Telekom sieht Datex-J und ISDN als momentane "Paradedisziplinen" Neue Wachstumsmaerkte und erstmals die Kunden im Visier

25.06.1995

CW-Bericht, Gerhard Holzwart

BONN - Neuer Mann mit (neuer) Philosophie. So koennte man die Eindruecke beim ersten oeffentlichen Auftritt Ron Sommers auf der diesjaehrigen Telekom-Bilanzpressekonferenz zusammenfassen. Der erst seit wenigen Wochen amtierende Vorstandsvorsitzende des ehemaligen Bonner Postriesen will das in die Tat umsetzen, was seinem Vorgaenger Helmut Ricke nur in Ansaetzen gelungen ist: die Telekom zu einem ausschliesslich kundenorientierten Unternehmen umzuwandeln.

Wie aus dem Marketing-Lehrbuch hoerte sich Ron Sommers Strategie an, mit der er den Tanker Telekom zu gewinnbringenden Ufern steuern will: das Kerngeschaeft sichern, neue Maerkte und Wachstumsfelder besetzen sowie auf die Karte der Globalisierung beziehungsweise Internationalisierung setzen. Um das bewerkstelligen zu koennen, soll die Telekom nach den Vorstellungen ihres neuen Chefs quasi so ganz nebenbei auch noch zum "kundenfreundlichsten Unternehmen auf dem Weltmarkt der Telekommunikation" avancieren. Dazu muesse man, so Sommer, Trainingsrueckstaende aufholen und sich kuenftig mehr denn je die Probleme der Kunden zu eigen machen sowie "an Servicebereitschaft, Schnelligkeit und Flexibilitaet deutlich zulegen".

Entscheidend dazu beitragen soll eine Vielzahl sogenannter verkaeuferischer Anreize. So kuendigte Sommer unter anderem Plaene an, die Gebuehren fuer Nordamerika-Telefonate um knapp 30 Prozent zu senken. Darueber hinaus sollen auch Gespraeche nach Finnland, Schweden, Norwegen und Island durch die Einbindung in die guenstigste Auslandsregion deutlich preiswerter werden: im Normaltarif um zwoelf Prozent, im fuer diese Laender erstmals geltenden Billigtarif sogar um 30 Prozent. Gleichzeitig stellte Sommer mittelfristig - aehnlich den diversen Vielfliegerprogrammen bei Luftfahrtgesellschaften - ein Bonussystem fuer treue Netzkunden sowie Rabattregelungen fuer verkehrsarme Zeiten in Aussicht. Die geplanten Tarifmassahmen beduerfen jedoch noch der Zustimmung des Aufsichtsrates und der Regulierungsinstanzen - womit der Telekom- Chef "schon in den naechsten Wochen" rechnet.

Apropos Regulierung: Prinzipiell einverstanden zeigte sich Sommer mit den Liberalisierungsplaenen von Bundespostminister Wolfgang Boetsch, mahnte allerdings, insbesondere was die flaechendeckende Grundversorgung betrifft, gleiche Rahmenbedingungen fuer alle kuenftigen Lizenznehmer an. Der Ex-Sony-Manager warnte in diesem Zusammenhang vor einer "Fragmentierung des Marktes" und sprach sich fuer einen Markt mit leistungsfaehigen Anbietern und hoher Wettbewerbsintensitaet aus. Der Wettbewerbsrahmen des deutschen Marktes sollte daher so geschaffen sein, dass er den Anforderungen der Wirtschaft und der Attraktivitaet des Standortes Deutschland langfristig Rechnung traegt. Auch fuer die staatliche Regulierung des Telecom-Marktes gelte das Prinzip: "Weniger ist mehr."

Genehmigung von Atlas gilt als selbstverstaendlich

Bedeutend wichtiger als das im Prinzip schon weitgehend feststehende Szenario fuer den deutschen Markt scheint dem Telekom- Management derzeit aber die internationale Ausrichtung des Unternehmens und dabei vor allem die Kooperation mit France Telecom und Sprint zu sein. Nach einem ersten "Dreiergipfel" zwischen ihm, France-Telecom-Chef Marcel Roulet und EU- Wettbewerbskommissar Karel van Miert gab sich Sommer jedoch, was die kartellrechtlichen Bedenken gegenueber dem Joint-venture Atlas angeht, betont zuversichtlich: Er gehe selbstverstaendlich davon aus, dass diese Allianz zustandekommt; auch in Sachen Beteiligung am US-Carrier Sprint sei man derzeit dabei, die letzten i- Tuepfelchen zu setzen. Gleichwohl schenkte der Telekom-Chef allen Kritikern globaler Allianzen kraeftig ein. Wer alles lediglich unter europaeischen oder gar nur nationalen Aspekten sehe, werde "dieser Zukunftsbranche nicht mehr gerecht". Man muesse daher, so Sommers Forderung, in Zukunft darauf achten, dass an Entscheidungsprozessen mit solch grosser volkswirtschaftlicher Bedeutung nicht mehr Personen beteiligt sind, die "kleinkariert in engen Gassen denken".

Geschaeftskundenbereich wuchs um acht Prozent

Weitgehend positiv blickten die Telekom-Verantwortlichen indes auf das Geschaeftsjahr 1994 zurueck - nicht nur, was das Gesamtergebnis, sondern auch die einzelnen Geschaeftsfelder angeht. So konnte man im Geschaeftskundenbereich bei einem Plus von ueber acht Prozent einen Umsatz von rund 26 Milliarden Mark verzeichnen. Der Privatkundenbereich - hierzu zaehlen private Haushalte ebenso wie Freiberufler, Selbstaendige und kleinere Betriebe - machte etwas mehr als die Haelfte des Konzernumsatzes von ueber 64 Milliarden Mark aus, erlaeuterte Vorstandsmitglied Wilhelm Paellmann. Die Systemkunden-Division, die die 200 groessten Kunden der Telekom betreut, konnte (trotz fehlender Telefondienstangebote) in ihrem ersten Geschaeftsjahr mit 600 Beschaeftigten rund 1,1 Milliarden Mark umsetzen.

Zu einem Vorzeigeprodukt par excellence entwickelte sich laut Telekom-Angaben ISDN. Die "Informationsautobahn" konnte im Geschaeftsjahr 1994 mit 79 Prozent erneut den hoechsten Umsatzzuwachs aller Dienste erzielen. Dieser lag Ende 1994 bei 4,2 Milliarden Mark; die Zahl der vermarkteten Kanaele stieg um 63 Prozent auf 1,8 Millionen. Inzwischen ist, wie es in Bonn hiess, die Zwei-Millionen-Grenze bei den Anschluessen ueberschritten. Aehnlich erfolgreich ist derzeit auch Datex-J, das mit 708 000 Teilnehmern (Stand Ende 1994) ein Plus von 43 Prozent erzielte. Derzeit werden mehr als 800 000 Kunden gezaehlt, monatlich kommen laut Telekom durchschnittlich 20 000 neue Teilnehmer hinzu. Trotzdem soll, wie Ron Sommer hoechstpersoenlich ankuendigte, die Weiterentwicklung des ehemaligen Btx in Richtung Multimedia (Neuer Name: "Telekom Online") schon auf der diesjaehrigen Funkausstellung praesentiert werden.