EG-Kommission will Marsch durch die Institutionen vermeiden, aber:

Telekom-Binnenmarkt so oder, so verzögert?

06.05.1988

BERLIN (CW) - Die EG-Kommission beabsichtigt, ungewohnt hart, und schnell nationale Vertriebs- und Standardisierungsmonopole im Sektor Telekommunikations-Endgeräte abzubauen. Der selten beanspruchte Artikel 90 der Römischen Verträge wurde jetzt bemüht, um die Vorstellungen der Kommission ohne Konsultation des EG-Ministerrats und des EG-Parlaments bis Ende 1990 durchzusetzen.

Mit dieser kurzfristig avisierten Vorgehensweise ernteten die Brüsseler Kommissare jedoch bei den zwölf kürzlich in Berlin tagenden europäischen Post- und Telekommunikations-Ministern - mit einer Ausnahme - wenig Beifall. Tenor: Es sei höchst unerfreulich, bereits im ersten Stadium der Umsetzung der EG-Strategie für 1992 so rigide angegangen zu werden. Es ist nicht unsere Absicht etwas zu verzögern, aber dies ist nicht die richtige Art mit Regierungen um Zuspringen", empörten sich die Ministerialen. Dem allgemeinen Konsens entzog sich nur die holländische Repräsentantin, Neelie Smit-Kroes. Sie äußerte sich dahingehend, daß die Kommission diese Vorgehensweise häufiger praktizieren sollte.

Die härtere Gangart der Kommissare aus Brüssel war gleich auf der ersten Tagung der Postminister seit Bestehen der Gemeinschaft durch den mit Fragen des Wettbewerbs befaßten EG-Kommissar, Peter Sutherland, signalisiert worden. Offenbar befürchten die Brüsseler Telekommunikatoren, daß die übliche Ochsentour durch Gremien und Ministerien eine De-facto-Öffnung des europäischen Telekommunikationsmarktes 1992 verzögern würde. Bereits Mitte März hatte die Kommission Presseberichten widersprochen, wonach sie bereit sei, auf Druck einzelner Länder hin, ihren Vorschlag zur Liberalisierung des Marktes für Telekommunikationsgeräte hinauszuzögern.

Die EG-Kommission hat eigenen Angaben zufolge bereits am Freitag vergangener Woche, einen Tag nach der turbulenten informellen Ratssitzung in Berlin, auf der die Bedenken der Postminister formuliert wurden, dennoch eine Richtlinie "erlassen", ohne den EG-Ministerrat und das Europäische Parlament zu konsultieren. Sie soll fast alle Arten von Endgeräten (terminal equipment) vom Telefon bis zum Modem betreffen. Agenturmeldungen zufolge beharren jedoch vor allem Frankreich, Großbritannien und die Bundesrepublik darauf, daß jede Richtlinie dem Ministerrat vorgeschlagen werden muß.

Ein Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof könnte nun doch noch bewirken, was de Kommissionserlaß verhindern sollte, nämlich eine Verzögerung der Liberalisierung im Endgerätemarkt, spekulieren Tieren die Wettbewerbsexperten in den unterschiedlichen Lagern. Frankreich ist, so Beobachter, offenbar dazu ausersehen, den Streit EG-Kommission kontra EG-Ministerrat vom Zaun zu brechen. Die Aussichten auf einen "Erfolg" einer derartigen Klage werden unterschiedlich beurteilt: Jedenfalls werde sie den Erlaß nicht zurückrudern können, solange der Gerichtshof nicht entschieden habe; und dies sei frühestens nach Jahresfrist zu erwarten. Außerdem sei eine Entscheidung gegen Brüssel sehr unwahrscheinlich.