Auch Mannesmann kämpft mit der ungeklärten Endgeräte-Situation

Telekom: Digitaler Mobilfunk gerät vom Start weg ins Stocken

05.07.1991

MÜNCHEN(gh) - Das digitale Zeitalter im Mobilfunk hat mit einem Fehlstart begonnen. Zwar nahm die Telekom wie angekündigt ihr D1-Netz am 1. Juli in Betrieb allerdings nur im Testversuch. Grund: Endgeräte fehlen. Digitales Telefonieren soll nun frühestens nach der Funkausstellung Ende August möglich werden. Dann will auch Mitanbieter Mannesmann in den Ring steigen. Währenddessen bemühen sich beide Konkurrenten hinter den Kulissen fieberhaft um Lieferverträge mit den Endgeräteherstellern.

Der medienwirksam angekündigte Betriebsbeginn des D1-Netzes blieb - zunächst jedenfalls - in den Startlöchern hängen. Noch auf der CeBIT hatte Telekom-Vorstand Klaus Hummel den Messebesuchern die termingerechte Inbetriebnahme des posteigenen Mobilfunknetzes versprochen. jetzt, zum Stichtag 1. Juli, mußte der bundesdeutsche Carrier einen Rückzieher machen. "Wir wer. den das Netz zwar fahren, gehen aber davon aus, daß es nur wenig Teilnehmer geben wird. Wer mit einem Endgerät kommt, hat die Möglichkeit, am Netz teilzunehmen" erklärte Hummel gegenüber der COMPUTERWOCHE.

Um das fünf Milliarden Mark teure Mobilfunkprojekt gewinnbringend starten zu können, fehlen der Telekom derzeit mindestens 50 000 Endgeräte. Mit allenfalls 9000 Einheiten kann das Postunternehmen, so Hummel, für dieses Jahr noch rechnen. Mehr sei nicht drin, trotz abgeschlossener Verträge mit Motorola, Siemens und Orbitel - den einzigen Unternehmen, die derzeit Oberhaupt liefern könnten.

Erst ab 1992 werde sich nach Ansicht Hummels der Endgerätemarkt deutlich entspannen und Lieferengpässe der Vergangenheit angehören.

Bis eine nennenswerte Anzahl von Endgeräten zur Verfügung steht - frühestens zur Funkausstellung Ende August - fährt die Telekom ihr D1-NEtz im Testbetrieb mit maximal 200 Teilnehmern.

Diese tummeln sich nun auf den Frequenzen von vier in Betrieb genommenen, regionalen Netzen in den Ballungsräumen Stuttgart, Frankfurt, Köln und Dortmund mit rund 150 Funkstationen.

Um seinem flächendeckenden Anspruch gerecht zu werden, muß das neue D 1 Netz aber mindestens 3000 Funkstationen umfassen. Dieses Ausbaustadium wird nach Ansicht von Experten frühestens Ende 1994 erreicht sein.

Gleiches gilt für das D2-Netz der Mannesmann Mobilfunk GmbH. Bei der privaten Konkurrenz der Telekom war man von Beginn an zurückhaltend mit konkreten Terminvorgaben und verfolgt nun mit einer gewissen Schadenfreude die Schwierigkeiten des Postgiganten, der sich mit seiner Ankündigungpolitik wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. "Wir starten in der zweiten Jahreshälfte 1991" heißt es bei Mannesmann lakonisch, und Firmensprecherin Karin Mundhenke vergißt nicht hinzuzufügen: "Der 1. Juli war für uns nie ein Thema. Wenn wir beginnen", so Mundhenke, "dann mit einer ausreichenden Kapazität an Mobiltelefonen."

Bis Ende 1992 rechnen die Mannesmänner mit rund 300 000 Teilnehmern in beiden Netzen. Etwa 65 Prozent davon wollen die Düsseldorfer Mobilfunker selbst bedienen, das heißt mit einer entsprechenden Anzahl von Endgeräten ausstatten.

Um dies zu gewährleisten, stehe das Unternehmen derzeit, so die Sprecherin, in Verhandlungen mit mehreren, vor allem internationalen Herstellern. Namen oder Zahlen könne man derzeit aber aufgrund der Wettbewerbssituation mit der Telekom nicht nennen. Publik wurde bisher nur ein Kontrakt mit der Motorola GmbH, die noch in diesem Jahr einige tausend Einheiten liefern soll.

Daß die Hersteller nur zögernd in den Endgerätemarkt einsteigen, hat vor allen Dingen technische Gründe. Da mit dem digitalen, mobilen Funktelefon grenzenlose Kommunikation in ganz Europa möglich werden soll, wurden alle technischen Spezifikationen und Standards auf europäischer Ebene von der "Groupe Special Mobile (GSM) diskutiert und festgelegt. Erst zu Jahresbeginn 1991 wurde das vorläufige Regelwerk als Richtlinie für die Hersteller verabschiedet. Während Mannesmann-Geschäftsführer Peter Mihatsch in diesem Zusammenhang noch kürzlich in einem Rundumschlag den deutschen Anbietern unterstellte, daß sie die Entwicklung schlichtweg verschlafen hätten, bemüht sich sein Widerpart, von der Telekom sichtlich um Verständnis für die Lieferverzögerungen.

Noch im späten Frühjahr kam es laut Hummel zu Spezifikationsänderungen beim GMS-Standard für die Endgeräte, so daß den Herstellern wenig Zeit zur Implementierung blieb. Konsequenz: Bis heute gebe es kein Test-Equipment in der Standardausführung. Auch der Netzsimulator sei noch nicht fertig, die Tests müßten alle. samt manuell durchgeführt werden, ergänzt Hummel seine Beschreibung des technischen Status quo, die aber nichts daran ändert, daß sich sein Unternehmen in der Bredouille befindet.

Rückendeckung bekommt Hummel in diesem Punkt von Ericsson-Sprecher Hans-Peter Ott, der als Grund für die Verzögerungen ebenfalls das wesentlich langsamere Procedere bei der Spezifikation der Standards auf der Endgeräteseite ausmacht. "Viele Hersteller warten ab, bis sie Sicherheit haben" fügt der deutsche Repräsentant des schwedischen TK-Konzerns hinzu, der zusammen mit Siemens als Systemlieferant für die Netzkomponenten von D1 auftritt. Sein Unternehmen werde sich frühestens im Oktober an. läßlich der Genfer "Telecom" an die Endgerätefront begeben, um, so Ott, mit qualitativ hochwertigen Geräten einzusteigen wenn das Marktvolumen größer ist".

Ericsson und SEL wollen abwarten

Bis dahin wollen die Schweden den Endgerätemarkt beobachten und auf die Testergebnisse warten. Was ihnen nicht allzu schwer fallen dürfte, weil sie mit ihrer 50-Prozent-Tochter Orbitel bereits indirekt zum Kreis der Telekom-Lieferanten gehören. Eine Beobachterrolle will zunächst auch SEL einnehmen. Das Unternehmen der Alcatel-Gruppe konnte sich ein kleines Stückchen vom D1-Kuchen ergattern und meldet einen 200 Millionen Mark Auftrag für die Errichtung von Funk und Vermittlungssystemen an rund 50 Standorten in der Bundesrepublik. Wenn sich der Endgerätemarkt stabilisiert hat, wollen die Stuttgarter auch Mobilfunk-Telefone anbieten. "Vordrängen will man sich seitens SEL aber nicht" bemerkte ein Firmensprecher gegenüber der COMPUTERWOCHE.

Motorola rechnet 1991 mit 20 000 Endgeräten

Als mehr oder weniger einziger Anbieter ist derzeit der Geschäftsbereich Funktelefone der Motorola GmbH in den Schlagzeilen. Dort bemüht man sich eifrig, entsprechende Meldungen, Telekom-Konkurrent Mannesmann würde bevorzugt beliefert werden, zu dementieren. Die Frankfurter haben zwar als einer der ersten einen Kontrakt mit Mannesmann abgeschlossen, wollen aber beide Netzanbieter gleichermaßen bedienen. Harald Schiffermüller, Marketing Manager für Funktelefone, schätzt das Marktvolumen bis Ende 1991 auf maximal 20 000 Einheiten, in der gleichen Größenordnung bewege sich etwa auch die anfängliche Lieferkapazität seines Unternehmens.

Die System-Spezifikationen sind nach Auskunft des Mobilfunk-Experten in der ersten Phase nicht ausreichend spezifiziert, um auch Handgeräte mit einbeziehen zu können. Daher werden zunächst nur mobile Geräte angeboten werden können. Daher sehe man bei Motorola, so Schiffermüller, die Frage der Terminverschiebung nicht ganz so einfach wie bei Netzbetreiber Mannesmann, "wo man die Problematik alleine bei den Endgeräteherstellern festmachen will". Enttäuscht ist man bei dem ehemaligen C-Netz-Lieferanten wohl auch über die Nichtberücksichtigung bei der Vergabe von D-Netz-Aufträgen. Wenn die Fertigung von Netzkomponenten und Endgeräten ähnlich wie beim C-Netz in einer Hand gelegen hätten, wäre nach Ansicht Schiffermüllers "vielleicht manches schneller und einfacher zu realisieren gewesen".

Neben technischen Schwierigkeiten stehen aber nach wie vor auch noch die ungeklärten Gebührenfragen im Raum. Nachdem die Telekom mit ihrem ursprünglichen Gebührentableu - Mannesmann ist für sein D2-Netz auf Mietleitungen der Telekom angewiesen - von Minister Schwarz-Schilling zurückgepfiffen wurde, hat man laut Hummel seitens der Telekom die Kalkulation nochmals überprüft. Ergebnis: Reduktion um einige Prozent sowie die Weitergabe von Kosteneinsparungen durch Leitungsbündelungen im Zusammenhang mit sogenannten Mengeneinkäufen. Wenn Konkurrent Mannesmann, was der Fall sein wird, als Großabnehmer auf den Plan tritt, führe dies laut Hummel, nochmals zu einer Gebührenermäßigung zwischen fünf und acht Prozent.

Diesen Entwurf will der Telekom-Vorstand im September dem Ministerium vorlegen, daß ursprünglich einen Abschlag von 60 Prozent gefordert hatte. Ob sich das Ministerium mit der neuesten Telekom-Kalkulation zufriedengibt, will man bei Mannesmann zunächst abwarten. Zu rechnen scheint es sich für den Düsseldorfer Mobilfunk-Betreiber allemal, denn an den Start gehen werden die Mannesmänner laut Sprecherin Mundhenke "in jedem Fall".