Verband der Postbenutzer: Schmerzgrenze bei Telefongebühren überschritten

Telekom: Trotz Zusatzabgabe werden Ferngespräche billiger

18.01.1991

BONN (CW/vwd) - Die Telekom bleibt in den Schlagzeilen. Nach dem Theaterdonner um die Misere der ostdeutschen TK-Infrastruktur muß der Fernmeldemonopolist eine Erhöhung der Telefongebühren ins Kalkül ziehen. Grund: Die von der Bonner Koalition beschlossene Zusatzabgabe in Höhe von zwei Milliarden Mark jährlich zur Finanzierung der Deutschen Einheit. Die Tarifreform bei Ferngesprächen und die Investitionen in der Ex-DDR sollen dennoch nach Plan stattfinden.

Der Vorstand der Telekom hatte von Beginn der Abgabendiskussion an deutlich gemacht, daß das Post-Unternehmen die zusätzlichen Forderungen des Bundesfinanzministers von ursprünglich fünf Milliarden Mark in vollem Umfang auf seine Kunden umlegen muß. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens weiter zu garantieren, so Telekom-Chef Helmut Ricke in jüngsten Äußerungen, gab es nur Spielraum für Gebührenerhöhungen im Monopolbereich der Telekom, dem Telefondienst. Keine Anhebung der Grundgebühr, Zeittaktverkürzung auf fünf Minuten im Nahbereich und Erhöhung der Gebühreneinheit auf 25 Pfennig heißt nun das vorläufige Ergebnis der Bonner Koalitionsverhandlungen.

Der in den Beratungen der Koalition gefundene Kompromiß sei ein Erfolg von Postminister Schwarz-Schilling, erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber der CW. Die Reduktion der jährlichen Abgabe auf zwei Milliarden Mark und der Verzicht auf eine Erhöhung der monatlichen Grundgebühr mache die Lösung alles in allem sozialverträglich.

Für das Ministerium lag die den Telefonkunden zumutbare Grenze einer Zeittaktverkürzung bei fünf Minuten, dies sei in der Koalitionsrunde letztlich auch akzeptiert worden. Im übrigen bedeute dies, so der Sprecher weiter, ohnehin nur eine Ausweitung der im "Tarif '90" vorgesehenen Zeittaktverkürzung im Nahbereich von sechs Minuten um eine weitere Minute. Die Telekom müsse nun innerhalb der vorgegebenen Richtlinien neu kalkulieren, um die zusätzliche Belastung zu erwirtschaften.

Längst erreicht ist die Schmerzgrenze inzwischen für Emil Hübner, dem Vorsitzenden des Verbandes der Postbenutzer. Für ihn sind die rechtsstaatlichen Prinzipien nicht mehr gewahrt, da einer Gebührenerhöhung weder Kosten noch konkrete Leistungssteigerungen gegenüberstehen. Er bezieht sich dabei auf ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1984, demzufolge jede weitere sachfremde Erhöhung der Telefongebühren verfassungswidrig wäre.

"Eine Gebührenerhöhung ist nichts anderes als die auch nach EG-Recht unzulässige Einführung einer Telefonsteuer", machte Hübner im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE deutlich und kündigte den Gang nach Karlsruhe und Beschwerde bei der EG-Kommission an, sollten die Koalitionsbeschlüsse in die Tat umgesetzt werden.

SPD behielt sich Organklage vor

Verfassungsrechtliche Bedenken hat auch Peter Paterna (SPD), Vorsitzender im Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen des Deutschen Bundestages. Seine Partei behält sich eine Organklage in Karlsruhe vor, würde aber im Zweifelsfall aufgrund der zeitlichen Befristung der Telekom-Abgabe den Weg über eine Einstweilige Anordnung gehen. Die "empfindsamere Flanke der Koalition" sieht Paterna aber in der EG-Konformität der Bonner Beschlüsse.

Wenn eine entsprechende Änderung des Postverfassungsgesetzes Gegenstand der parlamentarischen Beratungen wird, will die SPD-Fraktion in einer öffentlichen Anhörung dieser, wie Paterna sich gegenüber der COMPUTERWOCHE ausdrückte, "volkswirtschaftlich unsinnigen" Absicht der Bundesregierung auf den Zahn fühlen.

Das verfassungsrechtliche Problem einer weiteren Gebührenerhöhung sieht man auch im Bonner Postministerium, insbesondere im Hinblick auf das, gemessen an europäischen Maßstäben, generell hohe Niveau der deutschen Telefongebühren. Als zeitlich begrenztes, zweckgebundenes Notopfer für die deutsche Einheit könnte eine Gebührenerhöhung, so wird argumentiert, auch vor den Karlsruher Richtern Bestand haben. Über eine Rücknahme der Gebührenerhöhung i in vier Jahren sei allerdings nicht gesprochen worden.

Unabhängig vom juristischen und parlamentarischen Procedere richtet sich die Telekom auf die veränderte Gebührenlandschaft ein. Die technische Umstellung des Zeittaktes, dies erklärte ein Telekom-Sprecher der COMPUTERWOCHE, sei technisch problemlos und ohne großen finanziellen Aufwand zu bewerkstelligen.

In jedem Fall soll zum 1. April 1991 die dritte Stufe der im "Tarif '90" vorgesehenen Gebührenreduktion bei Ferngesprächen in Kraft treten.

Die Tarifreform sieht die Zusammenlegung der Fernzonen zwei und drei zu einer einheitlichen Weitverkehrszone ab 50 Kilometer vor, verbunden mit einer zeitlichen Staffelung der Gebühreneinheiten von 21 Sekunden im Normaltarif und 42 Sekunden im Billigtarif.

Unberührt von der Abgabendiskussion bleibt auch der Wirtschaftsplan '91 und die in den neuen Bundesländern geplanten Investitionen des Unternehmens.

Der Carrier will heuer insgesamt 29 Milliarden Mark investieren und erwartet für seinen ersten gesamtdeutschen Haushalt einen Umsatz von rund 47 Milliarden Mark.

Zur Finanzierung der Investitionen will die Telekom drei Milliarden Mark selbst erbringen; weitere 14 Milliarden Mark sind als Nettokreditaufnahme notwendig.