DV-gestuetzte Heimarbeit ist fuer deutsches Wirtschaftsministerium ein Fremdwort

Telecommuting soll Kaliforniens Umwelt kuenftig staerker entlasten

05.08.1994

MUENCHEN - Ozonalarm, Tempolimit, Fahrverbote - waehrend die zustaendigen Stellen hierzulande nur an den Symptomen herumdoktern, sind Industrie und Politik jenseits des grossen Teiches bereits weiter. Dort sieht man das Problem der Umweltbelastung nicht allein im Autoverkehr, sondern vielmehr in der Tatsache, dass Berufstaetige via Verkehrsmittel zu ihrer Arbeit gelangen muessen und nicht die Arbeit zu ihnen kommt. Zumindest noch nicht, denn mit Teleworking scheint dieses Paradoxon durchaus loesbar.

Waehrend es in Deutschland nach Vorzeigeprojekten wie bei IBM um die Telearbeit wieder still geworden ist, setzen die technisch begeisterten Amerikaner mittlerweile auf das Telecommuting. So hoffen kalifornische Behoerden, mit dieser modernen Form der Heimarbeit einen Teil der Umweltprobleme in den Griff zu bekommen.

In der San Francisco Bay Area, in der taeglich rund 100 Millionen Meilen - eine Entfernung, groesser als die Distanz zwischen Erde und Sonne - mit dem Auto zurueckgelegt werden, gibt die Air District Regulation den Kommunen die legislativen Kompetenzen, um den Fahrzeugverkehr einzudaemmen. Neben dem oeffentlichen Nahverkehr, Carpools und anderen Fortbewegungsmitteln wie dem Fahrrad setzen die Unternehmen der Region vor allem auf das Telecommuting zur Reduzierung des Verkehrs. So rechnet David Helfrich, 3Coms Vice- President fuer Marketing, damit, dass zehn bis 15 Prozent der Beschaeftigten in diesem Ballungszentrum kuenftig via Remote- Anbindung ihre Arbeit von zu Hause erledigen.

Die technischen Voraussetzungen der Heimarbeit ueber das Telekommunikationsnetz reichen von einfachen Anbindungen via Modem und Software á la "PC Anywhere" bis hin zu komplexen Installationen mit Remote- Access-Servern wie dem "Access Builder" von 3Com und dedizierten Leitungen. Um eine Entscheidungshilfe fuer die wirtschaftliche Implementierung der Telearbeit zu geben, haben sich DV-Hersteller und Netzbetreiber wie 3Com, Silicon Graphics, Tandem und Pacific Bell in der Smart Valley Initiative zusammengeschlossen und den Ratgeber "Smart Valley Telecommuting Guide" herausgegeben.

Das Handbuch versucht auf knapp 60 Seiten, grundlegende Fragen zur Telearbeit zu behandeln: Wie hat die raeumliche Gestaltung des heimischen Arbeitsplatzes auszusehen? Welche sozialen Probleme kommen auf eine Familie zu, wenn sie ploetzlich wieder den ganzen Tag zusammenlebt? Neben diesen Themen will der Guide auch das notwendige IT-Equipment zu Hause beschreiben. Reicht ein einfaches Terminal, oder ist der Einsatz eines PCs, Macs oder Unix-Rechners als Workstation notwendig? Ist die Software beim Anwender installiert, oder wird sie zentral auf dem File-Server aufgerufen?

Abhaengig von der jeweiligen Installation ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die Uebertragungsgeschwindigkeiten. Fuer ein Terminal oder einen PC mit Terminalemulation duerfte nach Meinung der Autoren eine einfache Modemanbindung mit 9600 Bit/s oder 14400 Bit/s ausreichen. Zum File-Transfer grosser Datenmengen, wie sie bei Grafiken auftreten, sowie bei remotem File-Sharing in einem Netware- oder Appletalk- Netz empfiehlt das Booklet den Einsatz von ISDN-Leitungen oder den in USA angebotenen Switched-56-Kbit/s-Verbindungen. Doch die Einfuehrung des Telecommutings ist nicht nur eine Frage der Transferrate, sondern auch der Mentalitaet. Hier laeuft Europa nach Ansicht von Helfrich Gefahr, seine Wettbewerbsfaehigkeit zu verlieren, wenn es nicht den Schulterschluss zwischen Erziehung und Industrie schafft, um die junge Generation auf die Arbeitsformen von morgen vorzubereiten. Sollte dies nicht gelingen, dann duerften die Zahlen einer Ovum-Studie in das Reich der Fabeln gehoeren. Die Londoner Analysten rechnen damit, dass sich die Zahl von derzeit 600000 Telearbeitsplaetzen in Europa und den USA bis 1997 auf fuenf Millionen und bis zur Jahrtausendwende auf zwoelf Millionen erhoeht. Dabei werden, so die Prognose, bis 1997 etwa 17 Milliarden Dollar fuer die Hardware-Ausstattung und Datenkommunikationsgeraete ausgegeben. Den Softwaremarkt beziffern die Forscher auf 29 Milliarden Dollar. Der durch die Telearbeit weltweit generierte Datenverkehr duerfte in Hoehe von 25 Milliarden Dollar liegen.

Kein Wunder also, dass hierzulande angesichts solcher Zuwachsraten auch die Telekom mittlerweile das Thema Telearbeit fuer sich entdeckt hat. Einem erst kuerzlich gehaltenen Grundsatzreferat zufolge sieht sich die Bonner Generaldirektion der Telekom aufgrund ihrer personalintensiven Aufgabenstellung sowohl als Anwender der Telearbeit als auch als Anbieter der notwendigen Infrastruktur. Bei den Netzanforderungen aehneln die Vorstellungen der Bonner denen der amerikanischen Smart-Valley-Initiative. Als einfachste Uebertragungsmoeglichkeit sieht man das Telefonnetz. Fuer eine schnellere Uebertragung empfiehlt der Carrier sein ISDN-Netz, mit dem auch eine Verbesserung der Kommunikation durch den Einsatz multimedialer Endgeraete erreicht werden koenne. Dazu ist ein Aufruestsatz noetig, dessen Kosten die Telekom auf zirka 5000 Mark beziffert. Damit sei dann der Austausch von Daten, Texten, Festbild, Bewegtbild und Ton moeglich, die Zuarbeit wird zur Kooperation. Zur Uebertragung von Bewegtbildern verweisen die Bonner auf das kuenftige Hochgeschwindigkeitsnetz, das auf ATM basiert.

Waehrend man sich bei der Telekom zumindest Gedanken ueber moegliche Szenarien der Telearbeit macht (vgl. Tabelle auf Seite 19), ist dieses Thema im Rexrodt-Ministerium, dem selbsternannten Hueter der deutschen Wettbewerbsfaehigkeit, ein Fremdwort. Auf Anfrage der COMPUTERWOCHE raeumt Astrid Mohn, Pressesprecherin des Bundesministeriums fuer Wirtschaft, zwar ein, dass der Gedanke der Telearbeit mit Blick auf flexiblere Arbeitszeit und raeumliche Unabhaengigkeit sicherlich interessant sei, doch fuer weitere Auskuenfte verweist die Sprecherin an das Arbeitsministerium, da ihr nicht bekannt sei, ob sich das eigene Haus mit dem Thema beschaeftige.

Ob das Unwissen des Wirtschaftsministeriums mit einer gewissen Technikfeindlichkeit ausserhalb der DV-Szene zusammenhaengt, mag dahingestellt bleiben. Zumindest konstatiert Peter Fuerth, im Referat Informationstechnik beim rheinland-pfaelzischen Landwirtschaftsministerium taetig, dass "wohl nur DV-Leute sich mit dem Gedanken anfreunden koennen, via Datenfernuebertragung ein bis zwei Tage zu Hause zu arbeiten". Unter der Federfuehrung seines Ministeriums startete man in Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung Daun eines der spaeter gescheiterten Projekte in Sachen Telecommuting, waehrend Integrata und Lotus mit vergleichbaren Aktivitaeten Erfolg hatten. Ziel des Versuches war es, Schreib- und Uebersetzungsarbeiten in strukturschwache laendliche Gebiete zu verlagern und so Hausfrauen ohne lange Anfahrtswege eine Erwerbsmoeglichkeit zu verschaffen.

Schlechte Konzeption oder ein Politikum?

Waehrend Fuerth vermutet, dass das Projekt aufgrund fehlender Marktbeobachtungen erfolglos blieb - man habe nicht beachtet, dass der PC als Consumer-Gut mittlerweile auch in kleineren Unternehmen Einzug gehalten hat und so der Bedarf an externen Dienstleistungen fehlt - sieht man bei der Kreisverwaltung in Daun das Misslingen als Politikum: Das Projekt war urspruenglich von der CDU- Administration initiiert und wurde dann von der neuen SPD- Regierung unter dem derzeitigen Landesfuersten Scharping gekippt.

Eine solche Technologiefeindlichkeit seitens der SPD- Landesregierung koennte eigentlich nur verwundern, denn selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund, in den achtziger Jahren einer der groessten Kritiker der Telearbeit, hat mittlerweile seine Ablehnung aufgegeben. Zwar sieht Roland Schneider, Technologieexperte beim DGB-Bundesvorstand, Probleme wie Arbeitsschutz und -sicherheit immer noch nicht geloest, doch "die Telearbeit ist in absehbarer Zeit erst einmal eine alternative Arbeitsform fuer hoeher qualifizierte Kraefte". Allerdings schraenkt Schneider ein, dass diese Arbeit nur eine Mischform sein koenne, da kaum jemand wirklich ein Interesse habe, die ganze Zeit zu Hause zu arbeiten.