Münchner Kreis analysiert wirtschaftliches Umfeld:

Telekommunikation ist Produktivitätsfaktor

08.06.1984

MÜNCHEN (kul) - "Die Informationsindustrie steht vor einem qualitativen Sprung". Zu diesem Fazit kamen die Mitglieder des Münchner Kreises jetzt auf ihrer Fachkonferenz "Telekommunikation als Wachstumsfaktor - Gesamtwirtschaftliche Chancen für mehr Produktivität und Beschäftigung". In Anwesenheit des bayerischen Wirtschaftsministers Anton Jaumann, einem der Initiatoren und Gründer der überregionalen Vereinigung für Kommunikationsforschung. kamen die nationalökonomischen Aspekte der Neuen Medien zur Sprache. Damit knüpften die Münchner Experten an das Thema ihrer letzten Veranstaltung an, die juristische Aspekte der Telekommunikation zum Inhalt hatte.

Mit der stürmischen Entwicklung der Neuen Medien, konstatierte Dr. Heiko Afheldt von der Prognos AG, Basel, mehrten sich auch die Bedenken der Betroffenen. Wiesen die Kritiker beispielsweise auf zunehmende Arbeitslosigkeit hin, so werteten andere Stimmen neue Technologien wie die Telekommunikation als Wachstumsmotor und Innovationsmittel. Dementsprechend forderten sie die beschleunigte Einführung neuer Dienste und Netze.

Zwar sei diese ambivalente Haltung der Öffentlichkeit nicht überraschend, sie dürfe

jedoch nicht zu einer "mißglückten Technologieeinschätzung" führen. Die Gefahr, im weltweiten Wachstumsmarkt nicht mithalten zu können, sei zu groß. Der Experte von Prognos: "Hat die Industrie erst einmal verpaßt, rechtzeitig neue Produkte und Dienste anzubieten, kann dieses Versäumnis kaum noch aufgeholt werden."

Unterlassene Produktivitätssteigerungen, so der Referent weiter, spiegelten sich schon heute in den Vergleichszahlen Japans und der Europäischen Gemeinschaft wider: Im

"Land der aufgehenden Sonne" sei es gelungen, die Produktivitätsanteile von 25 Prozent auf 80 Prozent zu steigern, die Europäer hingegen hätten einen Rückgang von 54 Prozent auf 50 Prozent hinnehmen müssen. Während die Deutschen noch mit Akzeptanzproblemen kämpften, hätten Nippons Söhne die Telekommunikation bereits zu einem ihrer fünf zentralen Wachstumsbereiche erklärt. Ziel der Pioniere auf dem Gebiet der Neuen Medien müsse hierzulande folglich sein, positive Auswirkungen dieser Technologien zu belegen, Kritiker zu überzeugen und Hemmnisse abzubauen.

Drei Leitfragen komme hier eine zentrale Bedeutung zu:

- Welche Einsatzbereiche eignen sich für die Telekommunikation?

- Wo sind seriöse Einsatzmöglichkeiten für die Telekommunikation, und welches sind ihre gesamtwirtschaftlichen Wirkungen auf Produktivität, Wachstum und Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland? Welche Erkenntnisse liegen hier vor?

- Welche entscheidenden Fragen bleiben offen, wie lassen sich darauf verläßliche Antworten finden?

Auf die enge Verbindung zwischen Telekommunikation und Informationstechnik verwies der Schweizer Experte. In vieler Hinsicht gebe es hier Abgrenzungsschwierigkeiten, so daß selbst bei Insidern die Vorstellungen hinsichtlich des Wachstumspotentials auf dem Telekommunikationsmarkt variierten. Als Grundtendenz kristallisiere sich jedoch bei einer relativ raschen Entwicklung in der Medienindustrie ein Trend zu integrierten Systemen heraus. Eine wichtige Rolle komme dabei Bildschirmtext sowie Kabel- und Satellitenfernsehen zu. Neben den allgemein bekannten Formen der Telekommunikation würden künftig Fernmessung und -steuerung stark an Bedeutung gewinnen - eigneten sich doch beide Methoden für den privaten und staatlichen Einsatz: Personenbeobachtung, Verkehrslenkung oder automatisierte Fabriken der Zukunft seien nur einige wenige Beispiele.

Am Bruttosozialprodukt der gesamten Welt hat die Telekommunikation Afheldt zufolge mit 220 Milliarden Dollar vorläufig den relativ bescheidenen Anteil von 2 Prozent. Diese verteilten sich zu 30 bis 50 Prozent auf das Fernmeldewesen und zu 70 Prozent auf die Massenkommunikation. Das Produktionsvolumen in der Bundesrepublik Deutschland bezifferte der Marktexperte mit 40 Milliarden Mark. Gegenwärtig gibt es seiner Aussage zufolge in der Telekommunikationsbranche 350 000 Arbeitsplätze.

Zusätzlich wirke dieser Industriezweig als Faktor zur Produktivitätssteigerung auf die übrige Wirtschaft. Die Telekommunikation dürfe deshalb nicht isoliert gesehen werden, entscheidend sei vielmehr der gesamtwirtschaftliche Zusammenhang. Dr. Afheldt: "Die Informationsindustrie steht vor einem qualitativen Sprung. Mit neuen technologischen Formen werde es möglich sein, die anfangs erwähnten Akzeptanzprobleme zu überwinden und der Öffentlichkeit klarzumachen, daß die neuen Technologien einen großen Gewinn an Wohlstand und Wachstum brächten.

Statt Illusionen das Machbare suchen

Als "leidgeprüfter Mann aus der Praxis" trat Dr. Dietrich Köllhofer von der Bayerischen Vereinbank, München, auf. Seine Forderung zielte darauf hin, das Thema nicht allein "im Höhenflug des technischen Fortschritts visionär zu betrachten". Zentraler Aspekt müsse vielmehr das in der Praxis Machbare sein. Die Banken dürften sich bei aller Bereitschaft zum technischen Fortschritt nicht zu dessen Popanz machen. Konstatierte Köllhofer weiter: "Uns interessiert wohl, was die Industrie an neuen Produkten herausbringt. Wir wollen aber selbst entscheiden, was für uns Sinn macht und die positiven Ergebnisse noch miterleben, solange wir im Amt sind." Medien wie intelligentes Telefon und Teletex sind nach Meinung des Referenten für sich allein betrachtet kaum Rationalisierungsmittel von Rang. Um auch in finanzieller Hinsicht den Praxisbeweis zu erbringen, sollten diese neuen Techniken verstärkt im informationsverarbeitenden Umfeld eingesetzt werden. Eine Gefahr für die großen Banken sieht Köllhofer gegenwärtig in einem Zuviel an Information bei gleichzeitigem Defizit an Interpretation. In Fällen, wo es gelungen sei, diese beiden Problemkreise zu meistern, mache sich dann immer noch ein Mangel an Aktion bemerkbar.

Hauptthema für ihn als Vertreter eines Geldinstituts müsse das Verhältnis zwischen Bank und Kunden sein. Unter dem Aspekt, ob die Neuen Medien in diesem Bereich zu Veränderungen führten, sei auch der Einsatz der Telekommunikation zu werten. Der Trend zum beleglosen Zahlungsverkehr führe zwar mittelfristig zu einer Rationalisierung, eine Kostenersparnis für die Banken lasse sich auf diesem Wege jedoch nicht erzielen, lediglich eine Verbesserung der Serviceleistungen.

Flucht nach vorne wird zum Ausweg

Zum Einsatz von Bildschirmtext bei den Geldinstituten merkte Köllhofer an, die Banken bemühten sich adäquate Systeme für den eigenen Gebrauch zu entwickeln. Da sich Btx nur für einfachere Bankleistungen eigne, sei eine Verschlechterung der Beziehung zwischen dem Kunden und seiner Bank nicht zu erwarten. Auch auf die Arbeitsplatzsituation

bei den Bankkaufleuten entstünden keine negativen Auswirkungen.

Die Bedeutung der Telekommunikation für die Unterhaltungselektronik nahm Helmut Ricke von der Loewe-Opta GmbH, Kronach, unter die Lupe. Da die Branche auf Dauer mit ihren bisherigen Produkten nicht überleben könne, biete sich als einziger Ausweg die Flucht nach vorne an: Neue Produkte und Märkte müßten gefunden werden; das rasante Wachstum von Mikroelektronik und Telekommunikation dürfe nicht ungenützt bleiben. Wie das Beispiel des Homecomputers zeige, verwischten sich zunehmend die Grenzen zwischen Datenverarbeitung, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik.

Das Medium Bildschirmtext zu forcieren, ist Ricke zufolge nicht nur für die inländische Industrie wichtig. So sei der Cept-Standard weltweit sehr angesehen und habe einen hohen Wettbewerbsvorteil. Dem Vernehmen nach interessierten sich inzwischen auch die Postverwaltungen der Schweiz und Südafrikas für diese Entwicklung.

Um als Branche zu überleben und mittelfristig Arbeitsplätze zu bewahren, für der Referent fort, müßten die alten Wege verlassen werden - das große Ziel heiße "Individualkommunikation". Am Althergebrachten haften zu bleiben, da es Sicherheit zu bieten vorgebe, erscheine weniger denn je angebracht: Daß die angeblich risikolose Rechnung mit dem Bekannten nicht aufgehe, habe sich schon oft erwiesen.