualifizieren können. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß unter den Nationen ein intensiver Wettbewerb um die besten Ausgangspositionen in diesem Wettstreit um Zukunftsindustrien und Zukunftsstandorte eingesetzt hat.

Vorreiter in diesem globalen Wettlauf sind die USA, Japan und Großbritannien, die dem Volumen nach mehr als 50 Prozent des Weltmarktes der Telekommunikation auf sich vereinigen. Ausgangspunkt der Reformen in diesen Ländern war die Überlegung, daß ein nationales Monopol im Zeitalter weltweit zusammenwachsender Märkte, sich überlagernder und sich gegenseitig befruchtender Basisinnovationen sowie drastisch verkürzter Investitions- und Innovationszyklen keine angemessene Organisationsform mehr darstellt und daß dem Wettbewerb als Entdekkungsverfahren und Kostensenkungsmechanismus ein neuer Stellenwert eingeräumt werden müsse.

In den USA kam es im Jahre 1982 zur Entflechtung des privatwirtschaftlichen Quasi-Monopols American Telephone and Telegraph Corporation (AT&T). AT&T gab rund drei Viertel seiner Aktiva an sieben selbständige, rein regional operierende Telefongesellschaften ab. Die Entflechtung war der "krönende" Abschluß einer ganzen Serie von Liberalisierungsschritten, mit denen das Monopol von AT&T auf allen Betätigungsfeldern - Netz, Dienste, Endgeräte - beschnitten wurde. Nur der klassische örtliche Telefonverkehr ist in den USA heute noch Monopolen vorbehalten; auf allen übrigen Gebieten der Telekommunikation herrscht Wettbewerb. AT&T ist jedoch nach wie vor der dominierende Marktteilnehmer. Die Gebühren sind seit der Entflechtung stark gefallen - Schätzungen gehen bis zu 30 Prozent - die (monopolistischen) Ortsgebühren sind dagegen teilweise bis zu 40 Prozent gestiegen.

In Europa hat Großbritannien am konsequentesten seine Telekommunikations-Strukturen reformiert. Schon 1969 hat die Regierung die Bankdienste vom britischen Post Office abgespalten, 1981 auch die Brief- und Paketdienste. Die verbleibende British Telecom (BT) wurde dann dem Wettbewerb auf allen Ebenen - Netz, Endgeräte und Dienstleistungen - ausgesetzt und 1984 privatisiert. Heute ist BT eine Aktiengesellschaft mit privater Mehrheitsbeteiligung. Der Wettbewerb hat BT gezwungen, die Gebühren stärker an den Kosten zu orientieren und die Warteliste für Neuanschlüsse auf nahezu Null zurückzuführen. Die Deregulierung bracht zudem einen deutlichen Anstieg der Produkt- und Dienstevielfalt, aber auch Unmut über gelegentliche Service- und Wartungsmängel mit sich.

Den radikalsten Schwenk in der Fernmeldepolitik vollzog Japan, Innerhalb weniger Jahre verloren die beiden Fernmeldegesellschaften NTT (Nippon Telegraph and Telephone Corporation) und KDD (Kotzusai Dienshin Denwa Corporation) ihr Monopol, wurde NTT in eine Gesellschaft privaten Rechts umgewandelt und an der Börse eingeführt. Nach der Neuordnung des Fernmeldewesens ist in Japan der Marktzutritt auf allen Ebenen des Telekommunikations-Marktes erlaubt.

Im Gegensatz zu den USA und Großbritannien gibt auch Ansätze eines intensiven Netzwettbewerbs - teils durch Erschließung neuer Übertragungswege (Satelliten, Mikrowellen), teils durch parallele Nutzung vorhandener Infrastruktur (Eisenbahnen, Autobahnen, Elektrizitätsversorgung) für neue Glasfasernetze. Die Infrastruktur-Investitionen expandierten unmittelbar nach dem Fallen der Marktschranken mit einer Rate von gut 20 Prozent real (1986).

Das Hauptmotiv für Japans konsequente Privatisierung und Entmonopolisierung durfte industriepolitischer Natur sein: National sollte der Weg in die "hochinformierte Gesellschaft" geebnet und international die japanische Industrie für den Kampf um den Schlüsselmarkt

Telekommunikation gestärkt werden.

Gemessen an den Aktivitäten im Ausland nimmt sich die deutsche Postreform, die zum 1.6.1989 in Kraft getreten ist, bescheiden aus: Privatisierung und Netzwettbewerb bleiben tabu. Das öffentliche Dienstrecht wird ebenso beibehalten wie das Monopol beim Telefonverkehr, auf den gut 90 Prozent der gesamten Fernmeldeumsätze entfallen. Alle übrigen Dienstleistungen und der Markt für Endgeräte sind dagegen liberalisiert. Um die Bundespost für die zu erwartende Wettbewerbsintensivierung zu wappnen, wurden zudem die hoheitlichen von den betrieblichen Funktionen abgespalten und die drei Bereiche Postbank, Postdienste (Briefe, Pakete) und Telekom organisatorisch verselbständigt.

Trotz Spartentrennung besteht allerdings weiterhin die Möglichkeit der Quersubventionierung zwischen den einzelnen Bereichen - auch zwischen Wettbewerbs- und Monopolbereich. Die Gebühren sollen zwar stärker an den Kosten orientiert werden, doch mangels Wettbewerbs sind auch künftig subventionierte Ortstarife und überhöhte Ferntarife möglich. Insgesamt bringt die Postreform spürbare Verbesserungen gegenüber dem Status quo ante; sie läßt aber die strenge Orientierung an einem ordnungspolitischen Gesamtkonzept der Privatisierung und Deregulierung wie in Großbritannien oder Japan vermissen.

In ihrem "Grünbuch Telekommunikation" aus dem Jahre 1987 schlug die EG-Kommision den Mitg!iedsländern die vollständige Öffnung des Endgerätemarktes bis Ende 1990 und die schrittweise Öffnung des Marktes für Teledienste ab 1989 vor. Ferner ist unter anderem vorgesehen: eine EG-einheitliche Normierungspolitik, die gegenseitige Anerkennung von Endgerätezulassungen sowie eine Liberalisierung der öffentlichen Auftragsvergabe. Ziel ist ein Binnenmarkt ohne Grenzen für Endgeräte und Dienstleistungen sowie mit gemeinsamer Telekommunikations-Infrastruktur.

Bislang sind die Potentiale des Wachstumsmarktes Informations- und Kommunikationstechnik in Europa bei weitem nicht ausgeschöpft. Als Folge der unterschiedlichen Normen und Zulassungspraktiken sowie des national geprägten Beschaffungswesens, ist der Telekommunikations-Markt in der Zwölfergemeinschaft stark zersplittert. Der Cecchini-Bericht der EG-Kommission hat die Kosten dieser Marktzersplitterung auf sechs bis zehn Milliarden Mark veranschlagt. Standardbeispiel für mögliche Einsparungen ist das Nebeneinander von elf verschiedenen digitalen Vermittlungssystemen. Japan und die USA etwa leisten sich nur jeweils zwei solcher Systeme.

Einsparungen ergeben sich auch durch den Wegfall der Grenzformalitäten, als Folge der Kostendegression bei Produktion höherer Stückzahlen und dank stärkeren Wettbewerbs - nicht zuletzt durch den Markteintritt von Unternehmen aus Drittländern. Die Kommission schätzt die möglichen Preissenkungen bei Endgeräten auf 15 bis 20 Prozent, so daß allein auf diesem Gebiet in der Gemeinschaft Kostenersparnisse von jährlich 1,5 Mrd DM anfallen könnten.

Die globalen Reformen des Fernmeldewesens haben überall den gleichen Auslöser und den gleichen Zweck: Einerseits sind sie Reaktion auf die stürmische technische Entwicklung, andererseits sind sie Aktion, um die künftige Wettbewerbsfähigkeit der Telekomfirmen und des Standorts insgesamt zu gewährleisten. Im Zentrum steht jeweils der technische Fortschritt; der institutionelle Wandel folgt der technologischen Revolution.

In der Telekommunikation laufen die Entwicklungslinien mehrerer Schlüsseltechnologien zusammen: Im Mittelpunkt steht die Mikroelektronik. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten verdoppelte sich die Produktivität der Halbleitererzeugung von Jahr zu Jahr. Kein anderes Erzeugnis erlebte eine so drastische Verbesserung des Preis-/Leistungs-Verhältnisses wie die Produkte der Mikroelektronik zur Informationsverarbeitung und -speicherung.

Das Gebiet der Informationsübertragung wird durch die optische Nachrichtenübermittlung revolutioniert. Derzeit verdoppelt sich die Übertragungskapazität der Glasfaser von einem Jahr aufs andere. Im kommenden Jahrzehnt könnte die Kapazität - bei gleichzeitig sinkenden Kosten pro Glasfaserader - noch schneller, insgesamt um den Faktor 1000, zunehmen. Berücksichtigt man ferner die Fortschritte der für die Telekommunikation wichtigen Lasertechnologie, der Software und der Optoelektronik, so scheinen die eingangs skizzierten Entwicklungsperspektiven des Informations- und Kommunikationssektors nicht zu hoch gegriffen.

Voraussetzung ist, daß alle Informationen künftig digital übertragen, gespeichert und verarbeitet werden. Die Vorteile der Digitaltechnik sind:

- deutlich höhere Qualität gegenüber der Analogtechnik, ein verbesserter Komfort sowie eine geringere Fehlerrate bei der Übermittlung,

- merklich größere Schnelligkeit beim Verbindungsaufbau und bei den Durchschaltzeiten, die das Netz entlastet (Einsparungen laut Bundespost rund 2 Milliarden Mark per annum);

- erheblich geringere Kosten gegenüber der Analogtechnik (in der Fernvermittlung heute bereits 50 Prozent, in der Übertragungstechnik 60 Prozent weniger);

- sowie die Vereinheitlichung des Übertragungs- und Speichermediums für die unterschiedlichsten Arten von Informationen.

(wird fortgesetzt)