In vier Jahren 58 Millionen Euro gespart

Telekom bändigt die Komplexität der IT

07.06.2002
MÜNCHEN (qua) - Welche IT-Systeme haben wir, wohin wollen wir und wie kommen wir dorthin, ohne zu riskieren, was wir haben? Solche Fragen beantwortet die Deutsche Telekom mit Hilfe der Informations-Management-Lösung "IT-Plan". Die Investitionskosten von neun Millionen Euro haben sich bereits sechsfach ausgezahlt.

"Strategisches Informations-Management" klingt nach einem dieser rund gelutschten Schlagwörter, mit denen die Anbieter von Kongressen und Symposien in den goldenen 90er Jahren die IT-Spezialisten in die Business-Hotels der Republik lockten. Doch Joachim Johannsen will die Zyniker eines Besseren belehren. Der Programm-Manager im Fachbereich Geschäftsprozess-relevantes Informations-Management (IFM B) in der Zentrale der Deutsche Telekom AG hat hautnah erfahren, dass eine "übergeordnete Sicht auf alle derzeitigen und künftigen Belange der IT" (so seine Definition des Begriffs) für das Funktionieren der Informationstechnik heute unabdingbar ist.

Beim ehemals staatlichen Telefon-Carrier haben sich - wie in jedem anderen größeren Unternehmen - die für das Tagesgeschäft notwendigen IT-Systeme weitgehend unabhängig voneinander entwickelt. Doch die zunehmende Vernetzung von Kunden-, Vertrags- und Lokationssystemen bringt wechselseitige Abhängigkeiten und Verbindungen mit sich. Diese Beziehungen sind bei jeder Änderung oder Erweiterung an den 1100 Anwendungssystemen mit ihren 4000 Schnittstellen zu berücksichtigen. Im Durchschnitt verabschieden sich fünf Systeme pro Tag aus der Produktion, und fünf neue nehmen den Betrieb auf; zudem erfährt jede Anwendung etwa alle sechs Monate einen Release-, wenn nicht Versionswechsel. Das alles nachzuhalten ist eine wahre Sisyphusarbeit.

Selbstverständlich müssen die IT-Planer, -Architekten und -Projektleiter des Telekommunikationsriesen diese Aufgabe nicht mehr mit Papier und Bleistift erledigen. Auch Teillösungen auf der Basis von PC-Tools wie Excel, Visio oder Powerpoint sind längst ad acta gelegt. Mit deren bescheidenen Mitteln ließ sich die Komplexität der Telekom-eigenen Systemlandschaft nicht abbilden. "Allein für einen einzigen Unternehmensbereich wären Excel-Tabellen mit 300 Zeilen und 200 Spalten notwendig", erläutert Johannsen.

Stattdessen begann Europas größter Telekommunikationsanbieter vor etwa vier Jah-ren, seine IT-Systeme, Informationsflüsse, Daten und Prozesse in einem einheitlichen Informations-Management-Werkzeug abzubilden, um damit etwa ein Dutzend damals schon überforderter Tools abzulösen. Genauer gesagt, erteilte der Zentralbereich Informations-Management diesen Auftrag dem konzerneigenen Dienstleister T-Systems Nova, der die eigentliche Entwicklungsarbeit wiederum an das Entwicklungszentrum Berlin (EZB) delegierte.

Die Frage nach der technischen Basis beantwortete das EZB mit "Alfabet", einer Software des gleichnamigen Berliner Anbieters. Die Stärke der Alfabet-Plattform besteht laut Johannsen darin, Daten in Form von Modellen abzulegen und auf diese Weise einmal definierte Beziehungen konsistent zu halten - unabhängig von der jeweiligen Darstellungsform. Nehme beispielsweise ein Planer eine Änderung an der Datenbasis vor, so übertrage die Software die neuen Informationen automatisch in jedes Diagramm, das diese Daten verwende.

Auf dieser Grundlage entwickelte das EZB gemeinsam mit den Alfabet-Softwerkern die Lösung IT-Plan; hinsichtlich des Datenbank-Management-Systems fiel die Entscheidung zugunsten von Oracle aus. Das Entwicklerteam implementierte ein Telekom-eigenes Datenmodell mit den zugehörigen Klassen sowie eine maßgeschneiderte Visualisierungsoberfläche. In einem für alle Nutzer verbindlichen "User-Item" speichert IT-Plan rund 200 verschiedene Informationen für jedes geplante und vorhandene IT-System. Sie reichen vom Termin der (voraussichtlichen) Fertigstellung und der aktuellen sowie nachfolgenden Version über die jeweiligen Schnittstellen bis zur Migrationsstrategie für die Ablösung.

Allein die Möglichkeit, auf Knopfdruck den für ein System Verantwortlichen ausfindig zu machen, ist laut Johannsen gar nicht hoch genug zu bewerten. Die "zentrale Anstoßinstanz" des Systems trage "durch hartnäckiges Nachfragen" via E-Mail dafür Sorge, dass alle von einer Änderung Betroffenen ihr Placet erteilen oder aber die Auswirkungen auf das von ihnen verantwortete System dokumentieren. Plausibilitätschecks helfen, menschliche Fehlleistungen zu kompensieren. Eine Ampelfunktion warnt beispielsweise vor Terminüberschreitungen.

Gemeinsam mit den vier Geschäftseinheiten T-Com, T-Systems, T-Mobile und T-Online hat der Zentralbereich Informations-Management seine Vorstellungen von einer künftigen IT-Umgebung der Telekom entwickelt. Die Eckpfeiler heißen unter anderen Thin Clients, Unternehmensportale, Single-Sign-on und durchgängige, flexible Middleware. Ebenfalls festgelegt wurden die Schritte auf dem Weg dorthin. Sie sind in IT-Plan abgelegt, so dass sich Änderungen und Erweiterungen permanent auf ihre Übereinstimmung mit der Roadmap prüfen lassen.

Absichtlich nicht berücksichtigt ist der Kostenaspekt. Um das System nicht zu überfrachten, so Johannsen, hat die Telekom für die Erfassung und Bewertung der IT-Kosten, hier wie überall ein hochaktuelles Thema, ein separates System entwickelt. Allerdings kann der autorisierte Benutzer über die siebenstellige IV-Systemnummer, die schon im Rahmen des Genehmigungsverfahrens vergeben wird, relativ problemlos dorthin verzweigen.

Derzeit ist IT-Plan auf einem zentralen Server installiert. In etwa einem halben Jahr soll das System aber auf zwei oder drei Divisionen aufgeteilt werden. Derzeit haben rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Client-Ausführung der Software auf ihrem Rechner installiert. Sie lassen sich in drei Anwendergruppen unterteilen:

- Vorstandsmitglieder und andere hohe Entscheider, die lediglich die Vogelflug-Perspektive benötigen und selbst keine Daten eingeben,

- IT-Planer und -Architekten, die sowohl Lese- als auch Schreibzugriff haben und teilweise selbst die für sie relevanten Diagramme erstellen, sowie

- Projektleiter, die vor allem für die Informationseingabe sorgen.

Die meisten Anwender wurden eigens für den Umgang mit dem System trainiert - angefangen von der grafischen Anwendung bis hin zur Gestaltung der SQL-Abfragen. Daneben gibt es aber ein paar hundert sporadische Nutzer, die via Intranet in das System hinein sehen.

Der Aufwand für die Entwicklung von IT-Plan war beträchtlich. Allein fünf Millionen Euro hat es gekostet, die Systemdaten zu erfassen. Hinzu kamen vier Millionen Euro, die für Erstellung und Weiterentwicklung der Lösung investiert wurden. Doch unter dem Strich habe sich der finanzielle Kraftakt ausgezahlt, beteuert Johannsen: Der Konzern könne jetzt schneller auf Veränderungen reagieren, da sich die Planungszyklen drastisch verringert hätten. Zudem identifiziere das System bereits entwickelte Softwarekomponenten, empfehle sie zur Wiederverwendung und helfe auf diese Weise, redundante Anwendungen sowie die damit verbundenen Zusatzkosten zu vermeiden. Alles in allem habe die Telekom auf diese Weise innerhalb von vier Jahren 58 Millionen Euro eingespart.