Alle Beteiligten müssen wissen, wo die Reise hingeht:

Telearbeit: Motivation ist wichtiger als Technik

01.04.1988

Mit Rolf Kreibich, Geschäftsführer des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung IZT in Berlin, sprach CW-Redakteur Wolf-Dietrich Lorenz. Thema war die dezentrale Arbeitsorganisation.

Wie weit ist die Öffentlichkeit biser mit den Chancen und Risiken der Telearbeit vertraut?

Sie ist über die Entwicklung sehr schlecht informiert. Im Vordergrund steht bisher lediglich die Diskussion über Teleheimarbeit. Teleheimarbeit umfaßt aber ein weites Spektrum sowohl in örtlicher, zeitlicher wie auch funktionaler Hinsicht. Durch sie kommt eine enorme Flexibilisierung der Arbeits- und Unternehmenstrukturen zustande.

Das Interesse an Telearbeit ist derzeit noch beschränkt. Mangelt es an der Technik-Qualifikation?

Das Interesse an Telearbeit wäre größer, wenn ihre Bedeutung für die zukünftige Beschäftigungsentwicklung, den Wandel der Arbeitsorganization und der Unternehmensstruktur bekannter wäre. Denn die potentiell Beteiligten sollten schon derzeit einsehen, daß sie gestaltend in die Technikentwicklung eingreifen müssen, um eine humane Arbeitsplatzgestaltung zu erreichen.

Vergrößert oder reduziert die Telearbeit die Zahl der Arbeitsplätze?

Sicher gibt es, volkswirtschaftlich gesehen, Rationalisierungseffekte. Allerdings eröffnen sich auch ganz neue Tätigkeitsfelder, die für Unternehmen sehr bedeutsam sind. Künftig erfordet ein gewandelter Wettbewerb auch eine quantitativ und qualitativ verbesserte Servicestruktur mit höherer Flexibilität. Dazu rechnen Markt- und Kundennähe, bessere Wartungseinrichtungen, schnelleres Regieren auf technische und ökologische Anforderungen. Das bedeutet mehr Mitarbeiter, beispielsweise im Außendienst und im Innovationsmanagement.

Mit Telearbeit lassen sich Serviceleistungen steigern, zugleich aber doch auch die Personalkosten senken?

Zweifellos. Eine Reihe weiterer betriebswirtschaftlicher Faktoren ist ebenfalls von Bedeutung, wie etwa Transportkostensenkung, Einsparungen bei der Raummiete und rationellere Arbeitsabläufe. Sowohl unternehmensstrategische wie auch unternehmenspolitische Faktoren mit Blick auf den Wettbewerb spielen jedoch die Hauptrolle.

Sichern arbeitsrechtliche Modelle den dezentralen Arbeitnehmerstatus ab?

Bisher kennen wir eine Reihe arbeitsrechtlicher Grundlagen. Nach wie vor scheint der Telearbeiter mit dem normalen Arbeitnehmerstatus am besten zu fahren. Schwierigkeiten entstehen vor allem bei jenen Mischformen, mit denen sich Selbständigkeit verbindet. Da der Auftraggeber meistens am längeren Hebel sitzt, kann er seine Position leicht ausnutzen. Das gilt insbesondere für spezielle Formen der Telearbeit.

Um Personalkosten zu senken, muß der Arbeitgeber aber doch gerade den normalen Status des Arbeitnehmers umgehen. Ist Telearbeit sittenwidrig?

Es gibt Fälle, die an der Grenze der Sittenwidrigkeit anzusiedeln sind: nämlich dann, wenn die Unternehmereigenschaft des einzelnen oder einer Gruppe von den Auftraggebern ausgenutzt wird, was die Arbeitsintensität betrifft. Zu beobachten ist dies in einigen Fällen besonders bei Teleheimarbeit, und das reicht hinein bis in die Familie. Familienmitglieder arbeiten verdeckt mit, auch Kinder. Das ist rechtswidrig.

Könnte diese neue Arbeitsform als "Test zur Bewältigung von Technikfolgen gelten"?

Die Entwicklung zur Telearbeit könnte die Chance ergeben, bestimmte Technikfolgen besser zu meistern. Hierzu zählt der Qualifikationsgewinn für die Beteiligten ebenso wie ihre prinzipiell gewinnbare Autonomie; dazu müssen allerdings Unternehmensvertreter, Arbeitnehmer und Betriebsrat von vornherein und gemeinsam versuchen, den Technikeinsatz sozialverträglich zu gestalten.

Bieten Hersteller und die Bundespost bereits das richtige Werkzeug und die Dienste an? Ist die technische Infrastruktur vorhanden, um Telearbeit effektiv nutzen zu können?

Wir sind im Hinblick auf den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur noch lange nicht für alle Formen von Telearbeit ausgestattet. Dazu wäre die flächendeckende Einführung des ISDN-Netzes erforderlich und, um hohe Kommunikationsmöglichkeiten zu schaffen, die Glasfaserverkabelung. Noch können nicht sämtliche Endgeräte eingesetzt werden. Bei der Netzstruktur wie auch im Gerätebereich sind Hemmnisse vorhanden. Die eigentlichen Probleme liegen in der Arbeitsorganisation, in der psychologischen und sozialen Problematik.

Fernarbeit hängt vom guten Willen ab

Das IZT erarbeitete Im Auftrag des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft in Eschborn {RKW) eine Untersuchung über Telearbeit. Dabei ging der Blick über den traditionellen Rahmen "Kinder, Küche und Computer" hinaus. Das Fazit lautet: Vor allem als Mischform zwischen der Unternehmenszentrale, der Filiale, dem Satellitenbüro und dem Heim oder mit tragbarem Terminal im Außendienst hat Fernarbeit Zukunft. Ihr Nutzen liegt beispielsweise in der erhöhten Wettbewerbsfähigkeit durch ein verstärktes Serviceangebot. Bereits ein Viertel der über 800 antwortenden Unternehmen aus 22 Branchen hat laut IZT-Studie Dezentralisierungen bei Arbeitsvorgängen mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien durchgeführt oder plant sie. Das Kredit- und Versicherungswesen sowie der öffentliche Dienst, ebenfalls die Elektrotechnik und der Automobilbau sind dabei Vorreiter.

Doch diese neue Arbeitsform bleibt so lange umstritten, wie es an gesicherten rechtlichen Grundlagen mangelt. Regelungsbedarf besteht in großem Maß: Noch kommt es nämlich allein auf den guten Willen der Unternehmensvertreter, Arbeitnehmer und des Betriebsrats an, von vornherein und gemeinsam zu versuchen, den Technikeinsatz sozialverträglich zu gestalten.